Der Anfang für eine geistreiche Besprechung eines Tonträgers gestaltet sich immer dann schwierig, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um ein Werk von geradezu körperlich nachhaltiger Präsenz handelt.
Das Quartett 3rdegree eröffnet mit ihrer Musik einen völlig neuen Horizont an progressiven Interpretationsmöglichkeiten und verfügen über einen geringen Wiedererkennungswert, was in unserer verkaufsorientierten Zeit ein absolutes Novum darstellt.
Viel zu oft wird momentan der Begriff 'Progressiv' in der populären Musik missbraucht, schnell von der Industrie dieser Stempel aufgedrückt, um es der jüngsten Konsum-Renaissance dieses Genres mit beizumengen. Einst in den Sechzigern aus der Idee geboren - Rock/Pop-Musikstücke um neue Harmonien und Instrumentierungen zu erweitern, sich kompositorisch auch in Längen zu verwirklichen - zeigen uns heute einige Musiker, dass man fortschreitende Rockmusik auch in das noch ungewohnte Drei- bis Fünf-Minuten-Format zu transformieren vermag, ohne dabei in die Banalität eines radiotauglichen Pop-Liedchens abzudriften.
3rdegree sind eine solche Musikformation, welche die Gabe besitzt, ihre Kompositionen nicht in steril konstruierte Epen mit übermäßigen Verzierungen versinken zu lassen, sondern geschulte Techniker, die dies in die genreunüblichen kurzen Songs zu
integrieren vermögen.
Die vier Herren aus New Jersey beherrschen die Kunst, noch richtig ausgeklügelte, bündige
Lieder zu schreiben, ohne die instrumentalen Egomannen auf den Plan zu bringen.
Einen gewissen Hang zur Selbstironie kann man ihnen auch nicht absprechen, nennen sie doch ihr neues Werk "Narrow-Caster" (das Gegenteil von "Broadcast"), um damit sozusagen auf das Klinkenputzen bzw. kleinere Brötchen backen von unabhängigen Musikern ohne Lobby anzuspielen.
Eine Besonderheit ist sicher auch die Tatsache, dass 3rdegree zwölf lange Jahre ihre Kreativität auf Eis legten, nachdem sie 1996 mit dem zweiten Album "Human Interest Story" einen lokalen Erfolg einheimsten, um im Spätsommer 2005 ihr Konzept des Power Pop Prog wiederzubeleben.
Das Resultat kann sich wirklich hören lassen. Zehn kompositorisch atypische Kleinode, welche diesmal musikalisch mehr zur progressiven Avantgarde tendieren, als sich in Popgewäsch zu ertränken. Bandgründer Robert James Pashman und seine Mannen haben zum ersten Mal eine echte Teamarbeit verwirklicht und hinterlassen auf "Narrow-Caster" eine sehr eigene, nicht immer leicht verdauliche Handschrift.
Mit typisch amerikanischer Lockerheit gelingt es dem Quartett von der Ostküste, musikalisch unverkrampft, komplex und moderat, teils auch mal schnörkellos vom Leder zu ziehen, und geschickt verstreute arrangierte Details bzw. inhaltliche Verschachtelungen in die Songs zu verpacken.
Bassist, Keyboarder und Sänger Robert James Pashman, Gitarrist und Sänger Pat Kliesch, Schlagzeuger Rob Durham und Leadsänger sowie Keyboarder George Dobbs produzieren sich nicht im instrumentalem Kokettieren, sondern verarbeiten zündende Arrangements aus der überlaufenden Schöpfkelle des Grunge, Hard Rock, West Coast, Avantgarde und New Artrock, und kreieren daraus ein gelungenes Nischenprodukt.
Die Protagonisten verbinden eine erfrischende Modernität mit Schlichtheit,verspielte Progressivität mit grungigen Teilen, wie beim Soundgardenesken "Free For All", setzen aber vermehrt auf Melodien und mehrstimmige Gesangsharmonien, welche die Kompositionen angenehm antiquiert wirken lassen. Sorgsam eingestreute, elektronische Popelemente und kantige, komplexe, gerade noch zugängliche Strukturen, erhalten eine stilistisch subtile Duftmarke, ohne jedoch den Hörer zu verprellen.
