The Who, Support: The Cult
16.06.2007, Völkerschlachtdenkmal, Leipzig
Live
The Who, Support: The Cult
Völkerschlachtdenkmal, Leipzig
16. Juni 2007
Stil: Rock
Zwischen Urgewalt und Nostalgie


Artikel vom 30.06.2007


Ingolf Schmock
Fotos: Axel Clemens
»I hope I die, before I get old« wünschten sich The Who noch 1965, als sie "My Generation" schrieben. Aber zum Glück hat sich dieses sehnsüchtige Motto jener Generation geändert, denn wie es aussieht wollen die Herren Musiker in den 'Besten Jahren' noch lange nicht das Handtuch werfen.
The WhoLeider haben nur zwei aus den wilden Anfangsjahren überlebt: Schlagzeuger Keith Moon hingegen starb schon 1978 an einer kruden Mischung von Tabletten und Hochprozentigem. Ruhepol und Bassist John Entwistle folgte ihm 2002 mit Kokain-induziertem Herzversagen, in den 'eines Rockmusikers oft üblichen Tod'. Die beiden über 60-jährigen Haudegen Roger Daltrey und Pete Townshend halten die alte Rock'n'Roll-Fregatte mit tatkräftiger Verstärkung beharrlich weiter auf Kurs.
The Who»Meine Songs sind nicht mehr für The Who geeignet, darum werde ich nie wieder mit ihnen auftreten, hatte Songschreiber und Gitarrist Townshend 1984 noch vollmundig erklärt.
Zur Freude zahlreicher Rockfans hat sich dieses Statement zum Glück zerschlagen und so kommt man seit einiger Zeit wieder in den Genuss, dieses einmalige Musikergespann auf den Bühnen dieser Welt zu empfangen.
Letztes Jahr überraschten uns die britischen Rocker mit ihrem ersten Studioalbum (Endless Wire) seit knapp einem Vierteljahrhundert und einem kurzen Abstecher auf deutschen Konzertböden.
Quasi ein Jahr später führen uns The Who vor Augen und Ohren, was es wirklich bedeutet, als eine der besten bzw. reaktionärsten Livebands auf dem Erdball zu gelten, und angesichts ihrer Fitness noch lange nicht zum verglühten Eisen zu gehören.
The WhoAn jenem denkwürdigen Samstagabend vor der martialischen Kulisse des Leipziger Völkerschlachtdenkmals, wusste man kaum jenes Staunen darüber zu verbergen, in welcher hervorragenden physischen Verfassung und mit welcher energetischer Spielfreude die Protagonisten auf der Bühne agierten.
Besonders beeindruckend das völlig unprätentiöse Entree von Daltrey und Co. für die folgenden 130 Minuten Diskurs durch ein aufregendes Kapitel Rockgeschichte.
Schon beim Opener "I Can't Explain" wurde klar, dass hier kein Altherrenrock zu erwarten ist, so wuchtig und brillant gingen die Briten an ihr Tagwerk. Dabei verzichtete Townshend fast gänzlich auf technische Effekthascherei, bearbeitete seine geliebte rote Fender Stratocaster trotz großer Gesten punktgenau, und sorgte mit ersichtlicher Freude für ein wahres Soli-und Soundgewitter.
The WhoEin solides Fundament dafür legten sein Bruder Simon Townshend als Rhythmusgitarrist, der Italo-Brite Pino Palladino am Bass, welcher sich immer dezent auf dem Entwistle-Catwalk im Hintergrund bewegte und Ringo Starr-Sohnemann Zak Starkey, der von Townshend zu Recht als "Genius Of Drums" bezeichnet wird.
Ähnlich wie einst Keith Moon, schlägt auch Starkey den Beat mehr auf den Tom-Toms, als auf der Snare, was die Rhythmussektion mit einer ungeheuren Kraft auflädt.
Tastenmann John 'Rabbit' Bundrick unterlegte das alles sporadisch mit einem sphärischen Klangteppich.
The WhoRoger Daltrey kokettierte derweil wie gewohnt in Rockstarpose über die Bretter, wirbelte mit dem Mikrofon über die Köpfe seiner Kollegen und scheint trotz angehenden Rentenalters dem Jungbrunnen entsprungen zu sein.
Seine Stimme ertönte zuweilen rauer denn je, ist über die Jahre gereift und besitzt nun Nuancen, die sie früher nicht hatte. So erklingt das neue "Fragments" vor dem blauen Hintergrund fast schon romantisch über die Köpfe des Auditoriums.
»Are We Breathing Out, Or Are We Breathing In…«, zärtelt der einstige Lockenkopf mit den verzottelten Hippieklamotten in die sternenklare Nacht.
The WhoMit dem 2003 aufgenommenen Song "Real Good Looking Boy" manifestierte er sogar seine ganz persönliche Hommage an den 'King Of Rock'n'Roll'. Der Sound, welcher über die rund 7000 Musikfans schwappte, konnte selbst Verehrer der so genannten 'neuen wilden' britischen Bands beeindrucken, ja sie gar als Radaubrüder deklarieren, so transparent und mit angenehmer Phonstärke wusste man hierbei zu bestechen.
Früher war das anders, besonders in den ungestümen Anfangsjahren waren The Who bekannt dafür, ihr Instrumentarium am Ende jeden Auftritts zu zerstören; Townshend bezeichnete es gern als »autodestruktive Kunst«.
