Angegrillt wird!
Zwischenruf Oder:
Am Rost erkennst du den Deutschen Michel



Zwischenruf vom 28.04.2012


Norbert Neugebauer
»Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
wie Kruggeklirr und Schwartenprall:
Zum Rost aus Eisen, zum Grill aus Stein!
Wer will des Würzsteaks Meister sein?

Durch Hunderttausend zuckt es schnell,
und aller Augen blitzen hell;
der Deutsche, hungrig und mit Brand,
schafft treu an seinem Kohlenstand.

Er blickt hinauf in Himmelsau'n,
da Bruzzlerväter niederschau'n,
und schwört mit stolzer Kampfeslust:
Der Spieß wird schwarz und auch die Wurst!

Solang ein Brocken Kohl' noch glüht,
noch eine Faust den Broiler dreht,
und noch ein Arm den Humpen hebt,
verlässt kein Gast das fettig Feld!

Der Schwur erschallt, der Schnaps der rinnt
die Fahnen flattern hoch im Wind:
Am Grill, am Rost, am Schwenker mein
wir alle wollen Brüder sein!

Und ob mein Herz im Tode bricht,
und Krebs sich durch den Magen frisst.
Die Leber schrumpft im Alkosud,
gegrillt wird bis zum Heldentod!

Refrain
Lieb Rosterland schürst rührig an,
lieb Grillbauchvolk legst kräftig auf:
Fest steht und dreht die Wacht,
Lamm, Sau, Ochs auch
Fest grillt und treu die Wacht,
die Wacht am Rauch!«

