Ein Flecken Erde, der wie kein anderer den Inbegriff vom La Dolce Vita und kulleräugigen Papagallos, welche bestenfalls so manche Frauenherzen höher schlagen ließen, bedient, und dessen so sonnig beseeltes Volk offenbar unheilbar von Morbus Berlusconi infiziert scheint, vermochte neben der allseits gefürchteten Italo-Disco hingegen auch mit seiner musischen Vorliebe für akademischen Rockschmelz Eckpunkte zu
platzieren.
Beflügelt von der studentischen Sehnsucht nach musikalisch intellektueller Anerkennung, welche in den Sechzigern von der traditionsverbundenen königlichen Insel erstmalig formuliert wurde, erbot sich das Land blühender Zitronen als fruchtbarer Nährboden für mediterrane Komplexität und ohrwurmverdächtigen Kunst Rock.
Der anfängliche Entwurf, die biblische Schöpfungsgeschichte und menschliche Evolution musikalisch äußerst innovativ zu thematisieren, und der Weg einer Gruppe unerfahrener Schuljungen mit kreativer Weitsicht zu populärsten bzw. virtuosesten Jongleuren exzentrischer Bühnenoptiken und filigraner Prog-Suiten infizierte auch zahlreiche Nacheiferer außerhalb der leichten Muse.
Die verheißungsvolle Formation um ihren charismatischen Frontmann Peter Gabriel nebst einer Handvoll angelsächsischer Musikpioniere diente somit als musikalischer Katalysator und Initialzünder für eine bis heute potente bzw. ehrgeizige Prog Rock-Szenerie im südländischen Stiefel, welche, anstatt lässig den grundlegenden Säulenheiligen hinterherzuschlendern, durchaus eigene Erfolgsrezepte zu kreieren vermochte.
So scheuten Sänger und Komponist Simone Rosetti und seine Gefolgschaft Ende der Neunziger nicht davor zurück, den längst verblassenden Geist ihrer musikalischen Kindheitshelden aus der verstaubten Krypta auf den umlichteten Altar eines Tonstudios zu zerren.
Eingetunkt in die stilistisch frühesten Reinheitsgebote Gabrielscher Hirngespinste, bearbeiteten die Mailänder Protagonisten mit originalem analogen Trödel, wie Hammond L122, Honer Electric Piano, Bass Pedals, Mellotron und Querflöte dessen fantasievolle Blaupausen, um mit möglichst eigenen Arrangements in freiem Geiste den
Schmähungen ihrer Kritiker unbeirrt entgegenzutreten.
Anstatt sich in feinster Guttenbergscher Manier mit meisterlichen Plagiaten zu schmücken, transportieren die Fünf zwar die handwerklichen Tugenden der rotznäsigen Genesis durch die Zeitmaschine und berauben deren Keller-Preziösen in Ansätzen ihrer Unschuld, brennen aber dennoch weitestgehend mit unbeirrbarem Elan ihre Zeichen in ein überstrapaziertes Korsett.
Seit mittlerweile einer Handvoll Veröffentlichungen bemühen sich die Musiker, aus dem erleuchteten Kreis der reinen Nachahmer und deren stagnierendem Fahrwasser auszuscheren, wurden aber bisher allenthalben von blauäugigen Retrosklaven bzw. Konsumenten unterschwellig zur musikalischen Klonerie genötigt.
Nun möchte man bezüglich des neuesten Studiowerkes nicht unbedingt behaupten, dass sich die Akteure als besonders mutig, noch sonst wie von der bisherigen Norm abweichend erweisen, sie verstehen es diesmal jedoch, mit gespenstischer Hingabe asketischer Schatzgräber, die sanft verschachtelten Siebziger-Memorabilia auf Feinheiten justiert und glaubhaft emanzipiert zu recyceln, ohne jegliches musikalisches Fußnötchen zu verleugnen.
Der Italiener ursprünglicher Plan, den gesamten zur Erfolglosigkeit verdammten Schnellschuss der einstigen Charterhouse-Privatschüler "From Genesis To Revelation" aufzupolieren, musste glücklicherweise aus urheberrechtlichen Gründen verworfen und neu überdacht werden.
Nun suhlen sich Rosettis Mannen mit den einzigen der Urfassung entrissenen Zutaten "In The Wilderness" und "Let Us Now Make Love" nicht im schmatzenden Sumpf repetiver Ideenarmut, sondern verhelfen dem Rest der zum Teil reproduktiven Arrangements zu einem erfrischten Eigenleben und nachträglicher Bewährung.
Dabei schöpfen diese wie in der Vergangenheit nicht in der fetten Soße ausgeklügelter Überlängen, reduzieren lediglich die gloriosen Tastensounds und bedeutungsschwangeren Saiten nebst einer Gabrielschen Kopfstimmen-Dublette auf den entscheidenden Anteil der gewissermaßen ummodellierten Originale.
Demnach beschränken sich die Musiker eben nicht nur aufs nackte Nachäffen der übermächtigen Briten, sondern injizieren beispielsweise Gabriels enthusiastischsten Ausbrüchen in "The Wilderness" oder dem spannungsgeladenen instrumentalen Habitus in "Let Us Now Make Love" als trotzige Hommage eine exakt bemessene Eigentinktur musikalischen Dopamins.
Man vernimmt auf "Timeless" sehr viel Vertrautes und dennoch eine das Säurebad durchlaufene und vom ursprünglichen Zuckerguss entkernte Konstellation, sie schenkt dem einst von Kritikern zerfledderten 69er Gesellenrelikt nun endlich ein gereiftes und selbstbewusstes Gesicht.
Ob sich die Signori mit der auffrisierten Re-Interpretation "Soaring On" nochmals augenzwinkernd hofieren oder das konzertante Lehrstück für Noten-Kopisten "Stagnation" hierbei als Fan-beschwichtigende Lückenfüller nötigen mussten, bleibt wohl ihr Geheimnis.
Den Italienern scheint es mit ihrem fünften Studioalbum nun endlich gelungen zu sein, sich einen wackeligen Schritt weit vom stubenreinen Klon-Image entfernt und dafür an gehörigem Quäntchen künstlerischen Profils dazugewonnen zu haben.
Eine Stelle als erfindungsreiche Replikanten eines vom musischen Forscherdrang beflügelten Lebensgefühls ist den trendfernen Südländern auf jeden Fall sicher, den militanten Lästerern dagegen möge Rosetti ein markerschütterndes »Music, all I hear is music« entgegenschmettern.
Line-up:
Simone Rossetti (vocals, mellotron, synths, flute)
Giorgio Gabriel (electric guitars, 6-12string acoustic guitars)
Guglielmo Mariotti (bass, moog bass pedals, 12string e, ac guitars, vocals)
Valerio De Vittorio (pianos, honer electric piano, hammond L122, synths, mellotron)
Marco Fabbri (drums, percussions)
(Gast) John Hackett (flute)
Tracklist |
01:The Watch
02:Thunder Has Spoken
03:One Day
04:In The Wilderness
05:Soaring On
06:Let Us Now Make Love
07:Scene Of The Crime
08:End Of The Road
09:Exit
10:Bonus: Stagnation (From The Blue Show 2010)
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