»Who are The Who? Well, The Who are The Who, that's who they are.«
Muss ich Tommy wirklich noch einmal vorstellen oder nehme ich in meiner grenzenlosen Überheblichkeit einfach mal an, dass jeder Leserin und jedem Leser sowie deren Kindern und Kindeskindern dieser Meilenstein der Rock-Geschichte ein Begriff ist? Muss man überhaupt noch viele Worte zu dieser Produktion verlieren, dieser ersten richtig langen Rock-Oper? Eigentlich ist ja längst, in den vielen, vielen Jahren alles gesagt und geschrieben, oder nicht?
Nun ja, ungehindert der Tatsache, dass sich die Veröffentlichung des von Pete Townshend geschaffenen Werkes in wenigen Wochen zum fünfundvierzigsten Mal jährt, haben sich die Macher von Eagle Vision (Eagle Rock) entschlossen, eine Doku herauszubringen. Eine Doku, die sich im ureigensten Sinne des Wortes mit den Hintergründen, den Beweggründen und vielem Drumherum zu "Tommy" befasst. Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass dieses Album das Quartett Who am Leben erhielt, die damals lauteste Rockband der Welt, die 1969 kurz vor dem Auseinanderbrechen stand. Trotzdem ist diese Aussage Townshends eine der ersten in den rund 1,5 Stunden Interviewclips.
Es dauert dann aber noch eine weitere Viertelstunde, bis wir von ihm und diversen Wegbegleitern endlich zu den Inhalten der Rock-Oper geleitet werden - der Rest ist Vorgeschichte, wichtige und interessante Vorgeschichte. Neben dem Kopf der Band kommen Spannmann Roger Daltrey, der vor zwölf Jahren verstorbene Bassist John Entwistle in älteren Clips, Journalisten, Toningenieure und Grafiker zu Wort. Alte Interviewschnipsel mit dem früheren Manager und weiteren Zeitzeugen runden das Bild in schwarz-weiß ab.
Natürlich wird dem eigentlichen Kopf hinter "Tommy" der Löwenanteil der Sendezeit zugestanden, aber das ist auch gut und richtig so. Schließlich ist die Geschichte vom »deaf, dumb and blind kid« 'seine' Geschichte. Seine Art, sein Versuch, mit Kindesmissbrauch, mit Götzentum, mit dem Lebensstil seiner Mutter umzugehen, abzurechnen - und genau das kommt mit unverblümter Offenheit, in Teilen fast schon Brutalität aus Townshends Mund (alleine seine kurze Darstellung der Vor-"Tommy"-Oper "A Quick One While He's Away" ist schon das Geld wert - in der amerikanischen Literatur würde man Angry Young Man sagen, aber guckt es Euch selber an). Und auch für den eingefleischtesten Fan wird es hier noch die eine oder andere neue Aussage, den einen oder anderen unbekannten Clip geben.
Die Reise durch die Entstehungsgeschichte und auch durch das komplette Story Board ist sehr unterhaltsam aufgemacht. Zwischen einzelnen Statements gibt es immer wieder kurze Einblendungen von Mitschnitten aus der (damaligen) Studioarbeit oder auch von Auftritten und anderen thematisch passenden Einblendungen. Unterm Strich wird die komplette Geschichte, werden alle Symbole, alle Metaphern des Werks aufgedröselt und von verschiedenen Seiten beleuchtet, bzw. es werden die Townshend'schen Aussagen von Zeitzeugen mit anderen Worten untermauert.
Neben der Story zu "Tommy" kommen auch andere Aspekte nicht zu kurz: Wie veränderte sich die Karriere der Band? Wie wirkte sich das auf das Privatleben aus? Wie wurde Daltrey mit der Doppelrolle als Sänger und später auch Tommy fertig? Und nicht zu vergessen: Was machte das mit dem Publikum? »See Me, Feel Me, Touch Me…« - das singt nicht nur Tommy, das singt auch jeder einzelne im Publikum, und fühlt es in dem Moment.
In diesen Zusammenhang passt die an Townshend gerichtete und unglaublich adelnde Frage Leonhard Bernsteins: »Do you realize what you have done?«. No further comment needed.
Das Bonusmaterial besteht aus einer guten halben Stunde alter Takes vom Beat Club aus Bremen (27.9.1969), in denen die Band Teile von "Tommy" live aufführt (oder zumindest das macht, was sich das deutsche Fernsehen damals unter 'live' vorstellte). Gespickt mit einigen Interviewfetzen, machen diese dreißig Minuten einen ebenfalls unterhaltsamen, wenngleich nicht gänzlich unbekannten Teil aus.
Insgesamt passen Bild- und Tonqualität, selbstverständlich dem jeweiligen Alter der Aufnahmen entsprechend, und inhaltlich gibt es ebenfalls nichts zu bemängeln. In weiten Teilen sicherlich keine Offenbarung unveröffentlichten Materials, aber trotzdem gibt es auch für den Fan Neues. Zudem ist es immer wieder schön, den philosophischen Ausführungen Townshends lauschen zu können - er ist eben ein Meister der Worte. Sollte man haben - ist aber keine reine Musik-DVD!
P. S. Die FSK liegt in Deutschland bei 12 Jahren, in den USA sogar bei 15, was nicht wundert, wenn man die wiederholte Verwendung von Wörtern wie »fuck, cunt« oder sogar - böse, böse - »bloody« berücksichtigt ;-)
Tracklist |
Main Feature/Documentary
Bonus Tracks:
01:Overture/Pinball Wizard
02:Interview
03:Tommy, Can You Hear Me?
04:Smash The Mirror
05:Interview
06:Sally Simpson
07:I'm Free
08:Interview
09:Tommy's Holiday Camp
10:We're Not Gonna Take It/See Me, Feel Me
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