Steven Wilson / Insurgentes
Insurgentes Spielzeit: 55_24
Medium: CD
Label: Kscope/SPV, 2009
Stil: Prog Rock


Review vom 01.04.2009


Tom H. Machoy
Wem ist es auch schon mal so gegangen? Da bekommst du eine CD, legst sie in den Spieler, bist völlig begeistert, hörst das Teil so an die sechzig mal, kannst die Texte schon fast auswendig, weißt, wer an welcher Stelle welchen Einsatz wie bringt... es ist nicht zu glauben, achtzig Millionen Gedanken rasen im Kopfe herum. Was kannst du denn dazu noch schreiben? Anhören! Reicht eigentlich - dann ist alles kristallklar. Und wer sich nach dem Hören immer noch irgendwas fragen sollte... na dann weiß ich auch nicht.
Wer Steven Wilson ist, was ihn so besonders macht, sei nur ganz am Rande erwähnt, weil ja sicherlich bereits hinreichend bekannt. Also, Steven Wilson ist ein noch recht junger Engländer, dafür dass er so bekannt/berühmt ist. Immerhin aber begann er im prä-pupertären Alter von 10 Jahren Musik zu 'ersinnen' und wie fast geahnt (und immer wieder überdeutlich zu hören) wurde er schon viel früher sehr stark von Pink Floyds Musik (Dark Side Of The Moon) beeinflusst. Auch spielten dort noch andere Musikrichtungen hinein - war ja 'ne bunte Diskozeit, damals in den mittigen Siebzigern. Von seinen Eltern erhielt er die notwendige Unterstützung für sein musikalisches Experimentieren. Und so kam es dann, wie es denn heute noch ist: Ende der Achtziger die ersten Projekte, deren Namen doch mehr als bekannt sind: Procupine Tree, die bis auf die (ziemlich harten) Alben "Lazarus" und "In Absentia" doch mehr in der Musik der Siebziger, sprich der psychedelischen, experimentellen und progressiven Musik verhaftet sind und No-Man, deren Musik sich eher in die Richtung Dancebeats (das war ganz am Anfang - als da noch das Licht war) bis hin zu ruhigem, melancholischem Songmaterial bewegt, gesungen von einem stimmlich ähnlich gelagerten Tim Bowness. Zusammen geben die beiden auch in No-Man ein irres Gespann ab!! Und bei all dem achtet Steven Wilson tunlichst auf großartige musikalische Besetzungen und auf perfekten Sound (er ist ebenso ein genialer Techniker), heißt also auf überdurchschnittliche Qualität. Und wer bei den Projekten so mitspielt? Stellvertretend hier einige der Musiker, die z.T. auch auf Steven Wilsons "Insurgentes" dabei sind - Mel Collins, Robert Fripp, Tony Levin (alle
King Crimson), Jordan Rudess (Dream Theater), Bandmitglieder von Porcupine Tree, Michiyo Yagi (Koto), Theo Travis (Flöte und Saxophon). So, immer noch Fragen??
Und die kurze Erwähnung hat nun doch länger gedauert. Auch sage ich nur mal so ganz nebenbei, dass er bereits mit großartigen Musikern zusammenarbeitete, wie Anja Garbarek (Norwegen) oder Opeth (Schweden) und sämtliche andere CD/DVD-Nennungen von No Man und Porcupine Tree lasse ich einfach weg, auch die herrlichen beiden Alben von Blackfield (die ich gleich ins Herz geschlossen habe) mit Aviv Geffen (Israel), dafür gibt es sehr gute Diskografien.
Porcupine Tree habe ich das erste Mal 2001, beim 11. Burg Herzberg OA gesehen, seither sammle ich die Musik dazu, ein großartiges Erlebnis.
Zehn neue, eigene Titel, die im letzten Jahr weltweit (Mexiko, Japan, Israel) zu Band gebracht wurden, deren Stile von Balladen, über Hymnen, zu 'kaltem' Industrie(-Hallen)-Rock, Filmleinwandmusik und Metal so ziemlich alles abdecken. Und immer wieder knallt Pink-Floyd-Musik durch. Alles wurde in seiner Entstehung von Lasse Hoile im Film festgehalten und wird als Bonus, neben einem fetten Booklet, bestehend aus 120 Seiten, als ltd. Edition (4.000 Exemplare) mit zwei CDs angeboten. Ihr seht, es sind keine Kosten gescheut worden, den begeisterten Musikhörern jede Menge zusätzliche Information zu bieten. Die Promo fällt etwas dünner aus, hat dafür aber ein irres Titelangebot, denn jeder der zehn Tracks besteht aus fast zehn Teilen. Ergibt unterm Strich 99 Titel, wer hat das schon?
In "Harmony Korine" könnt ihr schon mal die Augen schließen, da treffen sich Porcupine Tree und Pink Floyd, ein schöner treibender Rhythmus ist Ziel und wird im Zusammenspiel der Musiker schnell erreicht. Gitarrenein- und -Abspiel runden einen grandiosen Song ab.
Reichlich mechanisch, mit Herzschlagrhythmus geht es ruhig weiter, eine schön eingespielte Akustikgitarre haucht der Mechanik ein bisschen Leben ein, bis zu einem Knall, der an die "Wall"-Geschichten Pink Floyds erinnern. Dieses fast schon morbide Zwischenspiel endet und "Abandoner" schließt, wie es begonnen hat.
Und wenn jetzt noch jemand daran zweifelt, dass dieser Steven Wilson mit o.g. Musik groß geworden ist, dann sag ich bloß: Nehmt doch endlich die Ohrstöpsel raus! Das ist so einer meiner heimlichen Lieblingstitel. Der hat alles von kraftvoll, fettem Sound und ruhig, besinnlicher Filmmusik - "Salvaging" sein Name. Das Schöne daran ist, dass Du nicht weißt, was als nächstes kommt und wenn Du den Schluss hörst, würdest Du dem Anfang niemals glauben (das muss man einfach gehört haben). Daran angeschlossen kommt noch so ein wunderbares Stück daher, ruhig mit widerhallender Stimme, sanftem Angesang im vermeindlichen Refrain und mich immer an Gilmour, Waters und Co. erinnernd. Und nun bleibt dieser Stil bis zum Schluss, dem Song darfst Du trauen.