The WhoHeute werden keine Gitarren und Hotelzimmer mehr zertrümmert, und einen Rekord wie einst als lauteste Rockshow der Welt, müssen die Rockheroen längst nicht mehr erbringen. The Who gelten wohl immer noch als eine der frühen, einflussreichsten Combos und als Vorbilder und wichtige Vertreter der Mod-Bewegung, welche in den Neunzigern Orientierungshilfe vieler so genannter Britpopbands waren.
Die Mods hatten Ende der Fünfziger ihren Ursprung in der britischen Arbeiterjugend, welche ihre Herkunft zu verdeckten vermochte, indem man sich in Kleidung, Stil und Gebaren den oberen Gesellschaftsschichten annäherte. Der damalige Leitspruch lautete "Der Schein bestimmt das Sein.", welcher wohl auch heute wieder an trauriger Realität gewonnen hat.
The WhoMusikalisch entwickelten die wilden Briten ein Konglomerat aus schwarzem Soul, Ska und ursprünglichem Rock'n'Roll. Trinken, tanzen, aber auch Drogen und Randale bestimmten die Freizeit in einer eher konservativen englischen Gesellschaft.
Und heute nach 44 Jahren, stehen da zwei gutaussehende Herren Arm in Arm am Rande der Bühne und scheinen in stiller ehrlicher Ergriffenheit ihre Verbundenheit mit den Anhängern zu tragen. Dabei waren sie doch einmal die Lautesten, die Rotzigsten ihrer Gattung, welche die Musikwelt umkrempelten.
Nein, Roger und Pete schlürfen jetzt lieber Kräutertee und schreddern keine Gitarren oder Hotelzimmer mehr.
The WhoAber trotzdem haben die Musiker von ihrer Aggressivität und Kraft bis heute nichts verloren, die begeisterte Menge bekam, (für den schon etwas happigen Kartenpreis) den Soundtrack ihrer schönsten Jugendjahre geboten. Die musikalische Vision vom "Teenage-Wasteland" ertönte ebenso, wie die aktuelle Mini-Oper, "Wire And Glass", über den Selbstfindungsprozess einer Rockband.
"My Generation" wird endlos zelebriert, visuell untermalt von Tänzern jedes Alters, jeder Kultur, jeder gesellschaftlicher Gruppe, und der Urschrei einer Bewegung lässt auch nach dem zigsten Mal das Auditorium erschaudern. »Pick up my guitar and play just like yesterday…«
The WhoMit dem Bühnenlicht wurde dramaturgisch recht sparsam umgegangen, die Szenerie weitgehend von drei variablen Videoscreens bestimmt, auf welchen die Songs großartig illustriert erschienen.
Pete Townshend zeigte sich in bestechender Form, entfachte auf wechselnden E-Gitarren jenen abgehackten, explosiven Lärm, welcher aus rasch tremolierenden Akkorden und scheinbar überhasteten Läufen entsteht. Mit seinem präzis rotierenden Arm, bot er eine durchaus faszinierende archaische Choreographie.
The WhoMit einem Schuss Selbstironie, vermag man immer noch den Paten des Punk zu erkennen, und als er gar noch solistisch "Drowned" zur Akustischen intonierte, erwachte kurzweilig wieder der Geist einer musikalischen Rebellion.
Situationsbezeichnend ist auch, als ein Fan lautstark nach "Magic Bus" verlangte und Pete ihm antwortete, dass sie die Nummer nur in Italien spielen und auch nur dann, wenn es regnet.
Daltrey hingegen errang gegen Ende sogar noch den bittenden Diskant bei "See Me Feel Me", mit welchem er auch schon den legendären Woodstock-Auftritt beendete.
Die Menschen verschmolzen an diesem Konzertabend zu einer einzigen ekstatischen Generation, und als bei der letzten Zugabe Daltrey und Townshend völlig entspannt "The story is done it's getting colder now!" anstimmten, dürfte den Anwesenden doch recht warm ums Herz geworden sein.
So werden hoffentlich zukünftig die »Who, Who, Who«-Rufe, wie an diesem beglückenden Konzertabend, weiter die Runde machen.
Setlist
01:I Can't Explain
02:The Seeker
03:Anyway Anyhow Anywhere
04:Fragments
05:Who Are You
06:Behind Blue Eyes
07:Real Good Looking Boy
08:Sound Round
09:Pick Up The Peace
10:Endless Wire
11:We Got A Hit
12:They Made My Dream Come True
13:Mirror Door
14:Baba O'Riley
15:Relay
16:Drowned
17:A Man In A Purple Dress
18:You Better You Bet
19:My Generation
20:Cry If You Want
21:Won't Get Fooled Again
22:The Kids Are Alright
23:Pinball Wizard
24:Amazing Journey
25:Sparks
26:See Me Feel Me
27:Tea and Theatre
Zum Abschluss möchte ich noch ein paar Anmerkungen zum Supportakt loswerden.
Mit den reformierten The Cult hatten sich The Who einen hochkarätigen Anheizer ausgesucht. Leider ließen die Publikumsreaktionen unter der gleißenden Sonne aber dennoch zu wünschen übrig, obwohl Ian Astbury und Patrick Duffy samt Konsorten, mit einem guten Sound bzw. einer Top Setlist einen energetischen Auftritt ablieferten.
Vielleicht sollte man doch lieber die angestaubten "Sonic Temple"-Leichen weiter ruhen und einen schwarzbebrillten Astbury weiter als Morrison-Klon durch die Lande ziehen lassen.
In diesem Sinne, Rock'n'Roll will never die.
Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung bei der Stadt Leipzig, Tick@ Erfurt, und dem Fotografen Axel Clemens.
Bilder vom Konzert
The Who    The Who    The Who
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