RockTimes: Zunächst einmal vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unsere Fragen nimmst, BJ.
Ihr kommt ja aus North Carolinas Hauptstadt Raleigh, also eher einer Großstadt. Wo habt ihr die Erfahrungen gesammelt, die ihr auf eurem aktuellen Album "Small Town Hymns" besingt?
BJ Barham: Ich lebe erst seit neun Jahren in Raleigh. Ich kam im Alter von 18 Jahren hierher, als ich mich an der North Carolina State University eingeschrieben habe. Meine gesamte Kindheit habe ich in Reidsville/NC verbracht. Dort wurde mir auch die Idee von dem 'small town America' eingeimpft. Alles auf Small Town Hymns ist auf meine Heimatstadt, auf viele Kleinstädte im ganzen Land gemünzt. Ich versuche immer, über etwas Reales zu schreiben und gerade meine Heimatstadt ist etwas, wo mir das besonders leicht gefallen ist.
RockTimes: In den Texten zu diesem Album ist eine gewisse Ambivalenz zu vernehmen. Eine Kleinstadt kann ebenso der Himmel wie die Hölle sein. Wie erlebst du dieses Spannungsfeld?
BJ Barham: Ich habe die Stadt, in der ich aufwuchs, gehasst, aber jetzt finde ich, dass sie mir fehlt. Als Kind arbeitete ich sehr hart in der Schule, nur um einen Ausweg zu finden und haben. Es scheint so, als wolle ich immer das, was ich gerade nicht habe. Ich vermisse eine Menge von den kleinen, alltäglichen Dingen in kleinen Städten: Familie, Gemeinschaft, Werte. Aber es gibt eben auch Dinge, die ich am Leben in der Großstadt liebe: Kultur, aufgeschlossene Menschen und die Musikszene. Ich genieße es, wenn ich im Urlaub zurück nach Hause komme - weg von der Hektik Raleighs und der Straße. Ich werde dort immer zu Hause sein und ich bin sehr glücklich, Erfahrungen im Lebensstil sowohl der Klein- wie Großstadt zu haben.
RockTimes: Ich hatte den Eindruck, dass "Small Town Hymns" musikalisch eher etwas düsterer, fast 'depressiv' ausgefallen ist. War dies ein Ausdruck dieses Spannungsfeldes?
BJ Barham:
Ja, sehr viel sogar. Ich wollte sichergehen, dass die Musik mit den Gefühlen übereinstimmte, die ich hatte, als ich versucht habe, aus dieser Stadt rauszukommen. "Small Town Hymns" ist ein sehr viel 'abgespeckteres' Album als Dances For The Lonely - viel mehr akustische Gitarre und atmosphärisches Zeug. Es transportiert ein echtes Gefühl der Verzweiflung und das ist genau das, was wir wollen. Ich habe wirklich das Gefühl, dass von all unseren Alben auf "STH" die Musik und die Texte am perfektesten übereinstimmen. Ich bin sehr glücklich darüber.
RockTimes: Scherzhafte Frage: Was hat eure Musik mehr beeinflusst: Die Sandstrände am Atlantik oder die wilden Appalachian Mountains?
BJ Barham:
Ich wuchs zwei Stunden von den Bergen und zwei Stunden von der Küste entfernt auf. Ich würde sagen, dass die Musik der Appalachen, der Folk und Bluegrass, sehr viel mehr Einfluss auf meine Musik genommen hat. Beides mag ich seit den Kindertagen sehr. Die Instrumentierungen auf "STH" war sehr im Bluegrass-Stil gehalten: Kontrabass, Mandoline, Banjo, Fiddle... Es ist ziemlich offensichtlich, dass diese Art von Musik einen enormen Einfluss auf mich hat.
RockTimes: Ernsthaft: Wo sind die Wurzeln eurer Musik zu suchen und welche Rolle hat für euch als Südstaatler der Southern Rock gespielt?
