Die 1955 in Jackson, Mississippi geborene Schöne mit den Dreadlocks ist eine der ungewöhnlichsten Stimmen in der zeitgenössischen Musik. Sie schreibt und interpretiert Songs aus dem Blues-, Folk- und Rock-Bereich mit ausgeprägtem Jazz-Appeal. Eine ganz eigene Fusion-Version, die sehr subtil in den sparsamen (semiakustischen) Arrangements ist und zunächst recht unterkühlt klingt. Was auch an ihrem charakteristischen Alt liegt, den sie stark phrasierend und teilweise expressiv einsetzt. Aber es wird schnell klar, hinter der künstlerisch anspruchsvollen Fassade lodert die Hitze des tiefen US-Südens. Cassandra Wilsons Musik ist hocherotisch, egal ob Eigenkomposition oder Fremdvorlage. Sie adaptiert die Covers auf ihre sehr spezielle Weise und integriert sie in ihren Alben, als wären es eigene Werke. Die Auswahl ist genauso eigenwillig, wie die Arrangements. Aus Ohrwürmern werden mitunter Avantgarde-Kleinodien, während sie aus Kunstobjekten feine Folksongs destilliert.
Klar, irgendwann musste ein Sampler mit ihren Coverversionen auf den Markt, der nun von Blue Note produziert wurde. Auch wenn der Album-Titel "…The Pop Side" lautet - von Pop sind diese zusammengestellten Aufnahmen meilenweit entfernt. Die grammydekorierte Southern Belle hat zwar immer gängige und bekannte Titel in ihrem Repertoire, nur klingen die halt bei ihr alles andere als leicht konsumierbar. Die Creme der Songwriter ist vertreten, dazu ein paar weniger bekannte Autoren von Hits der letzten 40 Jahre.
Elf Songs, zehn Perlen, nur "Time After Time" fällt doch ab; hier gelingt es ihr nach meiner Meinung nicht, dem in zahlreichen Versionen bekannten
Cindy Lauper-Evergreen noch etwas Besonderes abzugewinnen. Sicher aber keine Niete in diesem Reigen. Der Rest sind Covers, die unter die Haut gehen. Angefangen von
U2s elegisch vorgetragenem "Love Is Blindness" über das von der Beat-Combo
The Monkeys bekannte "Last Train to Clarksville",
Van Morrisons bezauberndes "Tupelo Honey" bis zum knarzig-jazzigen "Lay Lady Lay" von
Robert Zimmerman.
"Fragile" kommt ebenso wie "The Weight" als kammermusikalischer Feingeist daher, leicht und sommerlich anmutend. Bei
Jakob Dylans "Closer To You" zeigt Frau
Wilson mit Co-Produzent
T-Bone Burnett (auf dem Album "Thunderbird"), dass sich ihre Kunst auch mit modernem Ambient-Arragement verträgt. Den
Young'schen "Harvest Moon" reduziert sie auf eine romantische Lautmalerei von impressionistischer Schönheit. Noch puristischer tönt
Ann Peebles "I Can't Stand The Rain", bei dem sie sich nur von
Chris Whitley auf der Blechgitarre begleiten lässt. Die größte Verwandlung hat vielleicht
Jimmy Webbs "Wichita Lineman" erfahren, das als Country-Hit von
Glen Campbell bekannt wurde.
Cassandra Wilson macht auch daraus ein knapp sechsminütiges, berückendes Opus.
Ich kann den Sampler jedem Musikfreund empfehlen, der diese Stimme noch nicht kennt und ein Faible für außergewöhnliche Arrangements im jazznahen Bereich hat. Die Produktion glänzt außerdem mit einem audiophilen Klang. Vorsicht: Ansteckungsgefahr!