"Avantgarde" - sicher keine sehr aussagekräftige Bezeichnung, um die Musik von Rena Meyer Wiel (vocals) und Rolf Beydemüller (guitars, soundscapes, bow) alias White Canvas näher zu definieren. Aber es fällt auch schwer, diesem Projekt-Duo und seinem Album "Hundreds Of Ways" begrifflich näherzukommen.
»Für Abenteurer, Suchende, Menschen auf dem Weg. Die Klangwelt des Duos White Canvas bewegt sich zwischen Song, Avantgarde und Improvisation, in einem Gestus von Weite und mit Liebe zum Einfachen, zum Spiel, zu Melos und Detail,« erläutert uns der PR-Text. Nun, ob das geeignet ist, dem Interessenten eine ungefähre Vorstellung von dem zu geben, was ihn mit White Canvas erwartet?
Über die beiden Künstler, die sich hier zusammengefunden haben, lässt sich im Internet wenig in Erfahrung bringen, außer dass sie daneben noch in anderen Projekten arbeiten. Auf ihren jeweiligen Homepages halten sie sich biografisch stark zurück. Rolf Beydemüller verschleiert poetisch seine Vita, taucht aber in einer früheren Jahreszeiten-Compilation-Serie von Ozella Music auf, dessen Chef Dagobert Böhm hier auch co-kompositorisch mitgewirkt hat. Rena Meyer Wiel ist dagegen wesentlich Medien-präsenter. Die klassisch ausgebildete Sängerin hat früher viel in der interdisziplinären Performance-Szene gearbeitet. Nach einigen Reisejahren und dem Kennenlernen anderer Kulturen mit ihren Religionen ist ihr künstlerisches Betätigungsfeld der »Raum zwischen Stimme und Stille«.
Die Zusammenarbeit mit Bobby McFerrin und eine Einladung zum letztjährigen Stimmen-Festival in Lörrach sprechen für ihre Reputation. Mit Beydemüller fand sie offensichtlich einen Partner, mit dem sie sich künstlerisch grenzenlos entfalten kann. 'Freistil' nennen sie selbst ihre Art, Musik zu machen. Was bedeutet nun 'White Canvas'? Es wird uns nicht weiter erklärt; aber mir gefällt die Vorstellung, dass auf einer imaginären leeren Leinwand beim Hören dieser außergewöhnlichen Musik ein individuelles Bild entsteht. Und es gibt sicher Hunderte von Wegen, um der Schöpfung die ihr gebührende Würdigung zuteil werden zu lassen, wie es in dem einleitenden Widmungstext heißt.
'Esoterik' - der Begriff wird sich wohl Jedem aufdrängen, der sich erstmals mit diesem Duo befasst. Schon allein beim Blick auf die Homepage und in das 12-seitige Booklet. Es ist von der Natur, von Gefühls- und Traumwelten und von fernöstlichen Texten die Rede. Ich zweifle nicht an der Ernsthaftigkeit der beiden Künstler und ihrem Streben, andere, als die materiellen Seiten des Lebens anzusprechen und darzustellen. »Music for a multidimensional world « - das ist weder folkloristische Pseudo-Ethno- und Weltmusik mit spiritistischem Brimborium, noch intellektuelle Vergeistigung und schon gar nicht banale Wellness-Dudelei. Auch ohne die Beiden zu kennen, wird dem offenen Hörer wohl schnell bewusst, dass da viel persönliche Auseinandersetzung mit der beseelten Natur und ein hoher Anspruch dahinterstecken.
Und das Duo hat die künstlerischen Mittel, die eigene spirituelle Vorstellung so umzusetzen, dass die Musik auch anspricht. Aber so grenzwertig ist die 'Avantgarde' gar nicht, was 'normale' Hörgewohnheiten betrifft. Der 'gemeine Rockfan' kann jedoch spätestens jetzt abschalten. "Hundreds Of Ways" pendelt zwischen freier Assoziation und relativ gängigen Songstrukturen. Meyer Wiels eindrucksvolle Stimme scattet, singt geschmeidig in englisch, deutsch und Fantasiesprache, oft in mehreren Spuren übereinandergelegt, und irrlichtert (nichts anderes bedeutet "Will o' Wisp") durch die Arrangements. Bewegt sich dabei jedoch immer in hellen, freundlichen Regionen, die dem Ohr gut tun. In Zwiesprache mit den Nylonsaiten von Beydemüllers Konzertgitarre oder eingebettet in die transparenten elektronischen 'Soundscapes' des Partners. Der zupft meist verhalten sein Instrument, im perkussiven Kontext oder wie ein fernes Echo, überzeugt aber auch als traditioneller Begleiter. Allerdings fallen öfters Schnarrgeräusche der Saiten auf. Mitunter greift er auch zur verstärkten Resonanzgitarre, mit der er splitternde Töne und kontrastierende Akkorde produziert. Auf einigen Stücken hören wir ihn als zweite Stimme.
Die Stücke sind fließend und melodisch, bewegen sich zwischen filigran und Ambient-Groove. Mehrfach wurden auch Naturaufnahmen, Live-Takes und originale Ethno-Mitschnitte verwendet. Durch den Wechsel zwischen den eingängigen und den mehr jazzig-experimentellen, den puristischen und den üppigerer ausgestatteten Stücken entsteht eine gute Spannung, die die Scheibe abwechslungsreich und in einem Guss hörenswert macht. Mit freundlicher Empfehlung an den Kopfhörer.
"Hundreds Of Ways" ist kein Album 'für Jedermann', aber für Grenzlauscher der Rockmusik mit Faible für worldmusikalische und vocal-jazzige Abenteuertrips. Ein direkter Vergleich fällt mir nicht ein, aber wem Dead Can Dance ohne die schicksalsdräuende Pose zusagen würde, wer bei Mari Boine das Nordlicht pulsieren sieht, der Erotik Cassandra Wilsons
Stimme erliegt und wer mit Bel Canto in Fantasiewelten abtaucht, der ist hier richtig!
Line-up:
Rena Meyer Wiel (vocals)
Rolf Beydemüller (guitars, soundscapes, bow)
Tracklist |
01:A Fine Wind Is Blowing
02:Cities In The Sky
03:Will o' Wisp Tumbling
04:Morning Sky
05:Go Easy
06:Will o' Wisp Soaring
07:Ambuya
08:Will o' Wisp Running
09:Dayin Dayout
10:Land's End
11:Will o' Wisp Rising
12:Das dunkle Herz
13:Angeli
14:Wooden Melody
15:A City's Heartbeat
16:Fine Wind - Reprise
|
|
Externe Links:
|