BJ Barham: Die Wurzeln meines musikalischen Hintergrundes liegen im Country, Gospel und Folk. Ich wuchs mit Kirchengesängen auf und zuhause hörten wir viel Countrymusik: Hank Williams Sr., Merle Haggard und Waylon Jennings. Ich liebe die Einfachheit, die Ehrlichkeit der Countrymusik. Dann kam die Phase, in der man als Kind alles hasst, was die Eltern mögen. Das brachte mich zum Punk und HipHop, aber mit Anfang zwanzig kam ich zum Country zurück und er nimmt einen sehr großen Raum in meinem Leben ein. Zum Southern Rock kam ich erst während meiner High-School-Zeit. Er hat definitiv einen Platz in unserer Musik, ohne dass er allerdings der wichtigste Einfluss wäre. Ich denke, 'technisch' gesehen sind wir eine Rockband aus dem Süden - aber wir sind nicht .38 Special, oder so.
RockTimes: Alternative Country, Roots Rock und Red Dirt sind ebenfalls vernehmbar, oder?
BJ Barham:
Ja, sehr. Ich würde sagen, dass Alt Country das ist, was wir am meisten hören. Es lässt sich einfach ein breites Spektrum dem 'Alt Country' zuordnen. Wir werden auch immer vertrauter mit Red Dirt, seit wir sehr viel mehr Zeit in Texas und Oklahoma verbringen, und Red Dirt klingt einfach riesig!! Ich denke, dass die von Dir genannten Genres recht gut in unsere Musik integriert sind.
RockTimes: "Dances For The Lonely" ist m. E. deutlich rockiger ausgefallen, als der Nachfolger. Könnte man daraus schließen, dass ihr stilistisch eher offen seid und euch dem jeweiligen Songmaterial anpasst?
BJ Barham:
Ich mag keine Bands, die immer und immer wieder die gleiche Platte aufnehmen. Ich will mich als Songwriter und die Band als Musiker herausfordern. Wie schon erwähnt: 'Americana' kann sehr unterschiedlich sein und ich will eine ganze Menge dieser Subgenres erkunden. Ich glaube, dass Springsteen genauso 'Americana' ist wie Ryan Adams - Lucero genauso wie Woody Guthrie. Ich mag es wirklich, wie wir als Band diese verschiedenen Typen des Genres erkundet haben, aber dennoch immer den Grundsätzen des Americana treu geblieben sind.
Wenn man "Small Town Hymns" als Konzeptalbum zum Thema 'Kleinstadtwüste' bezeichnen mag, kann man "Dances For The Lonely" als ein Konzeptalbum zum Thema 'Unglückliche Liebe' bezeichnen. Wird hier nur das Thema Nr. 1 im Rock'n'Roll zitiert oder wurden reale Herzen (dein Herz?) gebrochen, als die Songs entstanden?
BJ Barham:
Ich musste ein paar ziemlich schlimme Trennungen durchmachen und diese Existenzängste führten zu den Songs von "Dances For The Lonely". Ich bin kein Heiliger und an manchen Trennungen war ganz sicher ICH schuld, aber einige haben mich richtig tief verletzt. Songs wie "I Hope He Breaks Your Heart" sind grundehrlich - keine mit Zuckerguss übergossene Metapher... Dieser ist schlicht und einfach aus Hass auf ein Mädchen entstanden, das mein Herz brach. Ich denke, jeder von uns kennt dieses Gefühl, jeder kann sich in diesem Song wiederfinden.
RockTimes: Wir fragen uns in Deutschland oft, warum gerade im Südosten der US so viele ambitionierte, junge Bands geboren werden. Welche Bedingungen fördern die Kreativität der dortigen Musiker?
BJ Barham:
Ich habe das auch bemerkt, hahaha! North Carolina scheint ein 'heißes Bett' für einige der besten jungen Bands des Landes zu sein und wir fühlen uns sehr geehrt, zu dieser Gruppe gerechnet zu werden. Ich glaube wirklich, dass die Kinder des Südens ehrlich über das singen, was sie erlebt haben. Die Kunst des Geschichtenerzählens ist im Süden sehr viel lebendiger, als anderswo im Land. Ich erinnere mich bespielsweise an meine Großmutter, die die lebhaftesten Geschichten zu erzählen wusste - das ist wie Bildermalen mit Worten! Deshalb gibt es wohl so viele tolle Songwriter im Süden.
RockTimes: Du schreibst ja alle Songs - arrangiert werden sie aber von der gesamten Band gemeinsam. Wie geht ihr da konkret vor? Entwickeln sich die Songs während der Proben oder im Studio? Probiert ihr neue Sachen auch zunächst mal live aus?
