Mit deutschen Texten sind die stilistischen Schubladen nicht so eng
Markus Pfeffer Melancholischer Rock mit deutschen Texten - damit überraschen die 1996 in Kaiserslautern gegründeten Winterland auf ihrem neuesten Machwerk nicht schlecht. Schließlich lief bis dato alles auf Englisch. "Alles geht" heißt das sechste Studioalbum der Band, und RockTimes fragt bei Markus Pfeffer, einem der Bandgründer, nach, was denn auf "Alles geht" warum und wohin 'geht'.



Interview vom 27.05.2010


Boris Theobald
RockTimes: Markus, wie kommt's, dass ihr nach immerhin fünf Alben mit englischen Lyrics so radikal & komplett auf Deutsch umsattelt?
Markus Pfeffer: Da muss ich etwas ausholen… das hat grundsätzlich zwei primäre Gründe.
Erstens wollte insbesondere ich unbedingt, dass der lyrische Gehalt unserer Songs mehr wahrgenommen wird. Nachdem wir unsere Alben schon seit Jahren fast ausschließlich im deutschsprachigen Raum verkauft hatten, lag es nahe, auch in unserer Muttersprache zu singen. Und tatsächlich ist es jetzt so, dass 99 Prozent der Hörer die deutschen Texte mit Nachdruck positiv kommentieren. Thorstens Texte waren jedoch vorher auch schon genau so gut, auf Englisch haben die Hörer aber wohl nie so genau darauf geachtet.
Zweitens wurden wir auf Grund unserer musikalisch-stilistischen Ausrichtung von den Medien immer in die 'Melodic Rock'-Schublade gesteckt. Allerdings werden genau dadurch Erwartungen geweckt, die wir einfach nicht erfüllen. Eine ganz typische Band dieses Genres ist beispielsweise Journey. Im Melodic Rock dominieren solche Sänger wie Steve Perry, also mit sehr hohen, oft kristallklaren Stimmen. Thorstens Stimme ist das genaue Gegenteil. Als Bass-Bariton singt er sehr tief und hat noch dazu eine eher rauchig-samtige Stimme. Im Endeffekt schrieben dann immer wieder Kritiker sinngemäß »Die Musik ist ja in Ordnung, aber was zur Hölle ist das für eine Stimme?« Das war zwar nachvollziehbar, weil die Erwartungshaltung nicht erfüllt wurde und die Leute sich vor den Kopf gestoßen fühlten, hat uns aber irgendwann auf Dauer einfach genervt und frustriert. Wir wollten aus diesem Melodic Rock-Genre endlich ausbrechen. Und dort wird ausschließlich Englisch gesungen. Das heißt: Mit dem Wechsel in die deutsche Sprache sind wir dieser Zwangsjacke einfach kurzerhand entflohen. Mit deutschen Texten sind die stilistischen Schubladen nicht so eng und man kann weitgehend machen, was man will. Das Ganze hat also auch viel mit künstlerischer Freiheit zu tun.
RockTimes: Kommen in deutscher Sprache auch 'andere' Texte/ 'andersartige' Texte zu Stande?
Markus: Prinzipiell nein.
RockTimes: Was sind denn eure Inspirationen für die Texte? Konkrete Ereignisse, Emotionen, Phantasie oder Konkretes...?
Markus: Die Texte schreibt ja allesamt unser Sänger Thorsten Fries. Er ist kein imaginärer Geschichtenerzähler oder Storyboardlyriker. Unsere Texte sind also nie 'aus der Luft gegriffen' oder 'erfunden'. Vielmehr beziehen sie sich immer auf konkrete, reale Ereignisse, von ganz individuellen Erfahrungen im persönlichen Leben oder im Umfeld bis hin zu Strömungen in der Gesellschaft und die dadurch bei Thorsten entstandenen Gedanken und Emotionen.
RockTimes: Schon mal dran gedacht, sowohl englisch- als auch deutschsprachige Texte auf ein Album zu packen?
