Von Kabbala, Mr. Crowley und der Entstehung abgefahrener Rockmusik
Rocktimes Interview Auch Einheitsbrei kann gut, mittel oder schlecht sein. Am Schönsten ist es für den gemeinen RockTimes-Redakteur aber, wenn kein Einheitsbrei ins Haus flattert, sondern Scheiben, die erstaunen und faszinieren, an denen man zu knabbern und zu analysieren hat. So ein Fall war und ist "Solipsissimus" von 26. Musik, Bandname, Albumtitel, Cover... fast alles an 26 wirkt wie ein Rätsel. Im Gespräch mit Macher Andy Kodiwein haben wir ein paar Antworten gesucht...



Interview vom 18.10.2009


Boris Theobald
RockTimes: Hi Andy, allerbesten Dank, dass du dir Zeit genommen hast für das Interview mit RockTimes! So eine Scheibe wie Solipsissimus kommt uns nicht gerade jeden Tag ins Haus... ist dir bewusst, dass du da etwas Außergewöhnliches geschaffen hast - oder ist das für Dich 'normal'?
Andy Kodiwein: Moin Boris. Freut mich natürlich, dass du es in diesem Licht siehst, danke. Interessanterweise scheint es so zu sein, dass man - mehr als bei Musik ohnehin üblich - die entsprechende Wellenlänge mitbringen muss. Es gibt immer wieder ein paar Leute, denen das Album über die Maßen gut gefällt, die in der Lage sind rauszuhören, was emotional reingesteckt worden ist, und dann die, die es zwar mögen, aber diese Besonderheit nicht ausmachen. Insofern... 'normal' ist das für mich auch nicht; ich schüttle solche Sachen keineswegs aus dem Ärmel.
RockTimes: '26'... so viele Stunden hat der Tag auf Bajor! Hab ich als Star Trek-Fan das Geheimnis hinter dem Namen gelüftet, na???
Andy: Nur knapp daneben! (lacht) Die eigentliche Erklärung ist nicht ganz einfach, aber ich versuch's mal.... Wie du vielleicht schon mal irgendwo gehört hast, gibt es bei den Kabbalisten die so genannte Gematria, d. h. Buchstaben entsprechen bestimmten Zahlen. 26 ist nun die Summe aus den 4 "Buchstaben" Jod He Vau He, die als Zahlen 10 + 5 + 6 + 5 entsprechen. Stehen tun sie für das Prinzip der Schöpfung an sich. Na ja, und worum geht's bei Kunst, wenn nicht um irgendeine Form der Schöpfung?!
Das Wortspiel 'Solipsissimus' hat dann auch noch direkt damit zu tun. Es setzt sich zusammen aus "Solipsismus", der philosophischen Denkrichtung, die nur das eigene Ich als real betrachtet, und dem Begriff "Ipsissimus", der den höchsten zu erreichenden Grad in einem von Mr. Crowley höchstselbst gegründeten Orden bezeichnet - 'A.A.' [Astrum Argenteum], ein Nachfolger vom 'Ordo Templi Orientis'.
Wenn man sich jetzt das Cover noch mal anschaut wird man merken, dass es schon etwas diese 'Gott vor der Schöpfung'-Stimmung aufweist. Der 'Gott' darauf ist in Verbindung mit dem Titel "Solipsissimus" ein jeder selbst. Außerdem ist er ein Narr, der zu einer Seite diese typische Narrenkappe auf hat und zur anderen ein Horn, was auch die tierische Natur des Menschen symbolisiert. Kurz und bündig: Der Mensch ist sein eigener 'Kreativ-Gott'.
Da ich natürlich niemals erwartet habe, dass das jemals einer so deutet, kann man das Ganze getrost als Privatwitz oder private Philosophie bezeichnen. Auf jeden Fall wollte ich allen Aspekten meines Schaffens auch einen Sinn geben und nicht nur einfach irgendein Cover anbieten. Starker Tobak, huh?
