Winterland / Alles geht
Alles geht Spielzeit: 65:13
Medium: CD
Label: 7Music, 2010
Stil: Rock

Review vom 26.05.2010


Boris Theobald
Winterland scheint ja das letzte zu sein, was der sonnig gesinnte RockTimes-Rezensent zwischen Lenz und Sommer zwecks Besprechung in die Finger bekommen will. Doch schnell wird klar: Die Pfälzer machen keinen Soundtrack zum Schneegestöber - der Bandname Winterland ist vielmehr als Metapher zu verstehen, als sprachliches Bild für die Stimmungen in der Musik. Die Band selbst bezeichnet sie als 'melancholischen Rock mit Anspruch und Ohrwurmpotenzial' und hat auf ihrem nunmehr sechsten Album seit 1997 eine sehr einschneidende Veränderung vollzogen: den Wechsel von englischen zu deutschen Texten. Praktisch schonmal, wenn man den Bandnamen nicht übersetzen braucht...
Mit ihrem nachdenklichen, oft trist eingefärbten, Pop-affinen Deutsch-Rock auf "Alles geht" liegt die 1996 von Markus Pfeffer und Thorsten Fries gegründete Band durchaus im Trend. Man betrachte nur den jüngsten Mega-Erfolg von Unheiligs Album "Große Freiheit", oder die trotz 'Heavy Rotation' im Pop-Radio nicht zu unterschätzenden Silbermond. Mittelprächtige stilistische Ähnlichkeiten zu diesen Künstlern sind zu konstatieren. Auch, wem "Kein Zurück" von Wolfsheim aus dem Jahr 2003 gefallen hat, findet hier vergleichbare musikalische Emotionen, wobei Winterland fast ganz auf elektronische Spielereien verzichten - "Alles geht" ist handgemachte Rockmusik.
Nicht spektakulär, hochdramatisch oder superheavy bewegen sich die Winterland-Songs in übersichtlichen Strukturen. Dabei schaffen es Pfeffer und Fries aber immer wieder, mit eindringlichen Melodien ihre in Text gefassten Gedanken über das 'Ich' und das 'Wir' in Zeiten überhöhter Geschwindigkeit und fehlender Orientierung schnell im Ohr zu verankern. "Der Winter ist lang" eröffnet dieses Album mit einer ganz besonderen Note. Dieser Opener besteht lediglich aus sparsam dosierter Gitarre und Klavier, die zusammen mit einer faszinierenden, tieftönigen Moll-Hookline eine beklemmende Atmosphäre für den Gesang von Thorsten Fries bilden. Beeindruckend ist auch eine a-cappella-Passage mit Chorgesang. »Doch die Zeit bleibt nie stehen / Wir müssen weiter gehen / Bis wir Sonne sehen / Und die Nacht endlich vergeht...« - Klasse Opener mit ganz viel Gefühl und Tiefgang, da bleibt man dran bis zum Schluss!
... und erlebt zwar auch manch arg Pop-lastigen Ausflug wie den Titelsong "Alles geht" und "Den Sternen so nah", dafür aber auch überraschend rockige Nummern wie "Glamourös" und vor allem "Warte bis es dunkel ist", das mit Synthies unterstützt richtig schön düster-heavy zur Sache geht. Hier gibt es auch das einzige ausgedehnte Hard Rock-Gitarrensolo zu bewundern - insgesamt ein packender Song! Als balladenhafter Gegenpart geht "Strände der Einsamkeit" durch. Hier herrscht leichte Kitsch-Gefahr. Durch gute Melodien, die wehmutsvolle Interpretation mit allmählicher, leicht dramatischer Steigerung und nicht zuletzt natürlich die Texte zum Hinhören besteht aber auch hier keine Gefahr, dass der ZDF Fernsehgarten in absehbarer Zeit für einen Playback-Auftritt am Sonntagvormittag anfragt.
Klar, der Tiefgang der Stücke offenbart sich ganz überwiegend durch die Lyrics - instrumental ergeben sich trotz starker Melodien wenig Überraschungsmomente. Ausnahme ist "In der Ruhe liegt die Kraft", eines der Highlights auf dem Album (und im Übrigen ein Beispiel dafür, dass ein schnellerer Drive keinesfalls der Grundmelancholie widerspricht!): Hier mündet der sehr glatte Chorus plötzlich in ein heavy Riff. Cooler Effekt, und auch ein gelungenes Wechselspiel mit dem Text »In der Ruhe liegt die Kraft.«. Melodischer und emotionaler Höhepunkt des Albums ist aber "Abendstern" und dessen verträumter Refrain mit sehr atmosphärischen Backing Vocals. Am Ende des Albums wird der Song nochmal in einer wunderschönen Reprise aus langem Solo und später auch Chorus aufgegriffen und damit zu einem kleinen Epos aufgewertet.
Mit seinem Text beweist der Song auch, dass melancholische Musik bei Weitem nicht nur klagend und trübselig sein muss, sondern auch Hoffnung ausdrücken kann: »Doch die Reise geht weiter Bis zum Horizont Und wer einst im Sturm gescheitert möge zieh'n wohin Erleuchtung wohnt Bis zum Stern am Horizont.« Alles in allem ein starkes Album, dessen Melodien und Texte rasch das Gefühlszentrum erreichen. Den wenigen seichten Durchschnittsnummern stehen doch mehrere sehr starke Dunkelrock-Perlen mit Langzeitwirkung gegenüber!
Line-up:
Markus Pfeffer (guitar, bass, keyboard, backing vocals)
Thorsten Fries (vocals)

Guest musicians:
Stefan Glass (keyboard)
Brian F. Daniels (drums)
Tracklist
01:Der Winter ist lagn (3:00)
02:Abendstern (3:35)
03:Alles geht (3:48)
04:Warte bis es dunkel ist (4:22)
05:Thron der Desillusion (4:16)
06:Den Sternen so nah (4:03)
07:Glamourös (3:39)
08:Strände der Einsamkeit (4:13)
09:In der Ruhe liegt die Kraft (4:30)
10:Legion der Verdammten (5:02)
11:Abendstern [Reprise] (3:35)

Bonus Tracks:
12:Jetzt oder nie (3:22)
13:Alles geht [Radio Edit] (3:28)
14:Den Sternen so nah [Radio Edit] (3:51)
15:Strände der Einsamkeit [Radio Edit] (3:30)
16:Abendstern [Maxi Version] (6:55)
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