[sehr frei nach Max Schneckenburger, der Eisen gegrillt hat]
Angegrillt Kaum ist der Schnee weggeschmolzen und die Sonne schiebt die Temperatur sanft in die Plusgrade, braust der Ruf durch ganz Germanien (und sicher auch noch durch ein paar Nachbarländer): Angegrillt wird!
Elektrisiert stürmen da auch einige RockTimes-Redakteure in die Veranden und Vorgärten, um den sorgsam eingefetteten Rost (Grill, Schwenker, BBQ …) in die noch kaum erwachte Natur zu zerren und anschließend im wohlgerüsteten Baumarkt um die Ecke Holzkohlesäcke in den Kofferraum zu laden. Beim Metzger des Vertrauens, notfalls auch an der Fleischtheke des nächsten Supermarkts, werden diverse Würste und Steaks eingekauft und dann gibt's kein Halten mehr! Kohle aufgelegt, Spiritus drüber und dann mit angesengten Augenbrauen, wenn's gut ausgegangen ist, und Fön die Glut richtig in Schwung gebracht.
Genau jetzt merkt auch der Nachbar in der bevorzugten Windrichtung, dass es 'nauswärts' geht. Derselbe Typ, der den ganzen Winter in seinem 'Werkstattofen' den Sondermüll der Verwandtschaft entsorgt hat, qualmt ihn nun zwar genauso stinkend, aber durchaus mit der TA [Abk. techn. Anleitung] Luft konform, mit neuen Schwaden ein. Parallel verschiebt sich die Anschürzeit von der hereinbrechenden Dunkelheit auf den sommerzeitlichen Feierabend, bzw. erweitert sich bei entsprechender Witterung auf das Gesamtwochenende. Von den beinharten Wintergrillern, die die Luftverpestung mit wechselnden Einsatzorten betreiben, wollen wir gar nicht reden.
AngegrilltObwohl es sogar einen Grillweltmeister aus Deutschland gibt, der sich durchaus gesundheitsbewusst unter den Gourmetbruzzlern dieser Erde durchgesetzt hat, gehören doch 99,9 Prozent der mir bekannten 'Scheffs am Rost' (ich kenne nur Männer in dieser Funktion) zu den 'Puristen' in jeder Hinsicht. Das fängt bei der Ausstattung an - natürlich offener, am besten selbstgeschweißter Holzkohlengrill mit dem Rost direkt über den Kohlen. »Was, Krebsgefahr - an irgendwas müssen wir ja sterben …« - Griller sind ausgesprochene Frohnaturen, meist Hardcore-Raucher, naturverbunden sowieso, die am liebsten im tarnfarbenen Jogginganzug 'draußen' sind, mindestens auf dem Balkon im Reihenhaus. Und Fleischfresser, die an einem Abend soviel Tierisches vertilgen, wie sonst für die ganze Familie die Woche über reicht. Aber nicht nur bei der Menge kommt unser alter Germane wieder zum Vorschein, 'stilecht' sind auch die Tischsitten - »das ist ja das Schöne, wir sind ja nicht im Sternelokal…«. Nach dem dritten Steak, der fünften Scheibe Bauch, dem zehnten Roster, samt entsprechendem Bierkonsum heißt es dann nicht nur: »Warum rülpset und furzet ihr nicht, hat es euch nicht geschmacket! «, sondern da wird das Wohlergehen auch adäquat lautmalerisch umgesetzt. Spätestens jetzt kommt der hochprozentige 'Niederdrücker' ins Spiel, »wegen dem fetten Essen«. Je nachdem, ob in der Woche noch gearbeitet werden muss (wenn überhaupt) oder schon Wochenende ist, verkürzt sich dann die Nachtruhe für die zwangsbeglückte Nachbarschaft auf Airport-Level.
Nein, ich bin kein Grillerhasser. Ich freue mich jedes Jahr, wenn es das erste Mal heißt: Angegrillt wird! Oder die Bratwurstbude vom Metzger ihre verführerischen Duftwolken im zeitigen Sommer durchs Dorf schickt. Ebenso, wenn bei einem frühen Geburtstag im Jahr der Hausherr uns unerwartet mit fettiger Schütze, Wendegabel und Bierkrug an der Tür empfängt. Ich esse auch gern Gegrilltes. Aber spätestens im Juli habe ich die angekohlten Bratwürste, schuhledernen Bauchscheiben und verwürzten 'Schtejks' satt, denn genau das gibt es in ebenso trauter Abstimmung wie fantasieloser Auswahl bei neun von zehn Einladern. Egal, wo in Deutschland ich hinkomme, Unterschiede gibt's höchstens in der regionalen Bezeichnung. Früher war wenigstens noch mal was selbst Eingelegtes dabei, ein paar von der Hausfrau angesteckte Spieße oder auch ein Forellchen aus dem nächsten Zuchtteich. Sogar an Vegetarier wurde gedacht, die durften sich über gegrilltes Gemüse zu Kartoffeln in Folie freuen. Letztere gibt es immer noch, mit Zaziki serviert, in dem der restliche Wintervorrat an Knoblauch verarbeitet wurde. Dazu gibt es pampigen Kartoffelsalat, angegärten Schichtsalat, Fertigsaucen und Stangenweißbrot, wahlweise die Semmeln vom Vortag.
AngegrilltGriller offenbaren nicht nur die archaischen Verhaltensweisen, die ihnen die Apothekenumschau jedes Jahr zu Saisonbeginn bescheinigt, sie verfügen auch über diesbezügliches kulinarisches Verständnis und sind die einfallslosesten Gastgeber überhaupt. Sicher gibt es Ausnahmen, in RockTimes-Kreisen beispielsweise kursieren immer wieder lecker anmutende Rezepte allerlei Grillguts, unsere Gourmets aus dem südwestlichen Randbereich bevorzugen auch ihre schönen Rotweine als Begleitgetränke. Allerdings - was war bei unserem bisher einzigen gemeinsamen Grillen auf dem Rost??? - Treffer - das 'Übliche'. In Franken erfolgt zumindest die Bierauswahl mit liebhaberischer Sorgfalt und wird nicht einfach die Billigplörre aus dem nächsten Supermarkt herbeigekarrt. Spezialisten holen sich ihre Holzkohle direkt beim Köhler (ja, die gibt es immer noch), marinieren nach Spezialrezept und verwenden Fettpfannen. Aber sonst? Ich möchte jedem dieser 08/15-Grillmeister aus Deutschen Landen mal empfehlen, den Amis beim BBQ über die Schulter zu schauen. Die leisten sich nicht nur ordentliche Rindersteaks, von denen ein Stück garantiert mehr Genuss verspricht, als die gesamte Grilltheke des nächsten heimischen Supermarkts, da kommen, je nach Region auch Fisch, Shrimps, Maiskolben, Spareribs, Hühnerteile und andere leckeren Sachen auf das Gitter, dazu hausgemachte Spezialsoßen und Beilagen. Und was für schöne Grillstationen die haben, die sogar samt Personal zur Party gemietet werden können. Das wäre eine Überraschung bei der nächsten Party!
Sorry, was das mit Musik zu tun hat?

Griller mögen Musik. Und lassen ihre Lieblingsmucke zur weiteren Erbauung der Nachbarn in entsprechender Lautstärke aus dem Ghettoblaster dudeln, sofern sie nicht selbst zu Klampfe oder Quetschkommode greifen. Je nachdem, wie der Landsmann sozialisiert wurde und das auch mit dem passend gehissten Banner über seiner Grillstation kundtut, ist da alles vertreten, von "Hohe Tannen", dem "Holzmichl", "Sieben kleine Jägermeisterlein" über "Sieben Tage lang" oder
Ace Of Spades bis hin zur "Internationale" und Sweet Home Alabama (entsprechend darüber Deutschlandfahne, wahlweise mit Hammer und Sichel, Jolly Joker, der Freie Republik Wendland-Regenbogen, Snaggletooth, Che Guevara oder die Rebel Flag). Zwar mag die Auswahl unterschiedlich sein, das Verhalten ist jedoch das Gleiche. Mit steigendem Alkoholpegel verschwimmen dann auch schon mal die Grenzen und dass das 'altdeutsche Liedgut' noch immer weitverbreitet ist, lässt sich kaum überhören. Spätestens dann beten die Nachbarn inbrünstig, dass der Sommer verregnet oder die Holzkohle mit einer enormen Sondersteuer belegt wird, die nur noch Millionären das Grillen ermöglicht. Und da gibt es üblicherweise keine weit und breit bei unsereins.
Angegrillt wird!