»Mutter Gottes, Du Jungfrau, vertreibe Putin!
Vertreibe Putin, vertreibe Putin!
Schwarzer Priesterrock, goldene Schulterklappen,
Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung
Das Gespenst der Freiheit im Himmel
Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt.
Der KGB-Chef ist Euer oberster Heiliger,
Er steckt die Demonstranten ins Gefängnis.
Um den Heiligsten nicht zu betrüben
Müssen Frauen gebären und lieben.
Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck!
Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck!
Mutter Gottes, Du Jungfrau, werde Feministin,
Werde Feministin, werde Feministin!
Kirchlicher Lobgesang für die verfaulten Führer
Kreuzzug aus schwarzen Limousinen.
In die Schule kommt der Pfarrer, Geh' zum Unterricht - bring ihm Geld.
Der Patriarch glaubt an Putin. Besser sollte er, der Hund, an Gott glauben.
Der Gürtel der Seligen Jungfrau ersetzt keine Demonstrationen,
Die Jungfrau Maria ist bei den Protesten mit uns!
Mutter Gottes, Du Jungfrau, vertreibe Putin! Vertreibe Putin, vertreibe Putin!«
(Quelle: Welt Online und andere Online Medien)
Dürfen wir derlei blasphemisches Gedankengut überhaupt veröffentlichen oder wird es uns dann so ergehen, wie den Urheberinnen dieser Zeilen, die für ihre Performance des obigen 'Punkgebets' in der Moskauer Erlöserkathedrale jetzt zwei Jahre ins Straflager wandern sollen?
Mit einer ganzen Reihe von Aktionen schrie die anonyme, feministische Punkband seit Herbst 2011 ihre Wut auf den Unrechtsstaat, dessen Verbrechen und ihre Angst vor einer Wiederwahl Putins in die Welt. Auf dem Roten Platz, dem Dach eines Trolleybusses, in der Metro und vor Nobelboutiquen fanden ihre unangekündigten Auftritte (bis zu acht Frauen) mit Häkelmasken statt. Pussy Riot ist ein loser Zusammenschluss, keine Band mit feststehender Besetzung. Mit bunten, schrillen Klamotten, Masken und Gitarren erregen sie Aufsehen und gehen in ihren Texten hart mit Putin ins Gericht. Ihr 'Gebet' war das Ende dieser Auftrittserie und führte nach einigen Tagen zur Festnahme zunächst der beiden 'Pussies' Marija Alechina (Umweltschutzaktivistin) und Nadezhda Tolokonnikova (Bürgerrechtsaktivistin).
Die dritte, Ekaterina Samutsevic, darf sich nach wenigen Tagen zu ihnen in die U-Haft gesellen und möglicherweise war damit dann den Vergeltungsgelüsten der orthodoxen Kirche Genüge getan, denn am Gebet in der Kirche waren noch weitere singende Frauen und mindestens zwei Gitarristinnen beteiligt. Putin in seiner 'gnadenlosen' Güte entschuldigt sich bei den Gläubigen für den Auftritt und lässt seinen Vasallen Patriarchen Kirill Anzeige wegen 'schweren Rowdytums' gegen die jungen Frauen erstatten. Auch wenn tausende Gläubige in einem offenen Brief zwar die Aktion verurteilen, aber dennoch um Gnade für die Beschuldigten bitten, bleibt Kirill eisern und erweckt so tatsächlich den Eindruck »Der Patriarch glaubt an Putin.«.
Schon seit Wochen nehmen wir Anteil am Prozess gegen die drei russischen Musikerinnen. In Handschellen werden sie wie Schwerverbrecherinnen in einem Glaskasten vorgeführt. Das Urteil, zwei Jahre Straflager, erschüttert die Welt.
