Action / Same
Action - Same Spielzeit: 73:08
Medium: CD
Label: Garden Of Delights, 1972/2008
Stil: Prog Hard Rock


Review vom 09.07.2015

(Bilder mit freundlicher Genehmigung von Garden Of Delights)


Manni Hüther
Zu Ullis Review der LP möchte ich noch was sagen. Grundsätzlich stimmen wir beide seit unserem Kennenlernen 1977 äußerst weitgehend mit musikalischen Einschätzungen überein, haben als Freunde nicht nur seitdem, sondern wohl auch davor eine ähnliche musikalische Sozialisierung durchlaufen. Nun hab ich die CD mit den Live-Tracks als Bonus.
Ich hab die CD erstmals im Januar 2015 bekommen und der Name Action war mir schon ein Begriff, da meine 1952 geborene und damit drei Jahre ältere Cousine Brigitte in Zweibrücken aufgewachsen ist und die Stadt erst 1974 in Richtung Fulda verlassen hat (und auch während der ersten Inkarnation der Band ca. 1968 eine Single von ihnen hatte; so jedenfalls unser beider Erinnerung, die uns aber auch täuschen kann. Otto Nunold als Ur-Mitglied wird es wissen).
Action 1972Nachdem sich die Band 1971 auflöste, formierte sie sich ein Jahr später mit teilweise geänderter Besetzung neu und spielte 1972 Songs für eine Platte ein. Und man stellt zuerst mal fest, dass es fast unglaublich ist, dass die Titel "Miscarriage Of Human Thinking" (Parts 1 & 2) und "Hell Track" live im Studio (!) eingespielt wurden. Keine Overdubs, kein Mix, kein gar nix, laut Booklet auf der Durchreise zu einem Konzert. Es ist die reine professionelle Qualität der damals gerade mal Anfang 20 Jahre alten Musiker; es gibt keinerlei Verhaspeln in der thematisch sehr vielschichtigen Musik mit den sehr langen Spielzeiten der Songs. Man kann also den Jungs traumhaft sicheres Verständnis im Zusammenspiel konstatieren.
Mein Gott, wenn Rohmaterial dieser extremen Güte noch einen richtigen Mix eines Produzenten erfahren hätte, wäre die Rockgemeinde im Koordinatensystem zwischen Deep Purple,
Uriah Heep, den deutschen Lucifers Friend und anderen Acts des gleichen Spektrums in Ehrfurcht vor den Lautsprechern auf die Knie gefallen. Hört sich hochgestochen an, aber im Retrospektiv ist es so! 1972 kamen Purples Machine Head und Heeps "Demons And Wizards" auf den Markt, beide mit Killermaterial gespickt. Die Songs von Action als professionell produzierte Platte hätten denen in nichts nachgestanden! Ich kann nur vermuten, dass die Band keine finanziellen Mittel hatte, um dies zu realisieren (und sich die A&R-Typen der Plattenfirmen im Tiefschlaf befunden haben!).
Action 200835 Jahre nach ihrer Auflösung 1973 wollten Action die Titel ihres 1972 nicht erschienenen und erstmals 1997 veröffentlichten Albums noch mal live in der Festhalle ihrer Heimatstadt Zweibrücken auf die Bühne bringen. Wegen der großen Nachfrage wurden zwei Konzerte angesetzt, wobei das erste am 22.11.2008 professionell mitgeschnitten wurde und genau darum geht mir hier. Natürlich kann man sich auf YouTube ein Bild davon machen, aber leider passt die Kameraführung oft nicht zum akustischen Geschehen und lenkt deswegen nur unnötig ab. Erst die CD mit dem hochkarätigen, satten Klang bringt das richtig rüber. Und wie!
Charly Fottner mit seiner 1970er Gibson Les Paul, Ernest (Erny) Cadet an den Drums, Otto Nunold an den Keyboards und Harald Schindler am Bass waren natürlich das Rückgrat des Live-Auftritts. Den Harald Schindler hab ich übrigens mal mit der saarländischen Kultband RS Rindfleisch live erlebt, in der Hermann Erbel die Drums spielte, der dann als
Hermann Rarebell bei den Scorpions berühmt wurde. Für dieses 2008er Konzert stand allerdings der ursprüngliche Sänger Wolfgang Benki nicht zur Verfügung.