Markus: Ehrlich gesagt nein. Wir hatten das länger diskutiert und wollten hinter unsere 'englischsprachige Vergangenheit' einfach einen roten Schlussstrich ziehen und nun einen kompletten Neuanfang wagen.
RockTimes: Ihr bezeichnet eure Musik als 'melancholischen Rock'. Was ist so anziehend an diesen trüben, nachdenklichen Stimmungen, oft ja gepaart mit eher nicht so harter Instrumentierung?
Markus: Das ist wirklich eine interessante Frage! Für mich liegt der Unterschied zwischen Pop und Rock eben genau in der Grundstimmung der Musik, das ist aber durchaus eine ganz subjektive Einschätzung. Popmusik ist in der Regel eher fröhlich und will unterhalten - für mich klassische Popmusik Lady Gaga, Madonna - während Rockmusik einen gewissen 'Weltschmerz' verarbeitet und oft reaktiv stimuliert.
Ich glaube, es kommt da nicht primär auf die Härte in der Instrumentierung an, sondern auf das harmonische Grundgerüst und die Grundstimmung der Musik. Meistens habe ich musikalische, also instrumentale Ideen, auf denen Thorsten als Texter und Gesangslinienschreiber aufsetzt. Und in der Mehrzahl der Fälle sind meine Songs einfach klassische Rock-Songs und in Moll-Tonarten gehalten. Sie vermitteln also eher rockige Melancholie als poppige 'Happiness'. Dementsprechend entstehen dann auch eher nachdenkliche Texte. Das ist also durchaus ein organischer Prozess.
RockTimes: Die schwer rockenden Momente stechen besonders heraus, wie das Heavy-Riff von "In der Ruhe liegt die Kraft" oder der Hard Rock-Drive bei "Warte bis es dunkel ist". Setzt ihr damit absichtliche Gegensätze oder sind das eher Zufallsprodukte, weil Ihr beim Songwriting mal gerade eher in nachdenklicher oder eher in härterer Rock-Stimmung wart?
Markus: Definitiv eher Zufallsprodukte. Songideen entstehen bei mir immer völlig spontan und damit emotional aus einer bestimmten situativen Stimmung heraus. Wir planen unsere Alben also nicht in dem Sinne von 'Wir packen zwei Balladen, fünf Mid-Tempo-, vier schnelle Nummern und einen Heavy-Song drauf', sondern schreiben einfach aus dem Bauch heraus so lange Songs, bis wir das Gefühl haben, genug gutes, ebenso abwechslungsreiches wie homogenes Material für ein komplettes Album zusammen zu haben.
"Warte bis es dunkel ist" ist übrigens nicht auf der Gitarre, sondern auf dem Keyboard geboren worden! Die Grundidee ist aus der mit dem Moog gespielten Synthie-Hookline entstanden! Diese markanten Moog-Sounds kennt man ja vor allem aus den Siebzigern von Bands wie Uriah Heep, Kraftwek, Manfred Mann und Tangerine Dream. Um da einen härtetechnischen Kontrapunkt zu setzen, habe ich dann kurzerhand die Gitarre tiefer gestimmt und dieses schwer rockende Riff damit kombiniert.
RockTimes: Was ist denn euer musikalischer Background?
Markus: Ganz klar die Achtziger und in Teilen auch die Siebziger. Wir sind beide in den Siebzigern geboren und haben in unserer Jugend, die bekanntermaßen für Musiker die mit Abstand prägendste Zeit darstellt, die Achtziger durchlebt. Beeinflusst wurde man da sicher durch alle musikalische Strömungen dieser Zeit, vom englischen Wave über die Neue Deutsche Welle bis hin zu den vielen, inzwischen teilweise Kultstatus genießenden Veröffentlichungen im Hard & Heavy-Bereich, der bei uns beiden ganz klar den Schwerpunkt des musikalischen Backgrounds bildet.
RockTimes: Wen glaubt ihr mit "Alles geht" ansprechen zu können?