Die ganze Welt? Nein, nicht wirklich. Ein mehr oder weniger kleines Häuflein aufRechter äußert ganz offen das ungesunde Volksempfinden in Richtung »selbst schuld, die wussten doch, worauf sie sich einlassen« über »die täten sich besser um ihre Kinder kümmern« und dergleichen mehr... (wer's nicht glaubt, klicke sich nur mal auf Spiegel Online oder tagesschau.de durch die diversen Kommentare).
Unsere Politiker äußern halbherzig diplomatisch Betroffenheit: Merkel, Westerwelle und auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, finden das Urteil »zu hart« … ein Schelm, der dabei »na, 18 Monate hätten's doch auch getan« denkt. Hab ich's nur überhört oder übersehen, oder kam aus unseren Politikermündern tatsächlich nirgends die Aussage, die den Sachverhalt wirklich trifft? Dass nämlich dieser ganze Prozess ein schreiendes Unrecht und Verstoß gegen Menschenrechte und Menschenwürde ist!?!
Klaus Staeck, Präsident der Akademie der bildenden Künste macht mir hierzulands Hoffnung, indem er das Urteil klar benennt als »...politischen Skandal. Auch noch so provokante künstlerisch-politische Aktionen rechtfertigen keine derart drakonischen Strafen.« (Quelle: Spiegel Online)
Noch klarer äußert sich die OSZE-Beauftragte für Pressefreiheit, Dunja Mijatovic:
»Ich sehe einen Trend in verschiedenen Ländern, in denen die Autoritäten, soziale und religiöse Gruppen und Gerichte eine restriktivere Haltung zu Inhalten einnehmen, die als anstößig, moralisch fragwürdig oder gefährlich für Kinder betrachtet werden. Zumeist ist es ein Vorwand um Inhalte zu zensieren, die einfach nur nicht mainstream oder kritisch sind.
Anklagen wegen Rowdytums und religiösem Hasses sollten nicht verwendet werden, um die freie Meinungsäußerung einzuschränken. Äußerungen - ganz egal wie provokativ, satirisch oder sensibel sie sind, sollten nicht eingeschränkt oder unterdrückt werden und unter gar keinen Umständen zur Inhaftierung führen.«
Quelle: OSZE
Russland wird ein heißer Herbst bevorstehen. Weitere Solidaritätsaktionen und Kundgebungen sind angekündigt. Zahlreiche Verhaftungen teils prominenter Persönlichkeiten, wie beispielsweise des ehemaligen Schachweltmeisters Garri Kasparow und Oppositionsführer Sergej Udalzow, gab es schon während der Urteilsverkündung.
Amnesty International hat einen eMail-Protest gestartet, Kundgebungen und Demos sind in vielen Ländern schon am Laufen oder angekündigt.
Und doch sollten wir – gerade angesichts des oben schon angeführten 'Volksempfindens' vielleicht auch unsere engere Umgebung nicht ganz aus den Augen verlieren, denn wie weit ist Russland wirklich weg, wenn auch hier Punks, Metaller, Emos und andere gern in diese 'selbst Schuld-Ecke' gestellt werden und es niemanden verwundert, wenn sie von der Polizei schikaniert häufiger mal kontrolliert werden? Wenn sie für ihr Äußeres angepöbelt oder gar angegriffen werden?
Wie gesichert sind die Menschenrechte und die Freiheit der Kunst bei uns? Wie weit ist Russland wirklich weg?
PS: Noch ehe die Tastenanschläge beim Schreiben dieses Zwischenrufs völlig verhallt sind, werden in Köln drei SympatisantInnen der Pussies wegen Störung der Religionsausübung, Hausfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Versammlungsrecht angezeigt. Sie hatten am Sonntag morgen im Dom Schilder hochgehalten und Lieder gesungen. Norbert Feldhoff, Domprobst des Kölner Doms hatte bereits zu Beginn des Prozesses in Russland angekündigt, eine solche Aktion würde auch im Kölner Dom nicht toleriert.
Wie weit ist Russland gleich nochmal weg???
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