Und genau dies ist eigentlich gut so, denn – im Gegensatz zu Ullis Review – finde ich seinen Versuch, wie Ian Gillan von Deep Purple zu klingen, nicht wirklich überzeugend. Zu affektiert, sicher keine richtige Akzentsache, aber sein Bestreben, super cool rüberzukommen, hört man doch raus. Im Booklet heißt es, dass die Gillan-Masche damals wohl so gewollt war. Sei's drum. Auf alle Fälle passt für mich der deutlich jüngere Dirk Brill wesentlich besser zu den Songs, ist aber leider im Mix etwas zurückhaltend untergebracht.
Es beginnt mit dem fast zwölf Minuten langen "Hell Track". Der Name passt, der Song rockt wie die Hölle. Nach dem Thema, das im Verlauf zur Abgrenzung der anderen Teile des Titels noch zweimal wiederholt wird, nimmt sich die Band etwas zurück, Charly Fottner lässt die Gitarre weinen, um dann kurz später schon mit einem tollen Gitarrenspiel zum Einsatz von Dirk Brill zu kommen; dann mit einem zaghaften Aufheulen der Les Paul und direkt folgendem unglaublich geschmackvollen Tonfolge die ganze Power von Action darzustellen, die sich in einer Hardrock-mäßigen Bass-Schlagzeug Sequenz mit saftigen Keyboards entlädt. Dirk singt: »… it's too late for going back when you're out on a hell track…« Nun wissen wir auch, was es mit dem Songtitel auf sich hat. Klasse Wah Wah-Sound der Gitarre und starker Orgeleinsatz, Otto Nunold übernimmt öfter das Geschehen, auch um überzuleiten, sein Instrument ist sowieso der Gitarre gleichberechtigt.
Ich höre immer wieder Gitarrensequenzen, die erstaunen und nach etwa acht Minuten dann ein kurzes Solo, das einem erneut die Kinnlade runterfallen lässt. Harald Schindler unterstützt den Gesang professionell; seine Chorstimme ist tatsächlich etwas Uriah-esk! Der Titel hält etliche Überraschungen bereit und ist in seiner Gesamtheit wirklich spannungsreich aufgebaut.
Dann kommen Action zu ihrer Königsdisziplin, deren beide ursprünglichen Teile hier zusammengefasst als ein Titel mit ca. 16 Minuten Spielzeit geeignet sind, meine Meinungen und Einschätzungen über Rock wenn auch nicht über Bord zu werfen, dann aber doch zu überdenken: "Miscarriage Of Human Thinking".
Nach einem gefühlvollen Gitarreneinstieg mit herrlichen Orgeltupfern unterlegt setzt der Gesang ein, um dann kurz später dem Zuhörer mit einem heftigen Bandeinsatz klarzumachen, dass wir uns hier immer noch im Prog-Hard Rock Business befinden. Was Charly Fottner da auf der Gitarre macht, die Saiten zieht oder noch kurz nachdem die Band eigentlich punktgenau abgeschlossen hat, noch eine weitere Gitarrenlinie dranzuhängen, ist für mich kaum zu beschreiben. Das wird auch noch mal wiederholt; es ist einfach zu geil und ich hab so was nur äußerst selten von sehr wenigen anderen Top-Gitarristen unabhängig von ihrem Bekanntheitsgrad so gekonnt und ungekünstelt vernommen. Diese in Jahrzehnten Bühnenerfahrung erworbenen Fähigkeiten zu solchen kurzen Gitarren-Einsprengsel sind Sounds für meine eigene Ewigkeit!
Nach ca. dreieinhalb Minuten geht es attacca in Part II dieses Tracks über, getragen wird das von tollen, changierenden Akkorden der Les Paul – die immer heftiger werden – und dem Durchsetzungsvermögen von Bass und Schlagzeug mit dem schön darüber gewebten Keyboard-Sound. Klasse auch die Vocals von Dirk Brill, der sich dort auf der Bühne offensichtlich bzw. offen hörbar sehr wohlgefühlt hat. Ernest Cadet tritt hie und da mal heftig auf das Pedal seiner Bass Drum, um den unwiderstehlichen Rhythmus wortwörtlich festzuklopfen. Große Klasse!