RockTimes: Ach was... sinnloses Schaffen gibt es in der Musikwelt meeeeehr als genug. Ich finde das toll, dass sich einer Gedanken macht! Aber stehen denn diese Gedankengänge auch in direkter Verbindung mit der Musik und den Lyrics oder sind Musik, Texte, Albumtitel, Bandname und Cover allesamt getrennte Einzelkunstwerke?
Andy: Nee, die Texte stehen damit nicht in direktem Zusammenhang, sind aber aber hier und da von okkultem Gedankengut leicht durchzogen. Die reine Musik ist natürlich schon mehr ein unmittelbares Produkt meiner persönlichen spirituellen Anschauungen. Die '26' als Bandname mit dieser Bedeutung steht aber erst mal nur als Überschrift für viele Dinge, die man als Musiker so erzählen kann - und die müssen nicht explizit okkult, spirituell oder übermäßig bedeutungsgeladen sein.
RockTimes: Du leidest unter Schubladophobie. Aber was ist denn 26 anderes, wenn nicht Progressive Metal?
Andy: Ja, wie andere vier Millionen Musiker auch (lacht) Ein Kollege von dir hat letztens die Bezeichnung 'Hard Prock' benutzt - fand' ich nicht schlecht. Mit Progressive Metal kann ich aber auch leben. Und dass diese ganzen Genre-Bezeichnungen bis zu einem Grad auch Sinn machen, sehe ich sogar auch noch. Unvorteilhaft für 26 war nur, dass die Bezeichnung 'Progressive' tatsächlich auf den reinen Wortsinn gemünzt war und nicht auf das klassische Genre; was dann dazu geführt hat, dass einige Hörer diese typischen '1973-Prog'-Elemente wie zum Beispiel Keyboards vermisst haben. So sehr Klischee die Antwort auch ist - ich mache mir da wirklich keine Gedanken drüber. Ich hänge nur Töne hintereinander. Weil eine verzerrte Gitarre dabei ist spreche ich gern von Rock-Musik. Klassifiziert hat man damit allerdings so gut wie nix, das sehe ich ein.
RockTimes: 'Tschuldigung dafür, dass ich so viele andere Bandnamen in meinem Review gedroppt habe. Aber weißt du... man braucht ja irgendwie etwas, an dem man sich entlanghangelt und festkrallt, wenn man nicht mehr weiter weiß. Erkennst du nicht auch hin und wieder irgendwelche anderen Bands in deiner Musik, wenn du sie dir noch mal in aller Ruhe reinziehst?
Andy: Doch doch, meine Einflüsse erkenn' ich schon - ich achte aber penibel auf die feine Linie zwischen Einfluss und geistigem Diebstahl, ganz zu schweigen von einem echten 1:1-Plagiat. Zu mir selbst gehört ein musikalischer Ausdruck erst dann, wenn ich als Mensch das dahinter stehende Gefühl auch tatsächlich erlebt habe.
RockTimes: Hast du denn musikalische Vorbilder? Und mit was hat es denn bei dir einst angefangen - doch bestimmt nicht mit ganz so außergewöhnlicher Musik, oder?
Andy: Ich hab' zwar mit vier die Led Zep-Platten von meinem Vater 'sortiert', aber ich glaube, das zählt nicht, oder? Angefangen hat's genauso unspektakulär wie bei vielen anderen auch. Ich glaube zu meinen ersten selbst gekauften Platten gehörte "Hot Stuff" von Donna Summer. Hört man heutzutage nicht ganz so gut raus, vermutlich... Irgendwann später gab's dann den berühmten Kumpel, der die Initialzündung für anspruchsvolle Musik gegeben hat. Dann kam Frank Zappa, und der hat mich lange Zeit beschäftigt... also als Hörer! (lacht)
RockTimes: Mit 26 verdienst du bestimmt nicht deinen Lebensunterhalt - das wär ja toll und fair, wenn das so weit ab vom Mainstream ginge! Aber bist du denn trotzdem Profi-Musiker in irgendeiner Form?