Markus: Ich glaube, dass wir ein recht breit gefächertes Publikum von Classic Rock-Freunden über die gemäßigteren Hard Rock-Hörer bis hin zu Pop- und Gothic-Fans ansprechen. Auf Youtube haben wir vor allem viele positive Rückmeldungen aus der Unheilig-Fan-Community bekommen, was natürlich an Thorstens Stimme liegt. Also genau das positive Gegenteil zu den Erfahrungen im Melodic Rock-Bereich.
RockTimes: Ihr beiden spielt seit 14 Jahren zusammen - ohne Unterbrechung?
Markus: Thorsten musste sich aus privaten Gründen eine mehrjährige Auszeit vom Bandleben nehmen. Anfang des neuen Jahrtausends haben Winterland deshalb mit Stephan Hugo am Gesang zwei Alben aufgenommen, und von 2004 bis 2007 lag die Formation ganz auf Eis. Thorsten und ich sind aber nicht nur Musikerkollegen, sondern auch Freunde, das heißt unser Kontakt bestand in der Zeit natürlich weiter. So haben wir beispielsweise im Jahr 2004, als Winterland auf Eis lag, aus reiner Lust am gemeinsamen Musik machen heraus elf Songs zusammen geschrieben. Einer davon, "King In My Own Land" landete auf dem Album meiner zwischenzeitigen Band Wet Desert. Die anderen haben wir seitdem auf Halde… für "Alles geht" wollten wir ausschließlich ganz neues Material verwenden.
RockTimes: Wie blickst du aus heutiger Sicht auf die ersten fünf Winterland-Platten zurück?
Markus: Als Künstler hört man nach Jahren seine Platten und weiß mit den in der Zwischenzeit dazu gewonnenen Erfahrungen, dass man damals vieles hätte besser machen können. Doch so empfinde ich das nicht. Jede Winterland-Platte hat ihre Geschichte und ihre Berechtigung in unserer Geschichte.
RockTimes: Wie hat sich die Band deiner Meinung nach über die Jahre bis heute entwickelt?
Markus: Das Erstlingswerk "Under The Flood" war musikalisch gesehen eine lupenreine Melodic Rock-Scheibe, der Zweitling "Blind" verarbeitete mehr Prog- und Metal-Einflüsse und verzichtete komplett auf Keyboards. "PerSonality" und "The Truth" mit Stephan Hugo am Gesang entstanden in der klassischen Vier-Mann-Band-Besetzung im Proberaum und waren eher geradliniger Classic Rock, während Thorsten und ich uns mit "evening STAR" im Jahr 2008 stilistisch wieder zusammen fanden und jetzt mit "Alles geht" eine Synthese aus Vergangenheit und Neuzeit geschaffen haben.
RockTimes: Und was treibt ihr beiden sonst so außer Winterland? Seid ihr auch involviert in andere Projekte, macht ihr was mit anderen Musikern?
Markus: Nebenprojekte können wir uns aus Zeitgründen leider nicht gönnen. Wir sind beide voll berufstätig und gehen unserer musikalischen Leidenschaft ausschließlich in unserer Freizeit nach. Da sind wir mit Winterland wirklich voll ausgelastet und wollen uns auch nicht verzetteln.
RockTimes: Die Mitwirkung von Stefan Glass (u.a. Abydos, Producer mit Studio in der Pfalz) zeugt ja von Connections...
Markus: Natürlich haben wir in den letzten 20 Jahren viele Leute kennen gelernt. Ein Album meiner frühen Band Scarlett aus Pirmasens wurde beispielsweise von Robert Kohlmeyer (Roko) produziert, wir haben Bands wie Pur und Wishbone Ash supportet, hatten TV-Auftritte und Radio-Interviews und bundesweit viele hundert Auftritte. Sogar Roger Glover von Deep Purple habe ich ein Winterland-Album persönlich überreichen können, ebenso mehreren Mitgliedern von INXS, Peter Gabriels Basser Tony Levin, Scorpions-Producer Dieter Dierks, ex-White Lion-Sänger
Mike Tramp usw.