BJ Barham:
Ich bringe nur eine sehr skelettartige Version der Songs in die Band ein. Ich schreibe die Texte und das Grundmuster der Musik und bringe dies zu den Jungs. Von da an fügen wir ein und bauen, bis wir zufrieden mit dem fertigen Produkt sind. Meist schreiben wir 'on the road', lernen die Songs während der Soundchecks und dann springen wir ins kalte Wasser und spielen sie live. Wir schreiben nur ganz selten Songs im Studio - zu riskant, hahaha.
RockTimes: Was mir stark auffällt: Obwohl alle Songs von dir geschrieben wurden, erlebe ich American Aquarium als eine ungemein homogene Band. Was sind die Ursachen dafür?
BJ Barham:
Wir haben jetzt mehr als 250 Shows in den letzten fünf Jahren zusammen gespielt. Nach so vielen Shows bildet sich einfach eine spezielle Art von Bindung. Jeder kennt die Vorlieben und Abneigungen des anderen, auch musikalisch. Die Jungs können in der Regel nach wenigen Augenblicken vorhersagen, in welche Richtung ich einen Song haben möchte. Wir leben zusammen, im Van, in Hotelzimmern... dadurch sind wir ein eng verbundener 'Haufen' geworden. Das ist die einzige Art, wie ich es erklären kann.
RockTimes: In diesem Zusammenhang: Wie lange macht ihr schon in dieser Besetzung Musik?
BJ Barham:
In dieser Besetzung sind wir jetzt mehr als drei Jahre zusammen. Die meisten der Jungs sind seit mehr als fünf Jahren mit mir zusammen. Die jüngste Ergänzung war unser Schlagzeuger der Ende 2009 zu uns stieß. Kürzlich hat uns unser Keyboarder, der seit 2006 bei uns war, verlasssen. Seit Beginn unserer Karriere gingen schon zahlreiche Musiker durch unsere Reihen, aber jetzt haben wir ein Line-up, bei dem wir sicher sind, dass wir zusammenbleiben werden, solange die Band besteht.
RockTimes: Ihr wollt in diesem Jahr in Europa touren. Mit welchen Erwartungen kommst speziell Du nach Deutschland? Gibt es etwas Bestimmtes, das Du an Deutschland schätzt?
BJ Barham:
Wir waren alle noch nie in Deutschland, so dass wir wirklich begeistert von diesem Erlebnis sind. Die Kultur, das Essen... wir können es kaum erwarten. Wir haben so viele tolle Geschichten von Freunden aus anderen Bands, die gewesen dort gewesen sind, gehört, dass wir nur noch aufgeregter werden. Am meisten freue ich mich auf das Bier, von dem ich großartiges gehört habe. Ich kann es kaum erwarten, es sebst zu testen.
RockTimes: Wenn ich an North Carolina denke, kommt mir sofort der Name Warren Haynes in den Sinn. Was würdest Du sagen, wenn ihr von ihm zum 'Christmas Jam 2012' nach Asheville/NC eingeladen werden würdet?
BJ Barham:
Wir würden begeistert sein! Warren ist wirklich ein nationales Kulturgut und er hat bereits jetzt tiefe Spuren in der Musikindustrie hinterlassen. Er hat in einigen der größten Bands in der Geschichte des amerikanischen Rock and Roll gespielt. Auch wenn wir stilistisch sehr verschieden sind, haben wir einen riesigen Respekt vor ihm. Es wäre eine große Ehre für uns, wenn er uns bitten würde, den Xmas-Jam zu spielen.
RockTimes: Auch uns in Deutschland bewegt derzeit die Frage, wer im Herbst zum neuen Präsidenten der US gewählt wird. Was glaubst Du: der liberale Barack Obama oder der konservative Rick Santorum?
BJ Barham:
Ich mag es nicht, über Politik zu reden, aber ich bin ein Obama-Anhänger. Santorum ist genauso verrückt, wie er rüberkommt. Die Amerikaner würden einen großen Fehler machen, wenn sie Santorum ins Weiße Haus schicken würden!
RockTimes dankt Carmen von Teenage Head Music, die dieses E-Mail-Interview ermöglichte.
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