Warum um alles in der Welt brüllen wir denn los, sobald die Worte »Out here in the fields« über Rogers Lippen kommen und drehen jedes Mal durch am Ende, wenn es heißt »They're wasted?«
Pete Townshend fragt uns glücksselige Fangemeinde, nachdem sie "Baba O'Riley" in die jubelnde Menge gefeuert hatten: Er gestikuliert und lächelt, konstatiert dann selbst - wir sind wohl 'wasted'. Ein Phänomen, dieser Song - genau wie sein gewaltiger Zwillingsbruder "Won't Get Fooled Again". Beide fehlen natürlich nicht an diesem wunderschön milden Sommerabend am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig.
Zwei überaus entspannt gelöste Protagonisten wirbeln mit ihren nicht minder gut agierenden und nicht unbekannten Bandkollegen 2 1/2 Stunden lang über die Bühne vor historischer Kulisse, auf der sie sich alle sichtlich wohlfühlen. Ein sagenhaftes Hitfeuerwerk brennen The Who ab, gleich von Anfang an. "I Can't Explain", "Anyway, Anyhow, Anywhere", "The Seeker" schmettern die großen, einst lautesten Vertreter der British Invasion in das teilweise beachtlich junge Publikum vor ihnen. Dazu liefern sie eine fantasievolle Bühnenshow mit einer mächtigen 4-teiligen Videoleinwand im Hintergrund der Band als zentralem Bestandteil.
Inspiriert vom Zeitgeist der 60er und dem wohl bis dahin nie da gewesenen Lebenshunger einer ganzen Generation, schwirren und rasen Bilder wie im Kino hinter Daltrey, Townshend und Co. Es wird die Hommage an Elvis - "Real Good Lookin' Boy" - einmal mehr zelebriert, während dieser uns auf Zelluloid in der Blüte seiner Jahre begegnet. Psychedelische Farbspiele hinter den blauen Augen von "Behind Blue Eyes" faszinieren meine eigenen Augen, so dass man gar nicht weiß, wo man zuerst hinsehen soll, um ja nichts zu verpassen: Die Original-Windmühlen von Pete Townshend und Daltreys unverwechselbares Mikro-Schleudern gibt es ja im Vordergrund live! Nicht satthören und -sehen kann man sich. Routiniert, kraftvoll und natürlich 'townshendig' virtuos, durcharbeiten sie die Meilensteine ihrer über 40-jährigen Karriere.
Beeindruckend lösen sie ihre nahezu elegante Seriosität in pure Spielfreude auf. Dann schließlich unterbricht Pete Townshend einstweilen die Nostalgie-Reise, um seine Hörerschaft sanft und behutsam, fast höflich auf seine neue Mini-Opera "Wire & Glass" einzustimmen, dem praktisch zweiten Teil des aktuellen Who-Albums Endless Wire. Für mich ein Werk von unglaublicher Musikalität und Ausdrucksstärke, markant inszeniert, fein strukturiert. Da gibt es alles was klassische Rock-Musik ausmacht: Wunderschöne Melodien, atemberaubende und für The Who so typische Rhythmus-und Tempowechsel, fantastisch aufgebaute Dramaturgien und nicht zuletzt eine zeitlos schöne Geschichte über das Abenteuer Mensch-Musik-Leben.
Wenngleich auch The Who wohl damit leben müssen, dass Neues - steht es seiner Qualität, Intensität und Klasse ihrem Hit-Repertoire auch wirklich in nichts nach - dennoch nie mehr so gefeiert werden wird, wie stets und immer "My Generation" oder "You Better You Bet", das sie wohlwollend, verständnisvoll und obligatorisch gleich hinterherschicken. Eine extended Version von "Relay" fetzen sie gnadenlos und ausgiebig durch die Verstärker, dass es nur so seine Art hat. Das fast zarte, wunderschön melodiöse "The Kids Are Alright" streicheln sie über Stimmbänder und Gitarrensaiten. Ein überdimensionales "Pinball Wizard" verzaubert mit Silberkugeln, die durch den Großstadtdschungel kicken, im Kino hinter der Band.
Und so könnte man einfach jeden Titel erwähnenswerter Weise nennen. Schwächen irgendwelcher Art gab es einfach nicht. Ein irrsinniger Höhepunkt zum Schluss war ganz sicher dann noch "Tea & Theatre", ebenfalls von "Endless Wire". Gänsehaut musste man bekommen, wenn man um den Inhalt dieses Songs weiß - der handelt von den zwei leider nicht mehr lebenden, an sich gleichwertigen und ebenso immer noch schillernden Who-Mitgliedern, denen Daltrey und Townshend auf tief berührende Weise gedenken und die doch grad noch über die Leinwände hinter ihnen flimmerten.
Einen ergreifenden, einmaligen Abend mit einer großartigen und absolut erstklassigen Show durfte man am 16. Juni 2007 in Leipzig erleben. So bleibt eigentlich wieder mal nur eine sorgenvolle Frage: Was wird nur sein, in einer Zeit nach den Who und ihren letzten großen Wegbegleitern?
»Will we be wasted?«
Antwortet mir doch, Who-Freunde und Seelenverwandte!
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