Stephen Gammond - A Technicolor Dream
A Technicolor Dream Spielzeit: 156:00
Medium: DVD
Label: Eagle Vision, 2008
Sound: Dolby Digital 2.0 Stereo
Bild: PAL
Format: 16:9
Sprache: Englisch
Ohne Altersbeschränkung
Stil: Psychedelic Rock


Review vom 17.11.2008


Grit-Marina Müller
Gleißende Lichtsequenzen huschen über die entrückten Gesichter hunderter, seltsam fremdgesteuert tanzender Nachtwesen, reflektiert von der silbernen Oberfläche auf Syd Barretts Gitarrenkorpus. Doch es sind keine ekstatisch hochfrequentierten Effekte atmosphärischer Lightshowinfernos. Es sind die ersten, zarten Sonnenstrahlen. Sie dringen durch die großflächigen Rosettenfenster des Alexandra Palace an diesem wunderschönen Frühlingsmorgen im April 1967 und trennen den Zauber einer außergewöhnlichen Nacht von der taghellen Wirklichkeit eines vermeintlich wahr gewordenen Traums.
Regisseur Stephen Gammond zeigt in diesem Traum die aufregende Entwicklung und den Verlauf des sogenannten Underground Movements im London und England der sechziger Jahre. Detailliert dokumentiert er insbesondere deren spektakulären Ereignis-Höhepunkt "A 14 Hour Technicolor Dream", jenes extraordinäre Musical Happening, das die Richtungswende in der Hippie- und Jugendbewegung von Mitte 1967 an markiert und symbolisiert. Erzählt wird parallel die Geschichte der 'Marching Band', des 'Underground-Hausorchesters' und Headliners des Technicolor Dream, Pink Floyd - Prototyp einer Psychedelic-Rockband.
"Piss off, Victoria!" charakterisiert Peter Jenner, einer der ersten Floyd-Manager, unverblümt den impertinenten Widerspruchsgeist der gegen das Establishment aufbegehrenden sehr jungen, kaum 20-jährigen Engländer und Engländerinnen. Sie brachten in den frühen Sechzigern schon ihre deutliche Antihaltung gegenüber den rüstungsstrategischen Ambitionen der politischen Macht im Königreich auf den von Jahr zu Jahr gefürchteteren CND (Campaign for Nuclear Disarmament)-Märschen mit aller Entschlossenheit zum Ausdruck. Das sollte erst der Anfang sein.
Nährendes Öl in die aggressiv vorwärtsdrängenden Lauffeuer gießt die amerikanische Beat-Generation, angestiftet von ihren literarischen Galionsfiguren, J. Kerouac, L. Ferlinghetti, A. Ginsberg. Die Rädelsführer mischen mit ihren berüchtigten Präzedenz-Werken auch das traumatisierte Nachkriegs-Europa auf und positionieren gedanklichen Aufruhr wie Dynamit in den Brennzentren ihres Wirkungsraums. Eine Zündschnur führt zu Victoria und sprengt vor Ort ein völlig neues gesellschaftliches, wie auch individuelles Bewusstsein frei. Schockwellen folgten, die sämtliche festgeschriebenen Gesetzmäßigkeiten und festgefahrenen ideologischen Denkausprägungen dem Schicksal allzu schwer erschütterter Kartenhäuser preisgaben.
Das denkwürdige Poetry-Reading 1965 in der Royal-Albert-Hall sieht Barry Miles, Autor zahlreicher prominenter Rock-Biografien und damaliger Mitinitiator der überdimensionalen, 7000 Besucher zählenden Lesung, als chronologischen Ausgangspunkt der kultur- und gesellschaftsverändernden Mitt-Sechziger. Miles war es auch, der einige Monate später zusammen mit Peter Asher (Peter & Gordon) sowie John Dunbar Indica, eine Kunstgalerie, alternative Buchhandlung und gewissermaßen kulturelle Dachorganisation ins Leben rief, unter deren Regie die International Times herausgegeben wurde - Szene-Zeitung, Untergrund-Journal und Musikmagazin in einem. Schnell erfreute sich das anfänglich von Hand vervielfältigte, subversive Blatt wachsender Popularität unter seiner jungen, schnell wachsenden Zielgruppe.
