Tony Joe White / Hoodoo
Hoodoo Spielzeit: 45:48
Medium: CD
Label: Yep Roc Records, 2013
Stil: Blues Rock

Review vom 03.10.2013


Steve Braun
In den USA gibt es eine recht erfolgreiche Reality-TV-Serie mit dem Titel "Swamp People". Das hat schon was von televisionärer Menagerie, wenn hier in Sümpfen Louisianas lebende Cajuns - oder 'les acadiens', wie sie sich selbst oft nennen -, quasi in freier Wildbahn beobachtet werden. Wenn 'Alligatoren-Flüsterer' zu 'Königen der Sümpfe' erkoren werden, hat das fast schon etwas Tragikomisches an sich. Was gibt es schließlich Schöneres, als freakige Rednecks am Nasenring des Kommerzfernsehens durch die Manege der Volksbelustigung zu führen...
Jeder, der dagegen schon einmal persönlich in den Sümpfen von Louisiana, in weitem Bogen um das Mississippi Delta gezogen, war, wird von magischen, ja mystischen Szenerien sprechen, die einen ganz tiefen Eindruck hinterlassen haben. Kein Wunder, dass gerade dort das Parapsychologische sich tief in die Seelenwelten und Lebensrealitäten der Sumpfbewohner eingegraben hat. Die (meist völlig missverstandene bzw. fälschlich dargestellte) Voodoo-Religion - eine merkwürdige Mixtur aus Katholizismus und kreolischen/afrikanischen Bräuchen - spiegelt beides wider. Die Menschen stehen zumeist selbstbewusst zu diesen Traditionen. Jeder, der etwas auf sich hält, wird hier ein Mojo - einen mit einem Hoodoo-Zauber belegtes Amulett oder Talisman - bei sich tragen.
Mehr als einmal hat man Tony Joe White als den 'König der Sümpfe' bezeichnet. Gut, der Mann ist in Oak Grove, bereits dicht an der Grenze zu Arkansas und damit schon etwas abseitig der Swamps gelegen, geboren worden. Doch der nahe Ol' Man River brachte ihm bereits früh die Cajun-Musik aus dem Süden mit, die TJW ebenso tief berührte wie bspw. der Country- und Texas Blues eines Lightnin' Hopkins. An diesen Punkten ergibt sich plötzlich eine hochinteressante Querverbindung zu einem gewissen John Campbell, dem Hoodoopriester des Blues. Ob es je zu einer persönlichen Begegnung der beiden kam, ist nicht überliefert - musikalisch sind sie jedenfalls Brüder im Geiste. Es scheint, als ob der 1993 verstorbene John Campbell in seiner Funktion als Papa Legba Tony Joe White mit seinem blitzartigen Wanderstock berührt habe und als Manifestation dieser Inspiration das hier vorliegende neue Album "Hoodoo" entstanden sei.
Tatsächlich durchzieht "Hoodoo" vom ersten Ton an diese Mystik, die den beiden Masterpieces John Campbells - "One Believer" (1991) und "Howlin' Mercy" (1993) - innewohnte. Dazu trägt natürlich auch Tony Joe Whites markante Stimme bei, ein schnurrend-weicher Bariton, der zwar über keine größeren Modulationsfähigkeiten verfügt, dafür aber den Hörer sinnbildlich am Ärmel packen und mitziehen kann.
"Hoodoo" nimmt die entspannte Grundstimmung von "The Shine" (2010) auf, verpasst ihr jedoch eine insgesamt deutlich rockigere Prägung. Alle Songs basieren auf einem Grundthema, das minutenlang - mit nur dezent gesetzten, aber durchaus effektiven 'Farbtupfern' - dahingroovt. Durch das ständige Repetieren, diese gewisse Monotonie, entwickeln die Stücke einen geradezu hypnotischen, fast schon okkulten Charakter, der den Hörer förmlich gefangen nimmt und in Tony Joe Whites mystisch-magische Zwischenwelten entführt...
Gleich das eröffnende "The Gift" ist so ein Schwarzes Loch, das einen aufzusaugen scheint und ins Nirgendwo fallen lässt. Mit ganz einfachen Elementen wird hier eine unglaubliche Spannung erzeugt... mal ein gluckerndes Wurlitzer - mal schwerst angefuzzte Gitarren. Bei "Holed Up" hört man die deutlichsten Bezüge zum Blues des John Campbell heraus - auch dieser hatte mit sich ständig wiederholenden Grundmustern gespielt. Wie bei "Who You Gonna Hoodoo Now?", einem der Paradestücke dieses Albums, wird dadurch eine jammige 'Ursuppe' erzeugt, in der sich die gesamte Truppe nach Herzenslust austoben kann - mit Wah Wah-Pedal, Fuzz Box und natürlich einer mysteriös flirrenden Hammond.
In "9 Foot Sack" wird es autobiographisch - White murmelt vom kümmerlichen Leben auf dem elterlichen Bauernhof, während hinter ihm ein schier endloser Hooker-Boogie stampft. "The Flood" erzählt von der schweren Flut von Nashville, Whites Wahlheimat, und ihren Nachwirkungen bis in heutige Tage. Auch der "Gypsy Epilogue" scheint ganz tief in Lebenserinnerungen zu wühlen - das wohl intensivste 'Mojo' dieser Perle von einem Album!!
Dazwischen wird auch schon mal munter abgerockt wie bei "Alligator Mississippi" oder "Storm Comin'", aber immer mit diesem geheimnisumwitternden Kolorit. Was für ein Zahn in Tony Joe Whites Mojo-Zauberbeutelchen auch stecken mag, es muss sich um Weiße Magie handeln, wie "Sweet Tooth" beweist. Ein Stück von der Sorte 'Groovt-auch-problemlos-zwanzig-Minuten-lang'...
»Hier klingt ein Song wie der andere...« möchte ich an dieser Stelle mal zwei Leute aus meinem Umfeld zitieren, was ich absolut nachvollziehen kann. Für "Hoodoo" brauchst du eben das 'Shining', sonst ist die Gefahr groß, dass du das Glitzern der Perlen im sumpfigen Schlamm übersiehst.
Tony Joe Whites hat für die neun Songs von "Hoodoo" alle Furchen durchflügt, die seine siebzig Lebensjahre hinterlassen haben. Es ist ihm ein richtig überzeugendes Spätwerk gelungen - kein Pakt mit dem Teufel, dafür einer mit dem Leben.
Line-up:
Keine Angaben möglich!
Tracklist
01:The Gift (4:23)
02:Holed Up (4:44)
03:Who You Gonna Hoodoo Now? (4:28)
04:9 Foot Sack (5:54)
05:Alligator Mississippi (4:21)
06:The Flood (7:30)
07:Storm Comin' (4:26)
08:Gypsy Epilogue (5:05)
09:Sweet Tooth (4:37)
Externe Links: