Vom schwierigen Umgang mit Denkmälern.
Jeder, der sich nur entfernt auf die '68er-Generation' beruft, den Klassenkampf beim feucht-fröhlichen Pfingstzelten am Lagerfeuer beschworen, Kneipen-Nächte mit gitarrenspielenden Freunden durchgesungen oder zumindest nur die Nase ins anständig sortierte elterliche Plattenregal gesteckt hat, wird irgendwann auf Hannes Wader und seine Songs gestoßen sein. Die "7 Lieder" (1972) und einiges mehr sind Volksgut, "Heute hier, morgen dort" und "Unterwegs nach Süden" waren Soundtracks für die damaligen Tramperscharen und "Der Tankerkönig" ging als der Anarcho-Song in die Annalen deutschsprachiger Liedermacherkunst ein.
Als vermeintlicher RAF-Unterstützer geriet er ins Zielfernrohr der Justiz, verlor seinen Plattenvertrag und gewann dafür aber grenzenlose Reputation bei sämtlichen politischen Faust-Ballern und Kneipen-Revoluzzern dieser Republik.
Der scharfzüngige Mann mit der gebogenen Nase und dem Landsknecht-Bärtchen war der Barde der Linken, der jedoch auch maßgeblich für das Folk-Revival hierzulande mitverantwortlich war. Als deutsche Volkslieder wegen ihrer 'Nazi-Vergangenheit' keinem Intellektuellen über die Lippen gekommen wären, entriss er sie, zusammen mit Gruppen wie Zupfgeigenhansel, Liederjan oder Elster Silberflug der braunen Verbannung. Er sang platt, Volks-, Liebes- und Arbeiterlieder, Bellmann, Schubert und auch noch politisch, trat in die Kommunistische Partei ein und betätigte sich als Agitator der Geknechteten und Entrechteten. Damit stellte er sich in der konservativen Medienlandschaft der Siebziger Jahre natürlich selbst ins Abseits.
Der Fall des kommunistischen Weltreichs und Wandel in ein noch korrupteres neo-kapitalistisches ließen auch sein Weltbild zerbröseln, Wader kehrte darauf hin der DKP den Rücken. Mehrfacher Labelwechsel brachte zwar neue Alben, jedoch wenig Selbstverfasstes. Auf den Tourneen zeigte er weiter politische und künstlerische Präsenz, oft im Verbund mit Kollegen wie Wecker oder Mey. Der Interpret erhielt die verdiente Anerkennung, der brillante Autor blieb im Dunkeln früherer Zeiten.
Er sei jedoch immer wieder gedrängt worden, eigene Lieder zu veröffentlichen, heißt es im aufwändig gestalteten PR-Faltprospekt zum neuen Album. Obwohl er »nicht gern tue, was man von ihm erwarte«, habe er dann doch ein Jahr lang »von morgens früh um halbsechs bis in den Nachmittag hinein komponiert und gedichtet.« Der Barrikadenkämpfer und Poet als braver Frühaufsteher und Kunsthandwerker mit festen Arbeitszeiten ...
Und herausgekommen ist dann Ende September 2006 "Mal angenommen". Die Reaktionen sind bislang überwiegend positiv, wenngleich doch auch verdächtig zurückhaltend in der Kritik, die die Platte eigentlich herausfordert.
Ist der 64-Jährige schon ein Denkmal? Gefallen würde es dem alten Selbstdarsteller mit der allzu gern betonten, vorbildlich-proletarischen Abstammung sicher ...
Aber nix da, »Rattenfänger«! Noch lebst du und den Lorbeerkranz für's Alterswerk musst du dir erst verdienen. Und das ist es für mich nicht!
Der Titeltrack (verpackt in "Politik") ist ja noch ganz locker und mit dem typisch Wader'schen Humor, wenn auch gesanglich etwas angestrengt. Ja, er beuge sich dem Willen der kleinen Leute, »mal wieder was zu machen«, weil sie und nicht die »hohen Tiere aus Wirtschaft und Politik« seine Platten kauften. Und das Ganze wird mit einfachem Stampfrhythmus und bluesiger Blechgitarre 'rootsmäßig' vorgetragen. Dann aber geht das Dilemma los. Zur akustischen Gitarre im 12-Takter-Schema nach altdeutscher Art drechselt er seine Texte von "wenn da draußen die Welt dies Idyll nicht will und uns bedroht" - der Barde wird vom bösen Heute behelligt und wehrt sich mit ein bisschen Sozialkritik ("Blues in F" nach 'Schema F' ...)