Als zentrale Figur der Geschäftsführung des inzwischen weit verzweigten revolutionären Unternehmens agierte John 'Hoppy' Hopkins. Von Anfang an dabei, hatte der Kenner der Szene das glückliche Händchen, die smarte Cleverness gepaart mit unermüdlichem Enthusiasmus, um stets die praktische Realisation der ehrgeizigen Vorhaben im Untergrund gewährleisten zu können. Hopkins brachte mit Miles 1965 die London Free School, ein Bildungsmodell nach seinem Prinzip der freien »Informations-Politik« und freien Entfaltung der Persönlichkeit auf den Weg. Im Juni 1966 hob er mit seinem amerikanischen Freund Joe Boyd - Sonnyboy, Musikproduzent und als überaus sympathische, seriöse Institution des Underground-Managements immer umgeben von der Aura der unerschütterlichen Vertrauenswürdigkeit eines Kinderarztes - das UFO aus der Taufe. Anfangs als Fundraiser für die Free School gedacht - der Idealismus allein spülte kein dringend benötigtes Geld in die Kasse - braute der heißeste Club in London einen explosiven wie einträglichen Cocktail aus LSD, psychedelischer Gegenkultur und anderen revolutionär dampfenden, schwer identifizierbaren Ingredienzen zusammen, der die Hippies in Scharen zu ihrem Bestimmungsort führte.
Die Crew des undefinierbaren Flugobjekts ergänzten damals Pink Floyd, Hausband des Clubs mit ihrer frontierenden Lichtgestalt Syd Barrett, der in Schallgeschwindigkeit zum außerirdischen, charismatischen Piloten des UFOs avancierte. Dessen bizarre, stetig unberechenbarer werdende Eigendynamik vermochte Captain Barrett indes bald nicht mehr in die ihm zutiefst verheißene Destination steuern zu können. Syds Vision von avantgardistischer, im Schatten hypnotischer Lightshows fast anonymer Klangerzeugung wuchs sich in zunehmendem Maße zu einer kaum greifbaren, idiosynkratischen Konzeptlosigkeit aus, in den mystischen Charme ihrer absoluten Essenz mündend. Seine schwierige, gewiss auch drogenproblematische Situation offenbarte die für ihn unüberbrückbare Ambivalenz zwischen dem experimentellen Musiker und einer satt florierenden Pop Musik-Szene, in deren Zentrum stehend er sich plötzlich wieder fand.
In jeweiligen Interviews geben Roger Waters und Nick Mason aufschlussreiche Informationen über die Rollenverteilung in der Band zur Anfangszeit: Waters interessierte sich in jungen Jahren weniger für Musik als viel mehr für Mode, Frauen und Sonnenbrillen. Mason wollte in erster Linie Spaß und Syd Barrett bildete zusammen mit Rick Wright die eigentliche Kreativabteilung der Floyd. Syd liebte von Beginn an die Idee, Lichteffekte in Verbindung mit Musik zu bringen. So kam es, dass zur Geburtsstunde der Beleuchtungstechnik von Rockkonzerten wahre Pioniere unter den Hobby-Lightern mit Ölfarben, Glas und Lötlampen experimentierten, um die typischen, psychedelischen Farb-Licht-Wunder zu erzielen, man aber alsbald bemerkte, dass Glasscheiben und Lötlampen »keine gute Mischung sind«, wie sich bei den Floyd-Shows durch des öfteren vernehmbare »gedämpfte Schreie« aus der Lightcrew-Ecke herausstellte. Das kunstreich kreierte, leuchtende Farbenspiel als psychedelisches Kernelement resultierte sicherlich aus LSD-Fantasien, darüber hinaus aber aus dem Überdruss an der tristen, beige-grauen Sehnsuchtslandschaft des Nachkriegs-England, erfährt der faszinierte Zuschauer.
Joe Boyd erklärt die spirituellen Intentionen des Drogenkonsums in der Frühzeit als Suche nach einem Leitfaden, einer höheren, wahrhaft bewusstseinserweiternden Erfahrung im Vergleich zum in der Folge auftretenden Massenphänomen, das den 'Trip' zum schicken, hippen Show- und Funeffekt jeder gewöhnlichen Samstagsabend-Party degradierte. »Everything can be turned into fashion in England« konstatiert er bedauernd den symptomatischen Aspekt der Zerfallserscheinungen des gesamten alternativen Lebensentwurfs der Hippie-Kultur, die soviel mehr war als das High End rauschtrunkener, lächelnder, fried- und farbliebender Fantasten. Und vielleicht sind sie den hehren Zielen ihres definierten existenzialistischen Humanismus - man denke an den Beginn der Friedens-, Bürgerrechts- oder Umweltbewegungen - näher gekommen, als sie es selbst begriffen und je für möglich gehalten hatten.
John Hopkins stützt diese These, indem er die radikalen, demontierenden und für ihn im besonderen endgültig demoralisierenden Gegenmaßnahmen der Obrigkeit differenziert. Für sie stellen Ausgeburten wie das UFO, die London Free School oder die International Times langsam aber sicher ernst zu nehmende Bedrohungen des 'ungeschützten sozialen Gefüges' dar. Es wird gehandelt: Die International Times wird aufgrund einer Anklage wegen »Pornografie« eingestellt. Das UFO wird vermutlich wegen realistischer Eskalations-Gefahr geschlossen. Hoppy ist als Drahtzieher allen Übels den Machthabern schon lang ein Dorn im Auge. An ihm wird ein Exempel statuiert. Man verhaftet ihn und schüchtert ihn so ein, dass er nach seiner Haftentlassung, neun Monate später, nie wieder in den Untergrund zurückkehren wird.