Andy: Ja, ich mache ansonsten Studioarbeit und unterrichte Gitarre. Aber abgesehen davon werde ich natürlich versuchen, 26 so gut wie möglich zu etablieren. Was den Mainstream angeht, bin ich noch dabei, ein Joe Valdarno (Sänger bei 26)-Album zu produzieren. Ohne, dass es das Ziel wäre, sind Joes eigene Songs vermutlich massentauglicher als 26. Muss nur noch jemand den Massen Bescheid sagen.
RockTimes: Dein 'Bandfoto' - wenn ich es mal so nennen darf - bei MySpace ist ja... sagen wir mal: ungewöhnlich. Seid ihr denn nicht vorzeigbar?
Andy: Nein, wir gehen tatsächlich immer erst nach 22.00 Uhr raus, damit sich keine kleinen Kinder mehr erschrecken (lacht). Im Ernst, 26 ist ja ursprünglich ein Projekt und keine Band, die sich einen gemeinsamen Proberaum teilt oder so was. Und solchen Sachen wie 'wichtigen Bandfotos' kann ich sowieso nicht so viel abgewinnen. Wenn wir also schon unbekannt sind, dürfen wir darin auch konsequent sein, finde ich.
RockTimes: Ist aus dem ursprünglichen Projekt 26 denn inzwischen eine Band geworden? Gibt's euch nur im Studio oder auch mal auf der Bühne?
Andy: Immer noch mehr Projekt als Band und auch leider erst mal nur im Studio. So gerne ich das auch anders hätte... Eine Umsetzung, die auch wirklich was hermacht, ist momentan schlicht zu aufwendig. Die Idee ist aber im Hinterkopf ständig präsent, und sobald sich irgendwo eine Möglichkeit ergibt, wird die auch genutzt.
RockTimes: Wie lange schreibt man an einem Album wie "Solipsissimus"?
Andy: Zwei Jahre.
RockTimes: Braucht man da ein Mathematikstudium für?
Andy: (lacht) Ach komm', da gibt's aber Schlimmeres. Gerade in der Prog-Welt. Was du hörst, ist wirklich hauptsächlich erfühlt und nicht konstruiert.
RockTimes: Verbringst du eigentlich gerne Nächte allein im Tonstudio? Die Musik klingt... auch, wenn es Schlimmeres in der Prog-Welt gibt, ja ja... irgendwie nach endlosem Rumgeschraube.
Andy: Das endlose Rumgeschraube hat bei mir erst angefangen, als es ans Abmischen ging. Die Engineer-/Produzenten-Seite war bis vor dem Album noch nicht wirklich gefordert, und leider gehöre ich wohl zu den Typen, die sich in einem Mix absolut verlieren können. Ansonsten ist es eher so, dass ich den Studio-Rechner wirklich nur anmache, wenn ich da auch was Konkretes zu tun hab. Viel Zeit verwende ich allerdings auf den richtigen Take. Also nicht den technisch gesehen korrekten, sondern den, der am intensivsten transportiert. Und auf die Auswahl der Ideen natürlich auch.
RockTimes: Andy, du bist ja der Allein-Komponist von 26... das heißt, du präsentierst Drummer Marco und Sänger Joe einfach deine Ideen und die setzen sie dann 1:1 um? Geht das denn überhaupt, so ausgefallen wie deine Musik rüberkommt?
Andy: Joe ist was die Vocals angeht schon kompositorisch beteiligt - nicht unerheblich übrigens. Er hat ein unheimlich treffsicheres Händchen für gute Melodien, was uns letztlich auch zusammengeführt hat. Er wurde quasi generalstabsmäßig aus den Weiten des Internets gefischt. Dass dann hinter seiner Musikalität auch noch ein klasse Mensch steckte, war natürlich ein super Bonus, der uns eigentlich von Beginn an zu einem Team gemacht hat. Was die Umsetzung angeht, gibt es bei uns ein 'Sowohl-als-auch'. Es gibt konkrete Ideen, die ich gerne umgesetzt hätte, dann gibt es konkrete Ideen, die eine Veredelung erfahren und dann gibt es komplett eigenständige Vocals-Ideen von Joe, die ich auch gerne mal meinen eigenen vorziehe.