"No Twilight Within The Courts Of The Sun" (ist ja auch eine klare Aussage) ist der komplette Bruch mit bisher Gehörtem, eher disharmonische Gitarrenklänge vor rauem, Bass- und Schlagzeug-betontem Rhythmus. Ein sehr experimentelles Gitarrensolo (oder ist es nur ein -spiel) steigert sich mit Bass und Schlagzeug zu ungeahnter Lautstärke (wenn Ihr den Regler richtig aufdreht) um ebenso abrupt im fast gesprochenem Gesang zu enden, der kurz darauf vom eben unterbrochenen lauten Instrumentalspiel aufgenommen wird, sich mit dem Gesang vereinigt und für kurze Zeit dominierend die Nummer bestimmt. Fast melodiös ereignet sich vorm Bass-Schlagzeug-Hintergrund ein Zwischenspiel, Keyboard-orientiert (man könnte meinen, es sei Dream Theater). Und zum Schluss gibt es volle Lautstärke!
"Dark Side Of The Moon"-mäßig ist "Significant Other" angesiedelt - ruhiger, teilweise verspielter, mitunter zweistimmiger Gesang, sehr schöne Gitarren im Hinter- und Vordergrund, mal derb, mal sehr sauber, ein leicht treibender Rhythmus, der mit Glocken- bzw. Spieluhrenspiel endet (noch so ein heimlicher Favorit).
"Only Child" ist ein 'normales' Lied, das schnörkellos vom Anfang bis zum Ende durchgespielt wird, speziell einzig daran ist der Keyboardeinsatz; ein feines Stück!
An filmische Eindrücke erinnert "Twilight Coda": Akustische Gitarre, Keyboard, bedrohliche Hintergrundkulisse, ein wenig Windspiel - es scheint an uns vorbei gegangen zu sein - mag das sagen.
Sparsamst gesungen, nur mit den Tasten zu Beginn begleitet, öffnet sich instrumental ganz langsam "Get All You Deserve", um gegen Ende auf- und auseinanderzubrechen, hart, mit ein paar wabernden Gitarren. Da kommt ein wenig Endzeitstimmung auf, Chaos in der Struktur, etwas beunruhigend. Doch am Ende wird alles gut. Ein ganz hervorragendes Stück Ballade rundet ein Album ab, das nicht ganz Porcupine Tree ist, dafür aber ganz und gar Steven Wilson.
P.S. Immer noch Fragen?? Wechselt mal den Ohrenarzt!
Tracklist
01:Harmony Korine
02:Abandoner
03:Salvaging
04:Veneno Para Las Hadas
05:No Twilight Within The Courts Of The Sun
06:Significant Other
07:Only Child
08:Twilight Coda
09:Get All You Deserve
10:Insurgentes
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