Nachdem ich die 17 Hippies erstmals 2003 beim Rudolstädter tff erlebt hatte, standen sie ganz oben auf meiner Wunschliste für weitere Konzerte. Ein Auftritt im Dresdner Alten Schlachthof ermöglichte nun das Wiederhören, zumal es mit dem Kennenlernen der für mich neuen Location verbunden war.
Der Alte Schlachthof wurde von Bernd Aust und seiner Kulturmanagement GmbH als Veranstaltungshalle für die sächsische Landeshauptstadt erschlossen und nach anfänglichem Provisorium vor etwa zwei Jahren umfassend renoviert. Er liegt in der Gothaer Straße in der Neustadt und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Straßenbahnhaltestelle vor dem Tor) und dem Auto (Parkplätze im Hof) leicht zu erreichen. Neben der Konzerthalle für maximal 2.200 Zuhörer sind weitere Vergnügungsmöglichkeiten in dem weitläufigen Anwesen untergebracht.
Da ich zwar damit rechnete, dass die kultigen 17 Hippies auch in Dresden mittlerweile viele Fans haben, aber auch in dem großen Haus keine Platznot erwartete, waren wir erst zum nominellen Konzertbeginn um 21 Uhr vor Ort. Und dann kamen wir uns erstmal vor, wie beim Besuch des Hochsicherheitstrakts von Stammheim. Bereits am äußeren Eingang Taschenkontrolle und die unmissverständliche Aufforderung, meine Kameras abzugeben. Als ich auf meine Akkreditierung hinwies, wurden meine Frau und ich zum Chef des Sicherheitsdienstes geleitet, der hinter einem Tresen unumschränkte Autorität ausstrahlte (und der mir nach Konzertende freundlich Auskunft über die hauseigenen Sicherheitsvorschriften und die Geschichte der Location gab). Nach dessen Belehrung ( »Aufnahmen nur ohne Blitz und nur während der ersten drei Songs, dann Kamera zu uns - Bandauflage«) wurden wir durch die große Vorhalle mit Bar zur Saaltür geführt, nach Anklopfen dem dortigen Personal übergeben und ich durfte dann als einziger anwesender Fotograf in den Bühnengraben. Draußen hatte man grad noch so gehört, dass die Band schon angefangen hatte.
Das Licht während der ersten Songs war nicht berauschend, aber ausreichend für ein paar vernünftige Shots (drei Songs sind Zeit genug, aber warum dann bei manchen Bands auch noch absichtlich 'verdunkelt' oder 'aufgeblendet' wird, kapier ich nicht. Schlechte Fotos sind schließlich Negativwerbung.). Der Saal wirkte gestopft voll, lt. dem Sicherheitschef waren 1550 Besucher gekommen. So blieben wir dann auch an der geschlossenen Tür stehen, die von zwei grimmig dreinschauenden, glatzköpfigen (ist das eigentlich Zunftordnung?) und über die meiste Zeit rauchenden Zerberussen bewacht wurde. Sie hatten als einzige offensichtlich keine große Freude an der multikulturellen Musik und ihren Fans. Die hervorragende Schallisolierung der Halle bewirkte auch eine entsprechende Raumtemperatur, die Bude dampfte nur so. Der Platz war nicht schlecht gewählt, zumindest hatten wir etwas Luft und der Sound stimmte auch noch. Vorne war es doch etwas lauter, für Rockfans aber sicher erträglich.
Was allerdings Kleinkinder im Alter von vielleicht drei Jahren auf den Schultern ihrer Eltern in den ersten Reihen bei einem solchen zweistündigen Konzert verloren haben, geht über meinen Verstand. Das grenzt nach meinem Verständnis hart an Verletzung der Sorgfaltspflicht. Wer im eigenverantwortlichen Alter sein Gehör aufs Spiel setzt, ist selber dran schuld. Seinen noch so begeisterten Kindern mit ihren hochsensiblen Hörorganen das anzutun, ist eine andere Sache.
Nun zur Musik. Näheres zu den 17 Hippies (bestehend aus 13 Musikern) hab ich im Review zu ihrer letzten CD Heimlich geschrieben, die auch Headliner der aktuellen Tour durch Europa ist. Allerdings mischten die Berliner immer wieder ältere Titel aus ihren früheren Produktionen darunter, was aber stilistisch wie aus einem Guss wirkte.
Auf der Bühne sind die Hippies wie ein Haufen Flöhe, ständig wechselten die jeweils Ton-angebenden Akteure im Spotlight und feuerten mit ihren Einlagen die Fans an. Die wippten sofort mit, versuchten sogar vereinzelt, trotzt der schweißtreibenden Enge, zu tanzen und waren nach kurzer Zeit völlig aus dem Häuschen. Die Mischung aus den unterschiedlichsten, vorwiegend balkanesken und frankophilen Folklorestilen, versetzt mit Swing und Rock'n'Roll, wirkte hochinifiziös auf Kopf und Bauch. Auch der von mir auf den Studioproduktionen als weniger gelungen empfundene Gesang der unterschiedlichen Mitglieder passte live viel organischer (auf die Texte hört dabei sowieso niemand). Trotz aller musikalischer Power, dem Rumgehüpfe und den oft wechselnden Instrumenten, spielte die Combo exakt wie ein Spitzenorchester mit seinen Solisten.
Mittelpunkt der ersten Stücke war Kiki Sauer mit ihrem Akkordeon, die kräftig die blonde Mähne fliegen ließ und im gestiefelten Wiegeschritt das zunächst höllische Tempo vorgab. Aber auch die melancholischen, chansonartigen Stücke kamen nicht zu kurz, die den besonderen Reiz im Repertoire ausmachen. Nach und nach hatten dann alle Hippies ihren Auftritt an der Rampe, einzeln oder auch im Duett, wie die Bläser oder der Saitensatz. Gegen Ende übernahm Kruisko mehr und mehr das Kommando und dirigierte Band und Publikum bei ihren wechselseitigen Einsätzen. Auch die knappsten Intervalle klappten perfekt, so waren beide Parteien aufeinander eingestimmt. Eingeschworen ist der wohl treffendere Ausdruck dafür, was da abging und was die Band auch immer wieder entsprechend kommentierte.
Nach zwei Stunden und der dritten oder vierten Zugabe verließen wir den kochenden Schlachthof, weil wir unseren letzten Anschlussbus nicht verpassen wollten. Wie lange die 17 Hippies und ihre Fans weitergefeiert haben, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls solange wir draußen unsere Sachen abgeholt und uns mit dem Sicherheitschef unterhalten hatten, ging das noch munter weiter, ohne das auch nur ein Zuhörer nach uns heraus gekommen wäre. Verrückt. Verrückt, wie die 17 Hippies!
Trotz aller ansteckender Begeisterung, die auch im Dresdner Alten Schlachthof tobte, ist mir der multiinstrumentale Haufen open air noch viel lieber als in so einer großen, proppenvollen Location. Und deren (sicher berechtigte) Sicherheitsaufwand samt ihrem teilweise sehr brüsk auftretenden Ordnungspersonal ist auch nicht so unser Ding. Dann doch lieber in Rudolstadt im Regen tanzen!
|