Nie war sein Blues so wertvoll, wie heute
Er ist ein Performer, der im Hier und Jetzt lebt, und unabhängig von der Tagesform grandiose bis verhaltene Konzerte absolviert.
Dieses hier lag irgendwo im mittleren Plusbereich, wobei man im Wesentlichen den Auftritt als Gebrauchsanweisung zum aktuellen Tonträger Live Flames begreifen konnte.
Snowy White und seinen Mannen gelang es tatsächlich, aus dem vorhandenen Material im Live-Kontext das Optimum herauszuholen. Oder anders ausgedrückt: Wer sich Aufgrund dieser Performance die Silberscheibe gekauft hätte, wäre eher etwas enttäuscht, zumindest aber ernüchtert zurückgeblieben.
Das lag erstens daran, dass Snowys Tagesform gut war, zweitens daran, dass jener jede Chance nutzte, die prinzipiell etwas steril wirkenden Studiokonserven aufzubrechen und in begeisternde, oft überlange Live-Versionen umzuwandeln und damit drittens, seine schon motivierte Band mitzureißen und zu gutgelaunten Höchstleistungen anzuspornen.
 Wie ein Uhrwerk griffen die messerscharfen, aber auch stellenweise sehr tighten Intonationen und Hooklines der Rhythmussektion in des Meisters zauberndes, plektrumfreie Saitenspiel, um jene Magie zu entfalten, wie sie bei solchen Bluesformationen doch erstaunlich selten genug entsteht.
Der mittlerweile 59-jährige Terence Charles White, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Snowy White, demonstrierte an diesem Konzertabend die urtypische britische Gelassenheit.
 Er betrat in Seelenruhe zusammen mit seiner Begleitband, im Einklang des musikalisch sphärischen Intros, die Bühne, stöpselte seine 57er Gibson Goldtop Les Paul ein, um saitentechnisch völlig konform und harmonisch in das Bühnengeschehen einzutauchen bzw. eine knapp zweistündige wunderbare konzertante Reise zu eröffnen.
Denn die Spur von Snowy ist der Blues. Schon im Jahre 1979 hatte er mit der Einspielung des Albums "In The Skies" das Comeback seines Freundes und Meisterspielers Peter Green, mythischer Gitarrist und Mitbegründer von Fleetwood Mac mitgeprägt, welcher gerade von einer langen Durchquerung der Wüste zurückkam.
Snowy, der im zarten Alter Klavier spielen lernte, der sich von Bluesgrößen wie B.B. King, Buddy Guy, Otis Rush oder Albert King zum Saitenzupfen inspirieren ließ, begann sehr entschlossen 1982 seine eigentliche Solokarriere, um gleich mit den Welthit "Bird
Of Paradise" einen Charterfolg in seiner Heimat zu ergattern.
 Zuvor schon hatte ein Telefonanruf sein musikalisches Leben gravierend verändert, David Gilmour, Gitarrist der britischen Supergruppe Pink Floyd, bot ihm den Platz an seiner Seite für die nächste Welttournee an. Daraus entwickelte sich eine andauernde Kollaboration, welche darin gipfelte, dass er maßgeblich an der legendären 77er Studioproduktion "Animals" beteiligt war.
Freilich erst viel später sollte er auch beim, von Roger Waters arrangierten "The Wall"-Riesenspektakel auf dem Potsdamer Platz vor einer halben Million Zuschauern, neben einigen Musikergrößen auf der Bühne stehen. Außerdem ersetzte Snowy 1978 Gitarrist Gary Moore bei der irischen Hardrockcombo Thin Lizzy, und spielte mit ihnen zwei hochkarätige Alben ein. Snowy verdrängt diese Periode seines Schaffens heute gern, da ihm die eher unreifen Seitensprünge des introvertierten Frontmanns Phil Lynott und die Schicksalsschläge einer zu Rock'n'Roll-lastigen Band nicht entsprachen.
 Wie John Mayall oder der Ex- Rolling Stone Mick Taylor, welche er auf Tour oft begleite, sog sich Snowy White die Ambition bzw. Inspiration eher vom traditionellen Blues ein. Aber gleichzeitig befreite er sich aus dessen einengenden musikalischen Korsett, um einen sauberen Stil durch eine expansive Technik und dem wirklichen Talent, sein Spiel zu kontrollieren, wohlklingende und präzise Harmonien, und die Beherrschung des Amplitudensignals, zu erschaffen.
