Am 16. Oktober 2009 unternahm ich den ersten Anlauf, um ein Konzert von W.I.N.D. heimzusuchen - leider blieb es beim Versuch. Mein französisches Auto war auf der deutschen Autobahn 4 in Höhe Kerpen nicht mehr dazu bereit, mich nach Belgien zu befördern, um diese Band aus Italien zu erleben.
Diesmal brauchte ich keinen Automobilclub zur Pannenhilfe. Alle vier Zylinder verrichteten bleifrei versorgt tadellos ihre Arbeit, die Show konnte beginnen.
Und vorab: Dieser kommende Bericht hat mit Objektivität soviel zu tun, wie die schwarz-gelbe Regierung mit sozialer und gerechter Gesetzgebung. Objektiv funktioniert bei mir mit dieser Band einfach nichts. Es erschaffen auf dieser weiten Welt einige Leute furchtbare Musik, furchtbar gute....diese Jungs hier gehören dazu und müssen leider draußen bleiben. Außerhalb aller auch nur im Ansatz kritischer Anmerkungen - es gibt für mich keine. Die drei Italiener aus der bluesigen Jam Rock-Szene befinden sich mit ihren bisher erschienenen CDs in meinem Koffer mit der 'Musik für die einsame Insel'.
W.I.N.D. stammen aus Udine in Norditalien und spielen in der heutigen Besetzung seit 2008 zusammen. In diversen CD-Shops kann Mann/Frau fünf grandiose CDs von ihnen bestellen. Die Silberlinge enthalten meiner Meinung nach nicht eine unpassende Note. Die Jungs wissen wie Rockmusik funktionieren soll und muss, dies sind: Fabio Drusin am Bass und Gesang, Anthony Basso an Gibson und Gesang sowie Silvano Bassi am Schlagzeug.
Als besonderes Schmankerl war zur Verfeinerung des ohnehin schon grandiosen Sounds der jammenden Rocker auf dieser Tour Johnny Neel aus dem Staat Delaware in den USA an den Keyboards und Piano dabei. Dieser spielte in seiner bisherigen Musikerlaufbahn u.a. mit den Allman Brothers Band, Lonnie Mack, Gov't Mule, Dickey Betts und eben W.I.N.D. Als Songwriter schrieb er für Joe Louis Walker, John Mayall, Irma Thomas, Ann Peebles und noch ein paar andere und brachte bisher sechs eigene CDs unter die Leute.
Sein fulminantes Tastenspiel und die ihm gegebene, sehr 'schwarze' Stimme peppte das folgende Konzert zusätzlich auf. Wir erlebten hier im Spirit of 66 drei verschiedenstimmige Leadsänger. Einstimmige Zustimmung herrschte im Publikum ob der Qualität der zu hörenden Stimmbänder: Johnny wie oben beschrieben, Fabio mit seiner staubtrockenen Reibeisen-Rockröhre und Anthony lag irgendwo dazwischen.
Das von Anthony komponierte und gesungene "It's Too Late To Lie" ist heute Abend und überhaupt einfach nur zum Verbeugen. Eine zum Heulen schöne Southernswamp-Bluesballade, die nicht im Schlamm versinkt, mit allen Attributen einer Hymne dieses Genres ausgestattet. Das Solo mit der Gibson mittendrin stellt alle meine noch vorhandenen Haare auf Habacht und die feinfühlig fütternden Klänge des Neel'schen Keyboards sind nicht 'too late' sondern immer parallel zu den Saiten. Hach, da schmilzt Du weg...
In den knapp 150 Konzertminuten hörten wir Lieder aus verschiedenen Federn und Feldern - Neel- und W.I.N.D.-Kompositionen, Coverversionen aus Slide- und Deltablues, ein Stück von David Crosby und zwei von den Allmännern.
»Wake up Mama, turn your lamp down low«, diesen Worten am Anfang des Konzerts folgten gute Taten in Permanenz. Der "Statesboro Blues" aus dem Fundus des Blind Willie McTell in der Bearbeitung der Allman Brothers und heute Abend von den vier Jungs auf der Bühne federleicht 'hard-bluesend' und in kleinen Nuancen anders präpariert zelebriert. Anthony slidete seine Saiten auf Betriebstemperatur. Fabio sang uns den Text und zupfte den Groove in den Zwölftakter. Silvano haute den Takt in das musikalische Geschehen vor ihm und Johnny spielte mit den Tasten die Ausrufezeichen in den Blues aus der Kleinstadt im Staate Georgia.
Die Drusin/Barbiani-Komposition (letzterer war der vormalige Gitarrist bei W.I.N.D.) "Lucky Man" ist ein Blues-Rocker mit ein paar Riff-Kaskaden, die sich im Laufe des Stücks immer mehr aufbauschten. Die Kreislauftätigkeit der angereisten Fans aus den Niederlanden und Deutschland sowie der einheimischen Belgier wurde in Wallung gerockt und die ganze Zeit 'Luck' verbreitet. Der Rhythmusabteilung konnten wir eh nur den roten Teppich ausrollen, so knallten die uns die Töne um die Ohren. Da oben auf der Bühne des Spirit of 66, die schon so manche Highlights beleuchtet hatte, rockte es wie die 'wilde Wutz' und vor der Bühne war viel Bewegung in der leider sehr überschaubaren Menge begeisterter Jam Rock-Fans.