Dann… nach knapp über sieben Minuten leitet Erny mit einer kurzen, aber heftigen Schlagsequenz auf die Snare Drum zu einem weiteren Teil des Songs über, der - als könnte es nicht anders sein - mit einem geilen Ziehen der Saiten auf der Les Paul beginnt, direkt gefolgt vom einem klassischen Hard Rock-Riff. Wenn dann fast gleichzeitig die Band einsteigt, wird wohl jeder Rockfan entweder tanzen, Luftgitarre spielen oder headbangen. Wahrscheinlich alles zusammen. Das macht dermaßen an…
Danach wird einem fetten, zu Beginn erst langsamen, dann immer schneller werdenden Gitarrensolo Raum geschaffen. Die perfekte Ausführung wirft mich vollkommen um… ein starker Bass und die unerschütterlichen Drums unterstützen, während die Keyboards darüber wabern. Ein neues, exzellentes Gitarrenthema wird im weiteren Verlauf vorgestellt, auch noch nie nur ansatzweise vorher von anderen Interpreten so gehört.
Nachdem mit der Wiederholung eines saftigen Riffs der Schluss eingeläutet wird, zaubert Charly dem staunenden Zuhörer nochmal ein Wahnsinns-Solo in den Gehörgang, dessen Ende wieder zum neuen Thema der Gitarre zurückfindet. Die Band dabei in Full Swing, Hard Rock at its best! Mein Gott, wie großartig!
Aber der Schock folgt auf dem Fuß: Nichts antizipiert das unvermittelte Song-Ende, fast brutal … nach 15 Minuten und 47 Sekunden hört es einfach schlagartig auf…
"You Are The Lady" lag bisher nur in einer uralten Liveaufnahme vor (s. Ullis Review) und diese Version hier unterscheidet sich hauptsächlich bei dem Intro der Gitarre, das genau so dann im späteren Verlauf noch mal erklingt. Und ich weiß nicht recht, wie ich es beschreiben soll. Ein Schuss AC/DC-Riff, gepaart mit der "Gimme Shelter"-Abgeklärtheit eines jungen Keith Richards, das kommt ungefähr hin.
Auch in diesem Hammersong viel Abwechslung und Überraschungen, heftige Gitarrenparts- und Soli. Die Rhythmusfraktion unerbittlich, die sphärische Orgel setzt wichtige Akzente im Klang-Amalgam der Band. Dann sozusagen als Krönung des tollen Spiels von Harald Schindler seine wunderschönen Basslinien, fast wie Lead-Gitarre. Ein John Entwistle aus Zweibrücken…
Zusammengehalten wird das Ganze wie auch in den anderen Stücken vom leider verstorbenen Drummer Ernest Cadet. Man anerkennt beim Hören seine Autorität am Schlagzeug, auch fast alle Wechsel und Themenübergänge für seine Bandkollegen läutete er ein. In diesem Track schlägt auch die Stunde für den jungen Mann am Mikro, die Lyrics scheinen Dirk Brill auf den Leib geschneidert zu sein; er liefert eine absolut authentische Hard Rock-Performance.
Nachdem die drei Bonustracks vom 2008er Konzert vorüber sind, sitze ich auf der Couch und denk mir: 'What da Fuck', die letzten knapp 37 Minuten haben mich durch emotionale Höhen geführt, wie ich es nur sehr selten erfahren hab. Tatsache, Folks! Dreht auf und es wird euch mitreißen!
Action 2008Diese 2008er-Aufnahmen laufen bei mir seit ihrem ersten Hören vor sechs Monaten sozusagen im Dauerbetrieb, ohne dass ich dessen überdrüssig würde. Zum eigenen Realitätscheck läuft eine andere Platte dieses Stils auch oft davor oder danach, die ich sicherlich in meiner Review auch entsprechend gewürdigt hab: Made In Japan von Deep Purple.
So hervorragend die Platte ist, auf der die britischen Hard Rock-Pioniere als Musikerpersönlichkeiten eine super Darstellung abliefern, so sehr stelle ich mir die Frage: Wie ist es möglich, dass eine fast unbekannte deutsche Band mit eigenem Songmaterial auf Augenhöhe dagegen hält?
Ich nehm mal Ritchie Blackmore, bekanntermaßen ein Gigant an der Gitarre. Wenn ich sein Spiel auf den Songs der "...Japan" verfolge, so geil das auch ist, vor allem bei "Strange Kind Of Woman" mit seiner unübertroffenen Guitar-Vocal-Sequenz mit Ian Gillan, die Gitarre ist eher statisch und vorhersehbar, weil sich die Soli der Songs bei aller Professionalität und Schnelligkeit/Sicherheit im Spiel doch sehr ähneln. Bei ähnlicher Virtuosität kommt bei Charly Fottner noch was dazu, denn selbst nach vielfachem Hören vernimmt man immer noch was Überraschendes; auch kleine Zwischentöne, auf die man nicht vorbereitet ist und die deswegen so überzeugen. Klar gibt es auch mal einen an Mick Box erinnernden Wah-Wah Sound, es ist aber absolut nicht epigonal!
