Puuh… alt, bzw. älter oder einfach nur in die Jahre gekommen sieht er auf dem Cover seines neuen Albums aus, der gute Tom. Aber hat das was zu bedeuten bei einem Mann, der bereits mit Mitte Zwanzig mit (abgewetztem) Anzug und Krawatte auf die Bühne ging, sich so gab, als hätte er schon mindestens zwei Jahrzehnte mehr auf dem Buckel und der Leber? Tom Waits' Auftreten zu Beginn seiner Karriere Anfang der siebziger Jahre war, als wäre er einer der Beatnicks aus Jack Kerouac's Buch "On The Road (Unterwegs)" im Jahr 1948, hoffnungslos dem Jazz verfallen und immer auf der Suche nach dem nächsten Kick, dem nächsten Drink, dem nächsten Zug, fasziniert von der Spannung, wohin dieser ihn, selbstredend als Blinder Passagier reisend, wohl hinführen wird.
Dabei war es für die Presse damals schlicht und ergreifend verwirrend, dass Waits einfach so tat, als ob es die wilden Sechziger mit all ihren Umwälzungen und Revolutions-Ansätzen überhaupt nicht gegeben hätte. Oder dass er sie auch einfach nur 'verpasst' hat, während er damit beschäftigt war, sich die Monate und Jahre als desillusionierte, vom Leben enttäuschte und nicht gerade oft nüchterne Barfliege am Tresen zu vertreiben. Nicht selten verwischten die Grenzen zwischen zugelegtem Image und der eigentlichen Person Tom Waits ganz gehörig. Anfang der Achtziger war Schluss. Tom zog einen Schlussstrich unter Los Angeles, unter Alkohol und Drogen und unter seine bis dahin veröffentlichte Musik!
Umzug nach New York City (dem krassen Gegenpol zu Los Angeles), Heirat, ein enthaltsames Leben und vollkommen neue Musik sollte es sein. War es auch, wie sich mit der "Frank's Wild Years"-Triologie (bestehend aus den Alben "Swordfishtrombones" (1983), "Rain Dogs" (1985) und dem 1987er "Frank's Wild Years") für den ein oder anderen schockierten Alt-Fan herausstellen sollte. Und nachdem die Achtziger mit dem sogenannten (der Rezensent hat da doch erhebliche Zweifel) Live-Album "Big Time" (1988) abgeschlossen wurden, erschienen auch weiterhin mehr oder weniger regelmäßig neue Waits-Scheiben. Was in den letzten 30 Jahren aber leider zur Seltenheit verkommen ist, sind Konzerte bzw. gar Tourneen des Musikers, der nach eigenen Erzählungen in einem Taxi geboren wurde. »Meine Mutter musste sich ganz schön beeilen, denn wir hatten kaum Geld und das Taxameter lief noch…«.
2008 war es schließlich mal wieder soweit und Waits war in den USA und Europa unterwegs. Festgehalten auf seinem neuen, bereits im letzten Jahr erschienenen Album "Glitter And Doom". Nachdem auf den vorhergegangenen Live-Scheiben "Nighthawks At The Diner" (1975) und "Big Time" die jeweiligen Dekaden bereits 'abgearbeitet' wurden, ist es natürlich nicht verwunderlich, dass sich hier auf die Zeit von den Neunzigern an aufwärts konzentriert wird. Und wie sollte es anders sein, als dass sich Tom auch hier durch seine Tracks röchelt, krächzt, growlt und schimpft. Zurück in die Achtziger geht es nur für ein paar Stippvisiten zu dem jetzt schon als Klassiker zu bezeichnenden Album "Rain Dogs" ("Singapore") und dem "Big Time"-Hoehepunkt "Falling Down".
Ansonsten wird eine starke und ausgewogene Mischung aus den letzten beiden Jahrzehnten geboten, die keinen Waits-Fan enttäuschen wird. Wie auch? Waits ist Waits und selbst wenn er das mal anders planen würde, so könnte er trotzdem gar nichts anderes als eben Tom Waits zu sein. Was für ein Original! Wer diesen Kerl, der ganz früher nach Verspielern immer gern behauptete, dass sein Piano eigentlich Schuld daran sei ("The Piano Has Been Drinkin' - Not Me") kennt, der weiß, dass ihn auch auf dieser Scheibe die Qualität erfreuen wird, die er erwartet. Für Neueinsteiger vielleicht nicht unbedingt geeignet (da bieten sich eher die Studio-Höhepunkte an), kann man als Waits-Liebhaber bedenkenlos zugreifen.
CD 2 bietet knapp 36 Minuten "Tom Tales". Songs werden hier keine geboten, vielmehr gibt uns Tom einen kleinen Einblick in seine manchmal etwas sonderbare Gedankenwelt. Englisch-Kenntnisse vorausgesetzt, sorgt das für ein Dauergrinsen und des Öfteren auch mal für einen kräftigen Lacher. Der Mann ist nicht nur ein klasse Musiker, sondern auch ein Entertainer vor dem Herrn! Wenn er auch einen… wie soll ich sagen? … etwas speziellen Humor hat.
Nicht wenige Hochkaräter, wie u. a. Bruce Springsteen ("Jersey Girl"), The Eagles ("Ol' 55") oder Rod Stewart ("Downtown Train" sowie "Tom Traubert's Blues (Waltzing Matilda)") hatten Megahits mit den Songs von Tom Waits (ohne sie auch nur annähernd so intensiv vortragen zu können wie das Original), während der ehemalige Bewohner eines Motel-Zimmers (der sein Nachtlager gerne auch mal unter einem Kneipentisch aufschlug) und spätere Familienmensch irgendwie immer noch Kultstatus hat und nie wirklich große Popularität bei den Massen gefunden hat. Aber vielleicht ist genau das ja auch sein Geheimnis.
Mein erster spontaner, gedanklicher Impuls in Zusammenhang mit dem Namen Tom Waits ist immer noch der, irgendwann und irgendwo tief in der Nacht in einer schlecht besuchten Bar zu sitzen, während der Meister in die Tasten eines verstimmten Pianos greift und mich mit seinen verschrobenen Melodien und Witzen unterhält. Fast so wie auf CD 2 eben, nur ergänzt mit Songs.
Line-up:
Tom Waits (vocal, guitar, piano)
Vincent Henry (woodwinds, harmonica, saxes, guitar)
Omar Torez (guitar, cigar box, banjo, mandolin)
Casey Waits (drums, percussion)
Sullivan Waits (guest appearance on sax and clarinet)
Patrick Warren (piano, reed organ, chamberlain, mellotron)
Seth Ford-Young (upright bass)
Tracklist |
CD 1:
01:Lucinda/Ain't Goin' Down
02:Singapore
03:Get Behind The Mule
04:Fannin Street
05:Dirt In The Ground
06:Such A Scream
07:Live Circus
08:Goin' Out West
09:Falling Down
10:The Part You Throw Away
11:Trampled Rose
12:Metropolitan Glide
13:I'll Shoot The Moon
14:Green Grass
15:Make It Rain
16:Story
17:Lucky Day
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CD 2:
01:Tom Tales
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Externe Links:
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