Fußball und Musik - (In-)Offizielles zur EM 2012
Zwischenruf (In-)Offizielles zur Europameisterschaft.



Zwischenruf vom 22.06.2012


Boris Theobald
Fußball ohne Musik, das ist wie alkoholfreies Bier, wie eine vegetarische Pizza oder wie Ringelpiez ohne Anfassen. Irgendetwas fehlt, oder - frei nach Loriot: Fußball ohne Musik ist möglich, aber sinnlos. Und wenn die Musik fehlt, machen wir sie halt selber... dachten sich schon die Fans des FC Liverpool, die als Erfinder des Fangesangs gelten. Heute hat jede Fan-Schar ihre eigenen Hymnen, seien es nun Klassiker ("You'll Never Walk Alone"), Konfektionsware mit Platzhalter für den Lieblingsclub ("Auf geht's, _________, kämpfen und siegen!") oder spontan entstehende intelligenzunabhängige Lautäußerungen bierseliger Zufriedenheit ("Schaalalalalaaa!", "Olé olé olé", oder das bereits nicht unkomplizierte, daher auch selten gewordene "FC _________ - schööööön!"). Da nun aber bei einer Veranstaltung wie der Fußball-Europameisterschaft 2012 - pardon, der 'UEFA EURO 2012' (ganz offiziell!) - alles schön durchreglementiert ist, wird nichts dem Zufall und dem Fan überlassen. Nein, die Musik gibt's per Vertrag!
Der offizielle Titelsong der EM heißt Endless Summer und stammt von Pop-, Soul-, Funk-, Hip Hop-, Techno-, Reggae-, Ethno-, House- und Sonstwas-Sternchen Oceana. Nun könnten wir jubeln und sagen: 1:0 für Deutschland! Denn Oceana ist Hamburgerin. Welch Ehre, dass die UEFA eine deutsche Sängerin auserwählt hat. Doch abgesehen davon, dass sich Oceanas größte Leistungen bislang auf die eigene Geburt vor 30 Jahren, die Teilnahme an der polnischen Version von "Let's Dance", einem zwölften Platz bei Stefan Raabs 'Bundesvision Song Contest' und dem akkuraten Auftragen eines Kajalstifts beschränken: Die Mucke ist auch nicht mehr als ein nervöses Zittern sonnig-synthetischer Dancefloor-Drögheiten.
Nun gut, auch stimmungstechnisch überlässt man bei der UEFA nichts dem Zufall. 'Sonnig' ist die Nummer ja. Aber welchen Eindruck die Hymne dann im Stadion von Donezk vermittelte, als das Spiel der Gastgeber gegen Frankreich eine Stunde lang unterbrochen wurde, weil es geblitzt, gedonnert und wie aus ukrainischen Putzeimern geschüttet hat? Naja, gehört eben auch zum Sommer dazu! Dennoch kann "Endless Summer" selbstredend keinen RockTimes-Qualitätscheck bestehen... ist halt so eine Nummer, mit der man Erster wird beim Eurovision Song Contest.
Da haben die Verantwortlichen der ARD gleich aufgemerkt und die Tänzelnummer auch für den EM-Sender Das Erste kurzerhand zum Sende-Soundtrack gemacht. Kein Trailer, Einspieler oder Jingle geht ohne Oceana.
Das Zweite Deutsche Farbfernsehen war etwas besorgter um die musikalische Bildschirmqualität. Frei nach dem Motto 'Mit Zweien hört man besser' gibt es zwei ZDF-Hymnen. Da wären zum einen Los Colorados mit I Like To Move It. Die Jungs sind Ukrainer und waren daheim durch Polka-Versionen von Popsongs aufgefallen. Die musikalische Qualität ist Geschmackssache; aber der Akzent des Sängers hat schon was Verrücktes und die stampfende Stupidität des neu interpretierten Gassenhauers bleibt trotz allem hängen. Irgendwie.