Die Interpretationen lassen kaum Wünsche offen. Eine gewisse Schärfe und Spielwitz kommen ebenso zur Geltung, wie die knappen lyrischen Momente. Die vier Akteure verblüffen mit ihrer Arrangement-Kunst und musizieren reibungslos, wie ein bestens abgeschmiertes Getriebe.
Pashmanns Bass, nebst seiner und Dobbs Tastenarbeit bilden die Grundlage, auf denen die meisten 3rdegree-Kompositionen aufbauen, wobei Letzterer programmierte Sounds ebenso gern verwendet, wie auch das Clavinet, ein analoges, elektrisch-mechanisches Tasten-Instrument, welches klangtechnisch einem Cembalo gleichkommt.
Dazu gesellt sich recht opulent das geschmackvolle, punktuell minimalistische Spiel von Gitarrist Pat Kliesch, das auch schon mal Referenzen eines Andy Summers ("Banana Peel") Mike Rutherford oder Kim Thayil ("Free For All") aufweist, aber auch gern mit archaischer Urgewalt nach vorne drängt oder sich gar mit Belew'schen Soli ("Narrow-Caster") zu behaupten vermag.
George Dobbs Liedstimme paart sich zwischen einem schroff artikulierenden Tenor mit leicht gutturaler Technik und einem ausgeprägt tonal phrasierenden Sänger, was am Ende wie eine Kreuzung aus einem bluesgetränkten Chris Cornell und einem entrückten Ray Weston klingt.
Rob Durham liefert darüber hinaus zu allen Stücken eine unaufdringliche aber stützende Schlagzeugarbeit, um die verschrobene Extravaganz der zehn Songs, wovon derer sieben in ihrer Urform aus dem Jahr 1996 stammen, abzurunden.
Textlich setzen sich 3rdegree thematisch substanzvoll mit einigen hässlichen, unbequemen Erscheinungen in unserer modernen Gesellschaft auseinander, behalten als Autoren sozusagen den Boden unter den Füssen.
Musikalisch unterstützt wurden die Herren bei ihrer Studioarbeit von den Gästen Veronica Puleo (Backing Gesang in "The Last Gasp") und Dan D'Elia (Schlagzeug in "Narrow-Caster" & "The Last Gasp").
Mit diesem Comeback-Album empfiehlt sich das Ensemble dem genrekompetenten Konsumenten, der sich vor einem eklektischen Rockgemisch mit höchster kompositorischer Delikatesse nicht desinteressiert abwendet, und auch schon die Leidenschaft für Bands wie Echolyn für sich zu entdecken vermochte.
Kenner von kurzen prägnanten Produktionen mit dem typischen Strophe-, Bridge-, Refrain-Muster in einem Beet von melodischen und rhythmischen Strukturen und einem etablierten Maß an Komplexität, werden diesen Tonträger begierig erkunden.
Die Stärke und Faszination von "Narrow-Caster" liegt unter der Oberfläche wie eine Schatztruhe verborgen und bricht erst nach mehreren Hördurchgängen seine Schlösser.
Diese klangtechnisch druckvolle, moderne Produktion ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Ideenpool im progressiven Musikbereich noch nicht gänzlich trockengelegt bzw. dieses Genre im 21. Jahrhundert angekommen zu sein scheint. Ein bisschen mehr Medienpräsents würde solchen Tonträgern ganz gut tun, um diese nicht zum Verstauben in anonymen Archiven zu verdammen.
Tracklist |
01:Apophenia
02:It Works
03:Narrow-Caster
04:Live With This Forever
05:Cautionary Tale
06:The Proverbial Banana Peel
07:Young Once
08:Scenery
09:Free For All
10:The Last Gasp
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