Producer Stefan Glass kenne ich eben genau aus der Zeit in den frühen Neunzigern bei Scarlett. Außerdem hat er meine letzte Band Wet Desert produziert und ich arbeite mit ihm seitdem zusammen. Bevor Thorsten und ich Winterland 'reanimierten', hatte ich mit Stefan Glass an dem Deutschpop-Projekt Strandpoeten gearbeitet. Leider ist das Ganze im Sande verlaufen.
Stefan ist ein unfassbar kreativer Mensch mit enormem Fachwissen, von dem ich gerade in den letzten fünf Jahren verdammt viel lernen konnte. Und das kommt insbesondere den Arrangements und Soundtüfteleien bei Winterland in vielerlei Hinsicht zu Gute.
RockTimes: Zurück zur neuen Platte... wieso gibt's von "Abendstern" zwei Takes, also später im Bonusbereich noch eine Maxi-Version?
Markus: Die Platte "Alles geht" hatten wir Ende 2009 in Eigenregie, also als Eigenproduktion, mit zehn Songs und knappen 45 Minuten Laufzeit gepresst. "Abendstern" eröffnete diese Erstauflage als siebenminütiger, epischer Opener mit langem Intro. Den Silberling haben wir dann im weiteren Bekannten- und Freundeskreis zum Preis einer 'Kostendeckungspauschale' von sechs Euro verkauft. Nachdem die Rückmeldungen wirklich umwerfend waren, habe ich das Album an 7us geschickt und wir unterschrieben im Februar 2010 den Vertrag.
Nun war klar, dass das Album im Laden bzw. bei Stores wie Amazon mindestens 15 Euro oder mehr kosten würde. An der Stelle wollten wir für die Neuauflage auf jeden Fall einen angemessenen Mehrwert schaffen. Deshalb haben wir erstmal zwei neue Songs geschrieben. Einer davon, "Jetzt oder nie", ist nun ein expliziter 'Bonus Track'. Der zweite neue Song war "Der Winter ist lang", der ganz klar sowohl von seiner Struktur und auch vom Text her gesehen ein klassischer Album-Opener ist. Wir standen also vor dem Problem, zwei Eröffnungstitel zu haben. Deshalb kürzten wir "Abendstern" um das ursprüngliche lange Intro (zwei Intros hintereinander hätten ja wenig Sinn gemacht) und schoben den gestrafften "Abendstern" an die zweite Stelle. Dadurch ist dem Song allerdings auch ein Teil seiner eigentlichen Aussagekraft verloren gegangen, weshalb die ursprüngliche siebenminütige Version nun auch als Bonus Track, als 'Maxi Version' bezeichnet, das Album beschließt. Außerdem sind bei einer Gesamtlaufzeit der Neuauflage von über 65 Minuten noch drei Radio-Mixes von potenziellen Airplay-Kandidaten und das Video zum Titelsong auf der CD enthalten.
RockTimes: Heißt das, ihr habt die Hoffnung, dass das Pop Radio Winterland noch entdeckt?
Markus: Ja. Wobei ich das Wort 'Pop' etwas einengend finde. Es gibt ja auch Sender, die sich eher auf Rockmusik spezialisieren. So haben wir bereits durch einige Sender Unterstützung erfahren. Einsätze bei Rockradio.de, für Newmedia Radio haben wir Trailer aufgenommen, Interviews und Airplay bei H'art on air und Antenne KL, bei Radio Nachteule steht ein Interview ins Haus und bei Radio VHR waren wir mit dem Song "Alles geht" sogar in den Top 10 der Webradio-Charts vor allen möglichen DSDS-Veteranen vertreten.
RockTimes: Diesen Satz lass ich doch mal gern so stehen. Markus, vielen Dank für das Interview - ich hoffe, dass eure Scheibe gut ankommt und dass wir noch mehr von euch hören werden?
Markus: Ganz herzlichen Dank für eure Unterstützung! Auch wir hoffen, dass man noch mehr von uns hören wird. Bald wird unser neues Video für den Song "Strände der Einsamkeit" veröffentlicht. Das ist ein echtes Kunstwerk und wird sicher einige Leute umhauen, mehr sei an dieser Stelle aber noch nicht verraten.
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