Zum anderen gibt es eine echte Überraschung: Burn It Down von Linkin Park - der Song ertönt am Ende des Tages beim Zusammenschnitt der besten Spielszenen. Nu Metal hin, Kommerz her - es ist hart und es ist heavy. Also mal wirklich - für das oft so gescholtene Senioren-TV nicht übel, oder?!
Und wir bleiben rockig. Zeit für mehr (Weita, immer weita [sic!]), so heißt die orthografisch bedenkliche, aber offizielle Euro-Hymne des 'Fan Clubs Nationalmannschaft', interpretiert von der Goldenen Generation. Der Trick mit dem Nationalhymnen-Hook ist ziemlich gut, und Humor ist beim Zitieren berühmter Fußballsprüche auch vorhanden (»Wir sind 'ne gut intrigierte Truppe, und ham die Mannschaft ganz karibisch zusammengestellt. [...] Wenn wir alle schlagen können wir es schaffen, alles andere ist primär.«). Mit Promille ist das voll zu ertragen (pun intended). So weit zum Fanclub von Jogis Männern.
Der DFB wiederum bevorzugt Schwiegermuttis Lieblingsvariante:
Roger Cicero. Für nichts auf dieser... *gäääähn* - 'tschuldigung' - ... Welt ist ein glatt gebügeltes Teutonen-Swing-Steppdeckchen. Gesungen von einem, der seine Songs nicht einmal selber schreibt. Das ist so eine Nummer, mit der wird man Letzter beim Eurovision Song Contest.
Und jetzt wird's inoffiziell. Der Band Jogis Löwen blieb ein offizieller Aufkleber verwehrt. Aber sie haben ihren Song einfach mal gemacht und zählen mit Fußballfieber '012 zu den Anwärtern für den inoffiziellen EM-Ohrwurm. Die haben einen Mordsaufwand für Audio- und Video-Aufnahmen betrieben und ein Fußballlied mit Pathos und Patriotismus geschrieben. Letztlich folgen aber auch Jogis Löwen der Standardrezeptur für Massengesang: schunkelfreudige Melodie-Häppchen und ein kehlig gesunger Text mit Signallyrik: »Der Pfiff ertönt, das Spiel fängt an. Schon ist Müller an der Kugel dran. Flanke - Kopfball - Tor!« oder »Das Spiel ist kalt, die Bräute heiß. Die Sommersonne treibt den Schweiß...« Aber hey, es rockt.
Die raubeinigere Alternative liefern die der RockTimes-Redaktion ja nicht unbekannten Kneipenterroristen. »Eins das ist wohl sonnenklar - 2012 wird unser Jahr. In der Ukraine und in Polen, werden wir den Titel holen« heißt die Devise im breitbeinigen Chorus von
2012 (wird unser Jahr), bevor es zur Entspannung nonverbal in die Verlängerung geht. Die Jungs haben Spaß und verbreiten ebensolchen. Und wer mag, kann ja mal versuchen, im offiziellen Video die Zahl der Bierflaschen, -becher und -krüge zu zählen. Fast so viele wie YouTube-Klicks (rund 150.000 bislang) Prost!
Leider stehen bei den Public-Viewing-Events (Ihr wisst schon:
Die Ausstellung eines aufgebahrten Leichnams) aus kommerziellen Gründen die Chancen für die Kneipenterroristen dennoch schlechter als die der Konkurrenz von zum Beispiel Culcha Candela. Die haben mit dem gänzlich RockTimes-inkompatiblen "Von Allein" leider einen zweifelhaften 'Hit' am Start. Nicht zu verdrängen sein werden auch die Toten Hosen. "Tage wie diese" wurde zwar nicht für die Europameisterschaft erfunden, dürfte sich aber binnen kürzester Zeit als universell anwendbarer Fußball-Evergreen etabliert haben. Nun: Es geht ja auch wirklich schlimmer. Da steckt Herzblut drin!
Am Ende des Tages bleibt die beruhigende Sicherheit, dass am Ende der EM die Elf des neuen Kontinentalmeisters - sei es nun Deutschland oder völlig unverdientermaßen eine andere nette Nation - das schmettern wird, was wahrlich und völlig zu Recht unsterblich ist: 'good ole' Queen...
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