In der Summe war Action auf der Bühne nicht weniger schlagkräftig als das große Vorbild; nur der Bekanntheitsgrad macht den Unterschied, weil ja jeder die Purple-Songs auswendig kennt. Bei "Made In Japan" bin ich nicht sicher, ob sie im Studio nachbearbeitet – also geschönt – wurden (was ja Usus war und ist). Bei Action ist das, was man hört, tatsächlich auch das, was dort live gespielt wurde, die YouTube-Aufnahmen sind der nachhaltige Beweis. Man hört ein organisches Ganzes, eine Einheit, eine Band mit traumhaft sicherem Interplay, das auf der musikalischen Klasse jedes Bandmitglieds am jeweiligen Instrument beruht. Hier werde ich wieder vom Grundsatz bestätigt: Kunst kommt von Können!
Action 1972Der Klang der 1972er Aufnahmen ist durchweg gut, beim Livetrack aus demselben Jahr doch anhörbar und zum Glück nicht historisch. Die Titel der 2008er Aufnahme hingegen lassen jeden Klangfreak die Daumen heben: Saftig, satt und durchhörbar; so muss Hard Rock dieser Machart klingen! Nur Dirks Gesang ist etwas unterrepräsentiert, was angesichts seiner Leistung schade ist.
Das Booklet ist ungewöhnlich gut ausgestattet: Auf Sage und Schreibe jeweils acht (!) Seiten in Deutsch und Englisch wird die Geschichte der Band ausführlich erzählt und zusätzlich gibt es noch mal 14 Seiten mit Bildern, nicht nur von Action selbst, sondern auch von den verzweigten Vorgänger-, Nachfolge- und Seitenbands, in denen die Mitglieder gespielt haben. Da das Booklet mit aller Liebe zum Detail von Ernest Cadet selbst gestaltet wurde, erscheint es als sein Vermächtnis und ist gleichzeitig auch ein Lexikon der Zweibrücker Rockszene. Auch dafür gebührt ihm Anerkennung!
Applaus auch für ein Label, das solch hochwertige Rock-Musik in dieser luxuriösen Ausstattung und ohne Hoffnung auf hohe Absatzzahlen ermöglicht. Die leben den Kulturauftrag wohl deutlich intensiver und risikofreudiger, als die subventionierten Kollegen im Bereich der klassischen Musik (so sehr ich diese Musik auch schätze!)
Mein Fazit muss ich nun ja wohl nicht erläutern, möchte aber anmerken, dass die Beschaffung der CD nicht so reibungslos war. Nachdem es Wochen dauerte, kamen mit dem Hinweis, es weiter versuchen zu wollen, Stornierungsangebote; da hab ich aufgegeben. Aber es gibt ja die spezialisierte Seite von Rudi und Monika Vogel aka Green-Brain. Innerhalb von zwei Tagen wurde geliefert. Eine Bezugsadresse, die man sich also merken sollte.
Manchmal gibt es Dinge, die finden erst nach Jahrzehnten zusammen… genau das ist mit mir und dieser Platte geschehen. Ein solches Prog-/Hard Rock-Kleinod erst so spät (mit fast 60 Lebensjahren!) kennenzulernen, empfinde ich als Glücksfall und Bereicherung meiner kulturellen Identität, denn diese Action-Großtat wird mich neben so vielen anderen wahnsinnsgeilen Klängen quer durch Genres nun als neuer Kumpel bis ans Lebensende begleiten und eins ist sicher: Sie wird oft laufen, weil sie als reines musikalisches Adrenalin mein Innerstes aufwühlt!
Es kann also nur heißen: Hats off to Action!
Line-up:
Wolfgang Benki [1972] (Gesang)
Dirk Brill [2008] (Gesang)
Otto Nunold (Orgel)
Harald Schindler (Bass)
Ernest Cadet (Schlagzeug)
Charly Fottner (Gitarre)
Tracklist
01:Miscarriage Of Human Thinking [Part I] (3:35)
02:Miscarriage Of Human Thinking [Part II] (13:32)
03:Hell Track (12:12)
04:You Are The Lady (8:01)
05:Hell Track [Live Bonus 2008) (11:50)
06:Miscarriage Of Human Thinking [Live Bonus 2008] (15:56)
07:You Are The Lady [Live Bonus 2008] (8:43)
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