Ein Déjà-vu der soul-funkigen Art funkte uns das Quartett auch noch ins hier und jetzt - dem Basslauf folgte das Funk-Riff Saite um Saite, "Déjà-vu With The Blues". Dieser Soul-Funk driftete auch mal in die Gefilde Mule'scher Art. Gov't Mule und W.I.N.D. haben für mich ohnehin sehr viele Berührungspunkte. Johnny und Silvano 'funkten' kräftig mit und der Funke sprang auch ins Publikum über. Allüberall im 'Spirit-Tempel der guten Musik' sah ich Spaß und Freude in und auf den Backen.
Der Neel-Rocker "Ice Road Trucker" knackte und knarzte wie die Eisschicht einer Straße, die auf Eis liegt. Johnny schlug an die Substanz der Tasten des Pianos. Er hämmerte uns den Schaum vom Bier und befand sich mal wieder in einigen seiner Elemente. Die hießen Soul und Blues in der Stimme und Rock'n'Roll in den Fingern - wieder eine Perle in der Schnur großartiger Songs des Abends.
"Toasted" und "Murdered By Love" wurden von Johnny geschrieben. Er und sein Piano stellten uns die beiden Titel vor - die Jungs aus Italien pausierten in dieser Zeit. "Murdered..." ist ein schöner Bar Room-Blues, ich setzte mich dabei an die Theke des 66 und trank eine verbleite Cola dazu - passte. "Toasted" bewegte mich dazu, den Barhocker zu verlassen und mich wieder vor die Bühne zu stellen und mitzuschnippen. Der Titel ist sehr funky und ein immer mehr Geschwindigkeit aufnehmender Soul-Funk-Rocker, genau wie das anschließende "Maydell". Anthony, Fabio und Silvano 'bretterten' diesem Song wieder auf die Bühne und zusammen zogen sie nach dem heftigen Gibson-Angriff zu Beginn des Stücks den Song mit fettem Sound und makellos in die Zielgerade. Der große Applaus nach der Zieldurchfahrt erfreute die italienisch-amerikanische Zusammenarbeit außerordentlich.
Das David Crosby-Lied "Almost Cut My Hair" gab es kurz vor dem Einläuten des Finales. Anthony Basso trug den Titel mit verschmitzt 'verbassotem' Lächeln vor. Die Truppe spielte diesen Song auf den Punkt nach Hause, wie schon den ganzen Abend jeder Song die Höchstpunktzahl beim Publikum erreichte.
Aber hundertundeinen Punkt bekam anschließend die Coverversion eines Klassikers der Rockgeschichte von den Allman Brothers, geschrieben von Gregg Allman: Zwanzig Minuten "Whipping Post" ließen besonders im Sologitarrenteil und im 'Schweineorgelrausch-Teil' die Stimmung stetig sieden bis einhundertein Grad Celsius. Fabio 'basste' das Intro sofort auf Jam-Betriebstemperatur und peitschend ging die Post im wahrsten Sinne des Wortes ab - der Gitarre, der Orgel, der Bassgitarre und des Schlagzeugs. Was für ein Hammersong, immer wieder und wieder und wieder...
Nach dem Verklingen des letzten Tones und dem Eintritt zurück aus dem Jam Rock-Musikrausch ins wahre Leben beklatschten wir alle die Jungs noch zu zwei Zugaben zurück auf die Bühne. Mit "Dust My Broom" aus dem Fundus des Elmore James' oder Robert Johnsons - da streiten die Bluesgelehrten immer noch - ging die Chose sofort wieder in die Vollen. Anthony slidete und staubte den Bühnenboden ab und auch Fabio wie Silvano traten noch mal kräftig in die Pedale und zum sehr guten Schlussakkord brachten sie uns aus ihrem vor einigen Monaten erschienenen Klassealbum Walkin' In A New Direction mit "Wastin' My Time" noch einen Riff-Hard Blues-Rocker, der noch mal unsere Knochen durchschüttelte und uns anschließend zum Merchandisingstand eilen ließ. Dort gab es einiges zu entdecken und kaufen...
Ich danke den vier Jungs und der Crew des Spirit of 66 für einen Abend mit sehr langem Nachhaltigkeitswert. Während der Rückfahrt war auch die Zeit für eine Spinnerei, die hoffentlich Wirklichkeit wird: Dass es in naher Zukunft möglich wird, W.I.N.D., Johnny Neel und Gov't Mule gemeinsam während eines Konzertabends in unserer Gegend zu erleben. Die Dauer des Auftritts würde wahrscheinlich alles bisher gehörte in die Schranken verweisen, ich gebe die Hoffnung nicht auf...
Externe Links:
|