26 / UpSessions
UpSessions Spielzeit: 51:01
Medium: mp3
Label: Eigenproduktion, 2013
Stil: Prog Metal

Review vom 09.06.2013


Boris Theobald
'Oh je - jetzt singt der auch noch!'
Das war der erste Gedanke, der mir beim Blick ins Line-up durch den Kopf geschossen ist. Jawohl, auf seinem zweiten 26-Album, "UpSessions", übernimmt Gitarrist, Komponist und Denker Andy Kodiwein nun auch den Gesang. An diesem Job haben sich schon viele Instrumentalgenossen verhoben - sei es nun auf Grund von gnadenloser Fehleinschätzung der eigenen Sangeskunst oder weil ein großes Ego dafür sorgt, dass am Ohr einfach was anderes ankommt als den Stimmbändern entweicht. Nun, das Ego hat auch bei Andy Kodiwein den Ausschlag gegeben. »Nachdem ich schon so viel Arbeit ins 'Ertauchen' der Musik investiert hatte, und diese schon eine bestimmte persönliche Sprache sprach ...«, erklärt er selbst. Sänger Joe Valdarno machte auf Solipsissimus einen tollen Job. Aber Kodiwein entschloss sich, die Musik noch mehr zu seiner zu machen. »Ich war mir des Risikos, das selbst zu machen, bewusst ...«
... sprach es, sang - und das gar nicht so schlecht. Man hört, dass da kein 'Techniker' am Werk ist. Aber in der Produktion des Albums hat man einen guten Weg gefunden, die Vocals mit einem etwas verklärenden Hall nicht so weit in den Vordergrund zu mixen. Der Gesang passt sich atmosphärisch ganz gut in die teils surrealen Stimmungen auf "UpSessions" ein. Die wandeln haarscharf und entschlossen auf dem Grat zwischen raffiniertem Prog Metal für musikalisch hochentwickelte Mitzähler und Momenten, in denen das Prog-Ich sich entschließt, die Analyse auf Eis zu legen und zuzulassen, dass 26 einfach mal mit meinem Verstand ein wenig Gassi geht. Den Grundstein zum Grenzgang legt der Opener "Escape To Above" - schon der Titel ist bei hinreichender Reflexion doch sehr cool - auch in den Lyrics:
»but you sense there's more than plain existence
and the underpart you are playing
in this secular string puppet theatre you're not walking
you are swaying
escape (to above)«
Instrumental gelingt die 'Flucht nach oben' mit einem polyrhythmischen Filigrangeflecht aus Klargitarren - hat in seiner komplexen Klarheit etwas von Sieges Even - verzerrter Sologitarre mit einem Schuss Schwermut - es könnte kurzzeitig auch in Richtung alter Fates Warning gehen - und scharf-schweren Metal-Riffs. Die werden punktuell schon mal thrashig, wie in "Spanish Flyght". Um im nächsten Moment von einem Flamenco-Einschub abgelöst zu werden. Der Wagemut im musikalischen Drehbuch hat schon hier und da was vom Psycho-Schwermetall à la Mekong Delta. Nach eingängigen und sangbaren Strophen wie bei "Common Ground" erhöht sich schnell die Atemfrequenz, ohne dass man sich verzetteln würde. Ja, ich kann auch als Normalo-Progger, der nicht jeden Tag Watchtower, Spiral Architect und Tourniquet zum Einschlafen braucht, die Existenz jedes Songschnipsels in seinem ihm gegeben Takt gutheißen. Sagt das Gefühlszentrum ...
... und dem schickt Kodiwein ja auch gnädigerweise immer mal wieder ein paar Streicheleinheiten durch die Ohren. Einige melodische Refrains schälen sich nach wenigen Hördurchgängen doch recht fein heraus. Sogar bei den Instrumentalstücken "Blue Aftertaste" (ein Riff-Tyrannosaurus!) und "Barock" (»der Mittelteil hat ja so eine gewisse klassische Süße«, sagt der Autor) kann sich das Ohr an markanten Melodieschnipseln entlanghangeln. Dazwischen kultivieren die Künstler konsequent und krass die Kultur des Unerwarteten. Andy Kodiwein beeindruckt nicht nur mit seiner flinken Solokunst im Stile eines 'Musician's Albums', sondern in Sachen Songwriting auch mit angenehm anormalen Harmoniefolgen, die im Quintenzirkel auch schon mal springen statt klettern. Schlagzeugkünstler Marco Minnemann - er war übrigens unter den gecasteten Top-Kandidaten für den Job bei
Dream Theater - setzt ein 1000-Stücke Puzzle aus Zählzeiten zusammen und zirpt zusätzlich noch genau auf jenen 16-teln an einem Becken rum, die gerade mal nicht zum Angebot gehören. Oh, der Mann lässt gerne mal ne Vier ungerade sein!
Und trotzdem kann ich 26 keine mutwillige Verkopftheit vorhalten. Als Erklärungsversuch, ganz beispielhaft, hier eine (sehr subjektive?) Assoziation meinerseits: "Your Pequod" erinnert mich an Rush in den Spätsiebzigern und Frühachtzigern (und heute wieder ...). Vergnüglich verkompliziert; und es geht trotzdem bei wie nix. Wieso schnurstracks geradeaus, wenn man beim Schlenken und Schwenken doch so viel mehr erleben kann? Das rhythmisch raffinierte, schon fast schelmisch verspielte Intro, die quietschvergnügten Fingerübungen nach anderthalb Minuten, der nahtlose Wechsel zwischen Klargitarre und Distortion, der organische Klang im allgemeinen ... Es fehlen praktisch nur Geddys Basslines und der Quietschgesang.
Einflüsse kann man auf "UpSessions" viele hören. Wenn man will. Aber einen Stempel lässt sich 26 erfreulicherweise nicht wirklich aufdrücken. Das wird mir nochmal beim nachdenklichen, verhältnismäßig ruhigen Rausschmeißer "Comes A Time" deutlich. Dieser hat einen wirklich hervorstechenden, schwermelodischen Mitnick-Refrain. Aber aus was der nun, reichlich 'unproggigerweise' besteht, aus erdigem Blues Rock, Heavy Metal, Stoner oder Classic Rock, das ist nicht so ganz klar. Aber warum auch, bei "UpSessions", einem Album zum Upheben - siehe Cover ... das ist Kodiwein himself, wie er weit über den Wolken vom Dach der Hausnummer 26 abzuheben versucht, mit zwei Flying Vs als Flügel... da passt schon was zusammen, auf diesem Album. Es ist keines für Schnell-, aber für Hellhörer.
»consume and die the life a lie just random breeding
the dna just here to fray is there exceeding?

So go on so go on so go on
step by step (go) step by step (go) step by step and you will
cutting the strings now (all you need is) cutting the strings now (all you need is) cutting the strings now ...

and feel free to climb«

("Escape To Above")
Leider ist das Album (bislang) nur digital zum Download erschienen. Andy Kodiwein bietet aber ein Booklet zum Runterladen als pdf an.
Line-up:
Andy Kodiwein (guitars, bass, vocals)
Marco Minnemann (drums)

Guest musicians:
Chris Buck (bass - #3,5)
Joe Valdarno (additional vocals - #1,4)
Mario Brinkmann (synths - #9)
Tracklist
01:Escape To Above (6:35)
02:Your Pequod (5:02)
03:Fragile (4:16)
04:Common Ground (5:55)
05:Blue Aftertaste (4:17)
06:Barock (4:23)
07:Spanish Flyght (5:35)
08:Sitting On A Park Bench (7:55)
09:Comes A Time (7:01)
Externe Links: