Tom Waits war und ist nach wie vor eine der (mittlerweile leider nur noch wenigen) Personen im Musikbusiness, die nicht nur das Wort 'Mythos' über sich schweben haben, sondern es sprichwörtlich verkörpern. Ein wahrer
Meister der Selbstdarstellung, ein wahrer Meister darin, etwas vorzugeben, was er gar nicht ist und ein wahrer Meister darin, was er ist so übertrieben und pathetisch darzustellen, dass man annimmt, er würde gerade wieder mal eine neue turbulente Geschichte über eine andere Person erzählen, die größer als ihr eigener Schatten ist.
Die Debütalben von Waits und Bruce Springsteen wurden im Jahr 1973 jeweils als die Newcomer-Sensation und Hoffnung für die Zukunft gefeiert. Beide Musiker gingen in den Folgejahren ihren Weg, allerdings in komplett
verschiedene Richtungen. Springsteen wurde ein millionenschwerer, dem Mainstream freundlich gesinnter Rocker, während Waits den ursprünglich kreierten Charakter des versoffenen Barroom-Pianisten, der Geschichten vom proletarischen Leben, bzw. das des Mannes auf der Straße, von Verlierern, Pennern, Einzelgängern und denen, die auf dem holprigen Weg des Lebens
zwischendurch vom Wagen fallen, ernsthaft adoptierte.
Und das bis zu dem Punkt, wo die Grenzen zwischen dem kreierten Charakter und der Person Tom Waits total verschwammen und irgendwann nicht mehr zu trennen waren. Aber genau das macht die Songs dieses Musikers so gut, so
glaubhaft, so unverwechselbar.
Waits bringt es fertig, einen mit seinen Geschichten, bzw. Songs in seine Welt hineinzuziehen. Ganz gleich, welcher Beschäftigung ich gerade nachgehe oder welche Uhrzeit gerade ist, wenn nebenbei z.B. "The Piano Has Been Drinking (Not Me)" oder "Christmas Card From A Hooker In Minneapolis" läuft, befinde ich mich innerhalb kürzester Zeit gedankenmäßig in einer Bar, in der der hoffnungslos betrunkene Haus-Pianist verzweifelt nach Entschuldigungen für seinen Zustand sucht, oder ich durchlebe das (wahrscheinlich kaum zu entziffernde) Gekritzel auf einer Weihnachtskarte, geschrieben in purer Verzweiflung, dem Frauenknast noch ein letztes Mal zu entkommen.
Ja, Waits ist überzeugend. Und er ist verdammt gut! Dazu in Interviews (ähnlich wie Bob Dylan) einfach nicht zu fassen, nicht festzunageln. Der gute Tom ist schlagfertig, hat auf alles eine Antwort (auch wenn diese für den jeweiligen Fragesteller manchmal etwas...ähm...verwirrend sein kann) und hat selten Lust, die eigentliche Wahrheit einer guten Geschichte in den Weg kommen zu lassen.
"Under Review 1971 - 1982" ist kein offizieller Tom Waits-Release und auch nicht von ihm autorisiert. Es ist vielmehr der Versuch, dem Phänomen Waits etwas näher zu kommen. Es kommen mehrere Leute aus dem Business (u.a. zwei seiner ehemaligen Produzenten) und Musik-Journalisten, sowie Patrick Humphries (der Autor des Buches "Wild Years: The Music and Myth Of Tom Waits") zu Wort und es wird die Geschichte des Protagonisten der Jahre 1971
bis 1982 erzählt.
Klasse ist, dass über jedes einzelne Album aus dieser Periode gesprochen, also nichts ausgelassen wird. Leider wird nie wirklich in die Tiefe gegangen, da das den zeitlichen Rahmen wohl gesprengt hätte. Man kann durchaus die ein oder andere Neuigkeit erfahren, je nachdem wie hoch der Informationsstand des jeweiligen Fans bzw. Interessierten ist. Dazwischen gibt es immer wieder mal (viiiel zu kurze) Ausschnitte von TV-Auftritten und mit der Kamera festgehaltenen Konzerten aus der gerade thematisierten Zeitspanne.
Grundsätzlich ist die DVD für alle Interessierten gut und sehr informativ, die bisher nur wenig oder gar nichts über Tom Waits wussten. Wer bereits ein oder mehrere Bücher über den Amerikaner gelesen hat, wird allerdings
wenig Neues erfahren.
Im Bonusteil gibt es dann noch ein längeres Interview mit Bones Howe, der alle Waits-Alben von "The Heart Of Saturday Night" (1974) bis "Heartattack And Vine" (1980)" produziert hatte, "Das schwerste Tom Waits-Quiz auf der ganzen Welt" mit 25 Fragen, die tatsächlich nicht ganz so einfach sind und Biografien der Personen, die zur DVD beigetragen haben.
Abschließend hätte man meiner Meinung nach ein bisschen weniger reden sollen und dafür längere Ausschnitte von Waits Auftritten aus den 70ern bringen können. Die paar gezeigten Schnipsel sind nämlich nicht allzu weit von dem Wort 'Sensationell' entfernt und eine Riesenfreude für jeden Waits-Fan. Trotzdem letzten Endes (und ich wiederhole mich hier gerne) gut und informativ gemacht.
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