So benutzt er oft die Lautstärke- und Tonregler seiner Les Paul, sowie den Pickup-Wahlschalter in allen drei Positionen, um unglaubliche Klangvariationen zu erreichen. Mit flirrendenden Gitarrensounds, pulsierendem und mal treibendem Schlagzeug, einem singendem E-Piano und einem kontemplativ gezupften Bass, stilistisch zwischen kammermusikalischer Bluesavantgarde und eingebrannten Traditionen pendelnd, rotiert bzw. groovt das Quartett um den Saitenbeschwörer Snowy White mal heftig, mal völlig tight, in einem Klangraum, der sich, von packender, emotionaler wirkungsvoller Energie und mit überraschenden Wendungen gespickt, zu bewegen weiß.
 Hypnotisch repetive Motive, psychedelisch anmutende Stimmungen, aber auch transparentes Saitenpicking, oder weit geschwungene Glissandi, welche sich schließlich mit den pulsierenden Rhythmusläufen umschlingen und verweben - eine erregende Musik, in die man sich versenken muss, um alle äußeren und inneren Verzweigungen zu begreifen.
Sicherlich für den Einen oder Anderen als langweilig abgetan, sind es hierbei die Feinheiten im Blues, welche von dem Briten und seinen hervorragenden White Flames mit einer gewissen Kühle und Lässigkeit dargeboten werden. Das Ganze lebt von plötzlichen Stimmungsumschlägen, dem ständigen Puls auch in den ruhigen Passagen.
 So wurde an diesem Abend in erster Linie die gerade frisch erschiene Livekonserve "Live Flames " promotet bzw. fast komplett rekapituliert, wobei natürlich ein musikalisches Füllhorn von mittlerweile zwölf Studioeinspielungen sehr hilfreich wirkt.
Irrtümlicherweise mag sicherlich so mancher Anwesende auf einige Interpretationen von speziellen Fremdkompositionen gehofft haben, musste aber bald feststellen, dass außer einem kurzem Intermezzo mit Floyds "Shine On Your Grazy Diamond", ein Altmeister seine musikalische Identität nicht verleumden muss.
Natürlich beherrschen die Protagonisten auch sämtliche Ausdrucksformen des Mainstream und nutzen sie ganz selbstverständlich als Gestaltungselemente ihres doch eigenständigen Stils.
Snowy versteht es wie kein Zweiter, leise verhaltene Töne, sowie auch lautere Ausbrüche, behutsam und überzeugend konzertant umzusetzen, und wirkt vor seiner gut aufgelegten Band an der Rampe ungefähr so glamourös wie ein erster Kaffee am Morgen.
Und seine Begleitformation kann sich wahrlich hören lassen. Allesamt handwerklich perfekt, bekommt jeder von Ihnen sein -niemals langweiliges - Solo zugestanden. Da sind der gebürtige Indonieser Walter Latupeirissa am Bass, welcher seit 1992 Berufsmusiker ist und schon mit Branchengrößen wie Arthur Lee, Popa Chubby oder Pat Travers musizieren durfte. Ebenfalls in Indoniesen geboren, aber in den Niederlanden lebend, kann Schlagzeuger und Percussionist Juan Van Emmerloot auf eine beträchtliche musikalische Laufbahn zurückblicken. Als professioneller Sessions-Schlagzeuger trommelte er zunächst bei einigen bekannten niederländischen Künstlern, um dann später unter anderen bei Micky Moody und Bernie Marsden, Robby Valentine, Walter Trout, Steve Lukather oder den Akustikgitarristen Peppino D'Agostino zu arbeiten.
 Man könnte meinen, der Pate persönlich hätte am Fender Rhodes Platz genommen, so besticht der 61-jährige Brite Max Middleton nicht nur optisch mit Gelassenheit, sondern auch mit seinem akzentuierten und relaxten Tastenspiel.
Das markante Schwergewicht ist so seit 1968 nicht mehr aus der britischen Blueszene wegzudenken und es sei an dieser Stelle nur seine Zusammenarbeit mit Jeff Beck genannt, mit dessen Combo er zwei erfolgreiche Alben einspielte.
 Mit Sicherheit zählt Snowy heute zu den renommiertesten aber auch unterbewerteten britischen Gentleman-Gitarristen überhaupt, der nach so langer Karriere niemanden mehr etwas beweisen muss.
Selten durfte man so eine freundliche und entspannte Atmosphäre genießen, einen gelungenen Konzertabend also, bei dem man sich fühlte, als sei man mitten in einer großen Patchworkfamilie gelandet.
Für die anwesenden Konzertbesucher war zumindest für ein paar Stunden die Welt in Ordnung, und diese Tatsache legitimiert diesen wunderbaren Musiker und macht seinen Blues so wertvoll.
RockTimes bedankt sich für die freundliche Unterstützung bei der Konzertagentur P.O.P. Ludwig, den Mitarbeitern des HsD Erfurt und dem Fotografen Axel Clemens.
Bilder vom Konzert
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