 In diesem Jahr bewegt sich mein Konzertleben in einer Richtung, wie ich es bisher nur ganz selten erlebt habe. Neben den 'üblichen Verdächtigen', das heißt den Bands, die zu meinen absoluten Faves in Sachen Musik gehören, und die ich so oft es geht am Bühnenrand miterlebe, kommt es in jüngster Vergangenheit immer wieder zu Begegnungen mit Acts, die ich bisher kaum kannte und auch nur vom Namen her wahrgenommen hatte. So langsam baut sich in dieser Kategorie eine kleine Serie auf, denn mein Terminkalender sorgte am heutigen Freitag für das inzwischen dritte Konzert hintereinander, bei dem ich eine Gruppe näher kennen lernen sollte, von der ich noch nicht all zu viel gehört hatte.
 Aufmerksam auf die Van Wilks Bluesband wurde ich, als mir die aktuelle CD Running From Ghosts auf den Schreibtisch flatterte und darauf wartete, von mir bewertet zu werden. Schon der 'Waschzettel' hörte sich interessant an, denn da war von »Texas Blues« und »Boogie a la ZZ Top« die Rede, und bei solchen Beschreibungen werde ich generell hellhörig und stelle die Lauscher automatisch auf Empfang. Was mir dann aus den Boxen entgegen dröhnte konnte sich wahrhaft hören lassen. Kraftvoll und fetzend ging es zur Sache, also geradezu ideal für Livekonzerte. Außerdem hörte sich auch die Vorankündigung sehr vielversprechend an. Das Konzert konnte kommen, die RockTimes-Redaktion, Filiale Niedersachsen, war bereit für neue Taten.
 Als wir gegen 20.00 Uhr die Bluesgarage erreichten, zeichnete sich gleich mal wieder ab, dass auch dieser Gig in einem, sagen wir mal 'sehr familiären Kreis' ablaufen würde. Wie schon bei Henrik Freischlader und Rob Tognoni platzte der Saal nicht gerade aus allen Nähten. Also abermals das übliche Problem, mit dem fast alle Musiker dieses Genres zu kämpfen haben, wenn sie nicht gerade zu den absoluten Topacts der Rockmusik gehören. Doch zum Glück können auch hundert Leute richtig Alarm machen, wenn ihnen gute Leistungen auf der Bühne geboten werden. Gerade für diese Objektivität ist das treue Bluesgaragen-Publikum weit über die Grenzen von Isernhagen hinaus bekannt. Starke Konzerte werden auch stark gewürdigt. Also bestand keinerlei Grund zur Panik hinsichtlich der Lücken vor dem Auftrittsort.
 Zweite Feststellung des Abends: Auch die Van Wilks Bluesband trat in Trio Besetzung an. Diese Minimalstärke an Musikern ist im Moment bei vielen Gruppen zu beobachten und eigentlich auch ideal in Sachen Blues- und Bluesrock. Schon vor Jahrzehnten lieferten Bands wie Taste, Cream, Johnny Winter und Rory Gallagher zu dritt ganz starke Scheiben und Auftritte ab, bei denen es an nichts fehlte, und die nicht durch den Einsatz von zusätzlichen Instrumenten verwässert wurden. Auch viele der im Moment angesagten Bluesrocker wie Julian Sas, Joe Bonamassa, Aynsley Lister und Ian Parker setzen meistens auf eine Dreier-Besetzung.
 22.00 Uhr, pünktlich wie die Maurer, betreten Dave Ray (bass, vocals), Karen Biller (drums, sieh an, schon wieder eine Schlagzeugerin!), und Namensgeber Van Wilks (guitar, vocals) bei gefühlten 55 Grad Celsius die Bühne. Karen barfuss und mit Handtasche(!), und der Bandleader in schwarzer Lederjacke. Allein dieser Anblick treibt mir schon den Schweiß aus allen verfügbaren Poren. Mein Gott, der Junge wird heute aber vor sich hinölen. Und dann diese Musik! Texas Boogie vom ersten Ton an, gleich volles Rohr im schönsten ZZ Top-Stil der Achtziger Jahre. Kein Wunder, dass die 'Bärte' nicht nur mit Van Wilks befreundet sind, sondern auch zu seinen Fans gehören.