"Der hölzerne Brunnen" schreibt sich in Stil, Versmaß und Diktion direkt in das 'Große Buch der deutschen Volkslieder' ein. Wir werden es die nächsten 150 Jahre beim Johannisfeuer singen und den letzten großen Dichter dieses Landes preisen. Zeitgemäßer, mit leicht mystischem Touch und tremolierender Begleitung, kommt mir "Der Weissdornbusch", wie ein englischer Folksong auf deutsch vor. Schön, Hannes! "Schwestern, Brüder …" mit Abschiedsschmerz, Bongobegleitung und Pedal Steel-Solo ist auch noch tauglich für die nächste Ausgabe der Mundorgel. Aber was ist das??? Fröhliches Rumba-Geschrammel in "En roulant ma boule", der Genius trällert ganz banal über ein Boulespiel mit der 'Lebst du schon'-Generation und der Refrain hört sich an wie ein Zauberspruch aus der Augsburger Puppenkiste. Von wegen dass dir »heute alles gelingt«, das ist seicht-poppige merde, mon cher!
"Trotz alledem (III)" ist das gelungene Update des Wader-Klassikers, das diesmal als moderne Folk-Nummer gut ins Ohr geht. So tönt auch "Gewalt", der erste der autobiografischen Titel um seine Albträume, in dem der silberplattige »E.H.« aus "Langeweile" wiederaufersteht. Im trendigen Afro-Look kommt "Gute Tage" daher, die positiven Erinnerungen an die Jugend, in der der Verseschmied mal wieder diverse Klischees bemüht ( Dylans »big fat moon« ist hier halt der blank geriebene Apfel, gell...).
Und dann haben wir noch die abschließende Saga vom "Familienerbe". Gute 16 Minuten lang erzählt Wader die Geschichte seiner Leute von 1878 bis ins Nachkriegsdeutschland, als der sozialistische Ahne, vertrieben wegen seiner Gesinnung, den Grundstein für das heute so medienwirksame Unterschichtenbewusstsein legte. Nein, keine Polemik jetzt, die Vorfahren waren aufrechte Leute, die (soweit sie aufgelistet sind) sich wohl nicht verbiegen ließen und deren hochrotes Blut heute noch im singenden Erben fließt. Die dezent-flauschige Untermalung zur Gitarre wirkt zwar etwas seltsam für diese bemerkenswerten Ballade, aber das ist zweifellos der Wader, auf den seine Fans gewartet haben.
Nein, ich bleib dabei, trotz alledem. Eine Handvoll guter Songs, darunter ein herausragender und ein paar für's Gemüt, der Rest - na ja. Die Anbiederung an aktuelle weltmusikalische Trends, teilweise recht mühsam gezimmerte Texte und gerade die wenig überzeugend gesungen - das war's noch nicht für die Rente! Wir müssen jetzt alle länger arbeiten, auch die Proletarier des Geistes. Also, noch mal den Bleistift gespitzt, die Gitarre neu gestimmt und vielleicht nur mal wieder mit einem zweiten Gitarristen vom Schlag eines Werner Lämmerhirt ans Werk. Und statt frühmorgens mit einem Pott Kaffee aufzustehen, lieber ab und zu mit einer guten Flasche Frankenwein (den Goethe schon als Musentrunk zu schätzen wusste) »dem Morgenrot entgegen«. Dann wird das auch was mit dem Platz auf dem Dichtersockel zu Lebzeiten, »Volkssänger «!
Line-up:
Hannes Wader (Gesang, Gitarre)
Benjamin Hüllenkremer (Bass und Fretless Bass)
Felix Berendt (Kontrabass)
Hakim Ludin (Perkussion)
Ben Ahrends (Gitarre, Mandoline, High String Gitarre, Dobro und Pedal Steel Gitarre)
Tracklist |
01:Politik (Mal angenommen...)
02:Blues in F
03:Der hölzerne Brunnen
04:En roulant ma boule
05:Schwestern, Brüder...
06:Trotz alledem (III)
07:Gewalt
08:Gute Tage
09:Der Weissdornbusch
10:Familienerbe
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