Die Zahl 341, Deutungshoheit und der Legendensud
341, was sagt uns diese Zahl?
Die 341te Folge der TV Serie "Verliebt in Berlin" beispielsweise heißt "Der Wutausbruch".
 Der Rezensent befindet sich mithin allerdings nicht in Berlin, sondern im nun offiziell besten Bluesclub Deutschlands (German Blues Awards 2012 - an dieser Stelle herzlichen Glückwunsch!), der Blues Garage, in den Wicken vor den Toren der niedersächsischen Landeshauptstadt gelegen und Pilgerstätte der noch verbliebenen Livemusikfreaks außerhalb gängigen Mainstreamgetöses und innerhalb des good old 'Blues And Rock'-Circuit.
Und, es ist kaum zu glauben, nach der obligatorischen Blues Garagen-Hymne "Jessica" der Allman Brothers Band entern hoheitsvoll vier ältere Herren, als Antithese eines Wutausbruchs, die kleine Bühne und starten einen wundervollen Abend des gut abgehangenen Rhythm'n'Blues in der klassischen Deutungshoheit - also bitte nicht mit R&B verwechseln!
Und diese Deutungshoheit ist very British, waren es vor gut 45 Jahren doch die Briten, die eine ursprünglich afroamerikanische Musikevolution in den Status massenkompatibler Populärmusik hievten und zudem eine Weiterentwicklung forcierten, die spielend Jazz, Rock, Blues, Folk und Pop inkludierte.
 Selbstredend sind die vier Briten ganz der Tradition der wohlerzogenen Gentlemen verpflichtet und nehmen alsbald auch eine Dame in ihren Kreis auf, woraufhin wir schlussendlich 341 vergnügliche Lebensjahre musizierend erleben dürfen.
Das geschieht natürlich nicht wild voranstürmend, sondern mit gepflegter Klasse von Elder Statesmen/-woman, die sich längst weder selbst noch anderen etwas beweisen müssen, sondern einfach nur Spaß daran haben, noch genau das tun zu können und zu dürfen, was sie gerade tun - sehr zur Freude des erquicklich zahlreichen Publikums.
 Zunächst wäre da der etwas unfreiwillige Namensgeber dieser 'Rentnercombo', Mr. 'Superdrumming' Pete York, vor kurzem runde 70 Jahre jung geworden und u. a. berühmt durch seine Mitwirkung bei der Spencer Davis Group und 'The World's Smallest Big Band' ( Hardin & York). Unfreiwillig deshalb, weil dieses Projekt ursprünglich unter Jon Lords Banner firmierte, aber leider wegen dessen schwerer Erkrankung und letztlichen Ablebens (R.I.P. Jon!) nunmehr umbenannt werden musste. Erfreulicherweise vermeiden es die Protagonisten, irgendwelche Tränenkanäle zu drücken, und speziell Pete York sorgt in seiner Rolle als launiger Conférencier mit urkomischem Englisch-Deutsch-Kauderwelsch für manchen herzhaften Lacher. Nebenbei tänzelt bei ihm das Drum-Kit wie bei kaum einem Zweiten.
 Geradezu umwerfend gute Laune verbreitet der ebenfalls 70-jährige Zoot Money, der vor bald 50 Jahren einer Combo vorstand, bei der Pete York sich augenzwinkernd zu der Frage veranlasst sieht: »Wer waren denn da im Vergleich die Beatles?«.
In der Tat, Zoot Money's Big Roll Band war sicherlich in den 60ern des vorigen Jahrhunderts eines der britischen Aushängeschilder im tastendominierten Rhythm'n'Blues mit Jazzaffinität. Und der Meister hat nichts verlernt, zelebriert sein tradiertes Metier und kommt nach wie vor mit außerordentlich kauziger Mimik rüber - eine fesselnde Persönlichkeit!
 Das Küken der Band bedient die dicken Saiten, ist gerade zarte 67 Lenze jung und hat u. a. Alexis Korner, Back Door, Jan Hammer, Whitesnake, das Electric Blues Duo, die Spencer Davis Group, Peter Maffay und Chris Rea in seiner Vita stehen. Colin Hodgkinson begeistert nicht von ungefähr mit einem ungeheuer rhythmischen Stil.
 An der Sechssaitigen brilliert in unnachahmlich ausgeglichener und gelassener Art Miller Anderson, der völlig mühelos und unspektakulär jenes Gitarrenspielcredo personifiziert, wie es scheinbar nur die Briten beherrschen - es darf auch mal eine Note stehen gelassen werden!
Miller Anderson reüssierte mit der Keef Hartley Band im Legendensud der British Blues Invasion, gründete dann Hemlock, stieg kurz bei Savoy Brown ein, schaute ebenfalls kurz bei T. Rex vorbei, spielte bei den Dukes, mit Stan Webb bei Chicken Shack, ganz kurz mit Leslie West bei Mountain, seit den 80ern des vorigen Jahrhunderts bei der Spencer Davis Group und war auch beim Superdrumming-Projekt des Pete York involviert. Heute witzelt er über die phonetische Ähnlichkeit seiner schottischen Heimatstadt Houston mit dem deutschen Wort Husten und legt ein mitreißendes Texas-Rock'n'Roll-Stück gleichen Titels auf's Parkett.
 Bleibt also noch die Dame, die den Herren punktuell Feuer unter dem Hintern macht - Maggie Bell, im schon erwähnten Legendensud mit Stone The Crows unterwegs, anschließend nur leidlich erfolgreich solo aktiv (vom Midnight Flyer-Projekt unterbrochen) und nach wie vor mit einer Mörderkehle ausgestattet. Wer wird und wurde nicht alles mit Janis Joplin verglichen? Aber wenn's darauf ankommt, dann bläst dich nur eine aus den qualmenden Socken - richtig, auch Maggie Bell ist inzwischen, genau wie Colin Hodgkinson und Miller Anderson, 67 Jahre jung, aber was sie uns hier an diesem Abend ins Mikro röhrt ist eine Liga für sich!
 Das Songmaterial umfasst nicht unwesentliche Teile der letztjährigen Live-CD Jon Lord Blues Projekt, bietet einige signifikante Trademarksongs der einzelnen Protagonisten und es lässt sich nicht leugnen, dass die Klangfarbe der Jon Lord'schen Orgel schmerzhaft fehlt.
Insgesamt aber verneigt sich der Rezensent zusammen mit einem begeisterten Publikum vor den fünf Legenden einer Ära, zu der selbiger gerade mal so eben geboren wurde.
An dieser Stelle auch einen herzlichen Dank für die reibungslose Akkreditierung!
Bilder vom Konzert
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