Vorher jedoch projektieren die Visionäre ihre Vorsehung…
Ein letztes großes Aufbäumen und dann die Machtübernahme… träumen die Märtyrer, Idealisten…
"A 14 Hour Technicolor Dream" wird als gigantisches, kaleidoskopisches Mixed-Media-Festival in die Geschichte eingehen. Das altehrwürdige Alexandra Palace - the Ally Pally - wird Schauplatz der Geschichte sein. Tausende von Hippies werden zu ihrem Wallfahrtsort pilgern. Der Queen und dem Premierminister gewährt man freien Eintritt. - Sie werden nicht erscheinen. Alle anderen Besucher zahlen ein Pfund. 41 Künstler, Bands und Happenings werden die Veranstalter präsentieren können, darunter Soft Machine, The Pretty Things, The Move, Alexis Korner, Champion Jack Dupree, Graham Bond, Pete Townshend. Yoko Ono wird während einer Performance die Kleider eines Mädchens zerschneiden. Die Geräusche der Scheren werden über angeschlossene Verstärker hörbar sein. John Lennon wohnt der 'Vorführung' bei, ohne dass sich beide direkt begegnen. Acid bestimmt das chemisch-friedliche Miteinander. Es werden Gedichte gelesen, Lightshows projiziert. Pink Floyd werden den Morgen des 30. April 1967 buchstäblich erklingen und schließlich ausklingen lassen. Dann verstummen die unheimlichen Magier in der großen Stille dieses einzigartigen, jäh endenden Traums. Barry Miles: »Wir waren alle müde, hatten jahrelang nicht geschlafen. Wir mussten zu Bett gehen, um aufzuwachen...«.
Wer Joe Boyds White Bicycles gelesen hat, bekommt mit dieser DVD den kunstvoll illustrierten Soundtrack zum Buch. Wer die Sixties und ihre Musik liebt, kann anhand dieses präzisen, audiovisuellen Reiseführers durch die Vergangenheit streifen, in Erinnerungen schwelgen und auf farbenprächtigen Soundwolken schweben. Wen jüngere Kulturgeschichte interessiert, der erhält mit "A Technicolor Dream" authentische Musikhistorie von vielschichtiger, nachdrücklicher Bedeutung in Form eindrucksvoller Filmaufnahmen einer unvergleichlichen Ära. Spannungsreich, hintergründig, auch mit dem Humor der rückblickenden Distanz resümierend, äußern sich die noch lebenden Zeugen der Geschehnisse und Weltveränderer eines polarisierenden Jahrzehnts in dieser filmografisch meisterlich inszenierten Zeitreise Stephen Gammonds.
Die außerordentlichen Rahmenbedingungen ihres Tuns verdeutlichen Pete Jenner und John Hopkins am Beispiel der Musiker, stellvertretend für alle revolutionären Akteure in den Sechzigern, unisono mit dem durch Joe Boyd bereits dargelegten und einmal mehr bestätigten wesentlichen, wenn nicht essenziellen Faktum: Mitglieder namhafter Bands wie der Rolling Stones, Beatles,
Led Zeppelin oder auch Pink Floyd studierten gegen ersprießliche Stipendien an Kunstschulen Musik, Design, Geschichte, Malerei und Literatur. Diese vielfältigen Einflüsse spiegelten sich in ihrer schöpferischen Liebe zur Musik wider. Sie erschufen breit segmentierte Konglomerate verschiedenster musischer Komponenten, aus denen rockmusikalische Gesamtkunstwerke entstanden, die gemessen an ihrer Vielseitigkeit und Kreativität bis heute ihresgleichen suchen.
Die Gründe dafür liegen also auf der Hand:
Die Jugend in den sechziger Jahren hatte genügend Freiheit, eine bestimmte Menge Geld und jede Menge Zeit zur Verfügung, sich den Luxus freien Denkens und freier Entfaltung leisten zu können, wie es für keine Generation zuvor und danach jemals wieder möglich war. Aus der Blütezeit dieses zunächst liberalen, indirekt subventionierten Kultursozialimus gingen eigenständig und eigenverantwortlich handelnde Individuen hervor, die erodierte Konventionen einer überholten Weltanschauung ins Wanken brachten, um in der Konsequenz eine ganze gesellschaftliche Ordnung auf den Prüfstand zu stellen. Fatale Folgen, die von der politischen Herrschaft und in ihrem Sinne bezwungen werden mussten. Jahrzehnte später sehen wir uns heute dem Paradoxon ganz anderer unabsehbarer Gefahren der durch die staatlich exorbitant subventionierte Finanzwelt faktisch ausgehebelten ökonomischen Gesetze unserer Gesellschaftsordnung gegenüber. Es fragt sich, ob, wie und durch wen dieser Fatalismus aufgehalten werden kann.
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