 So spielen sich die drei Bandmitglieder aus Austin, Texas, mit einer enormen Lautstärke durch das gut hundertzwanzigminütige, zweiteilige Konzert, fast ohne auch nur mal kurz zu verschnaufen. Zwischen den einzelnen Songs gibt es nur knappste Ansagen, und viele Titel gehen auch direkt ineinander über. Nichts kann das Tempo der Band stoppen. Das ist wirklich hundert Prozent Musik, und man kommt kaum dazu, zu applaudieren. Auch in dieser Beziehung immer volles Brett. So muss das sein. Es dauerte natürlich nicht lange bis Bewegung in die Leute kam. Von vorn bis hinten wippten die Zuhörer mit allem was sie hatten, zu diesem wirklich großartigen Sound. Es war aber auch völlig unmöglich still auf einem Fleck stehen zu bleiben, so ansteckend wirkten die Rhythmen. Einige weibliche Fans machten fast während des kompletten Konzertes den Platz vor der Bühne zur Tanzfläche und sorgten auch so für ein gutes Feeling.
Van Wilks hatte, im wahrsten Sinne des Wortes, alle Hände voll zu tun. Immer wieder pendelte er von seinem Gesangsmikrofon am linken Bühnenrand (Warum stehen bei den meisten Trios eigentlich die Gitarristen fast immer auf der linken Seite?) zur Mitte, wo er dann zu seinen Soloattacken ansetzte. Überhaupt spielte er sehr publikumswirksam mit abenteuerlich aussehenden Grifffolgen auf seiner Gitarre. Auch Wah-Wah Pedal und Verzerrer kamen oft und gut zum Einsatz. Optisch am Stärksten war er aber immer dann, wenn er mit einer Hand sein Instrument traktierte und mit der anderen versuchte seinen 'Bottleneck' aus der Hosentasche zu ziehen, um zum Slide-Spiel überzugehen. Wirklich ein Bild für die Götter!
 Natürlich gab es etliche Nummern von der aktuellen CD "Running From Ghosts" auf die Ohren. Darunter mit "On The Edge" das einzige etwas ruhigere Stück, wenn man mal davon absieht, dass auch ein Slow-Blues mit eingebaut wurde. Selbst auf Funkrock brauchte man bei diesem Gig nicht zu verzichten. Auch das beherrschten die Texaner perfekt. Zwei Coverversionen hinterließen bei mir den nachhaltigsten Eindruck. "Morning Dew", schon unzählige Male nachgespielt, unterlegte er mit gleich zwei sehr gut passenden Gitarrensoli hintereinander, wobei beim zweiten der oben bereits erwähnte 'Flaschenhals' zum Einsatz kam. Desweiteren ließ er sich an Traffics Meisterwerk "The Low Spark Of High Heeled Boys" aus dem Jahr 1971 aus, das er auf seine ganz spezielle Art und Weise interpretierte. Diese beiden Songs sind ebenfalls auf dem letzten Album der Van Wilks Bluesband enthalten.
 Nach zwei Stunden war dann Schluss, und wir erlebten noch eine Neuheit in Sachen Konzerte in Isernhagen. Diesmal gab es nicht, wie sonst üblich, den stürmisch geforderten 'Zugabe'-Applaus. Alles wirkte zwar höflich aber dennoch irgendwie zurückhaltend. Manche Leute verließen sogar schon unmittelbar nach den letzten Takten die Veranstaltung. Und das obwohl wir ein sehr gutes Konzert gesehen und gehört hatten. Unglaublich! Das war sogar für mich etwas völlig Neues. Als dann Van Wilks auch noch die Saiten seiner Gitarre wechseln musste und um zwei Minuten Geduld bat, war die Stimmung total im Keller. Es herrschte für einen Moment lang Totenstille im Saal. Schließlich gab es doch noch zwei Zugaben, und die Bluesgaragen-Welt war wieder in Ordnung.
Diesen kleinen Zwischenfall kann ich mir nur durch die hohen Temperaturen erklären. Wie gesagt: Es herrschten gefühlte 55 Grad!
Aber kurzzeitiges Schwächeln ist ja nur menschlich.
Van Wilks Bluesband - Running From Ghosts Tour 2006, 14. Juli 2006, Bluesgarage Isernhagen
Jürgen Bauerochse, 18.07.2006
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