Die ersten gemeinsamen Studioaufnahmen von Marco und mir sind aus dem Jahr 91; man könnte also sagen, wir kennen uns schon ein paar Tage. Wir hatten von Beginn an die gleichen musikalischen Vorlieben und ich denke, wir haben uns einfach als Musiker eine Zeit lang gemeinsam entwickelt. Ich hatte Marco die Sachen vorab zwar schon mit programmierten Drum Guides gegeben, wäre aber eigentlich überhaupt nicht notwendig gewesen, weil er ohnehin genau das Richtige spielt. Bei der nächsten 26 spar' ich mir diese Arbeit dann auch, hab' ich beschlossen. Andersrum ist es übrigens genau so: Er lässt mich auch einfach machen. Wie kürzlich auf seinem Album "Catspoon". Wenn man den anderen musikalisch versteht, erübrigen sich große Erklärungen.
RockTimes: So krass "Solipsissimus" auch ist... würde die Musik nicht hier und da noch mehr gewinnen, wenn mehr Gehirne an der Musik arbeiten?
Andy: Gute Frage, das müsste man wohl ausprobieren. Mir gefällt nur leider nicht mehr viel von außen, wenn ich mal einen kompositorischen Weg eingeschlagen habe. Mehr Gehirne werden aber dennoch auf der nächsten 26 beteiligt sein, weil ich in puncto Instrumentierung etwas erweitern möchte. Außerdem wird der Bass teilweise von Chris Buck übernommen, also einem echten Basshirn, wenn ich das so sagen darf. Ich sehe aber in jedem Fall die Gefahr, die sich ergibt, wenn ein Kopf zu viele Aufgaben übernimmt und werde versuchen, so gut wie möglich dagegen zu arbeiten.
RockTimes: Hast du mal versucht, ein Label zu finden, das deine Musik vertreibt und promotet? Oder ist in dem Business kein Platz für so etwas wie 26?
Andy: Ich suche da noch nach der optimalen Lösung. Um mir in diesen Zeiten des Umbruchs der Musikindustrie überhaupt erst mal einen Weg zu ebnen, habe ich einfach mein eigenes Label A tec rec gegründet und mit Hilfe eines alten Freundes auch einen Vertrieb gefunden, justforkicks. Dass bei all dieser Eigenregie eine echte Promotion deutlich zu kurz kommt wundert natürlich nicht. Ich hoffe halt darauf, dass ein Erstling mit positiver Resonanz mir irgendwo die richtige Tür öffnet. Platz für 26 gibt's bestimmt, so optimistisch bin ich.
RockTimes: Hast du schon konkrete Pläne, wie es weitergeht?
Andy: Ich schreibe - mittlerweile wieder in aller Ruhe - eine weitere 26. Vor einiger Zeit hab' ich zum ersten Mal den Ausdruck 'Fluch des zweiten Albums' gelesen - ich glaube es war Mike Keneally, der den benutzt hat - und gedacht, das betrifft mich nicht. Ein Irrtum, wie ich festgestellt habe. Man ist wirklich schnell versucht, irgendwas hinzufummeln, nur um was Neues zu präsentieren. Nachdem ich das kapiert hatte, bin ich wieder zur bewährten Schreibweise zurückgekehrt. Lässt mich bestimmt hin und wieder wie einen Lahmarsch erscheinen, aber ich finde, vertonte Belanglosigkeiten haben wir schon genug.
RockTimes: Hasse Recht. Ich wünsche dir weiterhin viele Eingebungen und bedanke mich für das Interview!
Andy: Ich danke ebenfalls, hat mich ehrlich gefreut.
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