Ihr habt den Namen Sam Cutler noch nie gehört? Doch, doch, der hat sich seinen Platz in der Rock-Historie durchaus - wenn auch in diesem speziellen Moment eher aus Verlegenheit - gesichert. Der in England geborene Verfasser dieser Autobiographie wurde im Jahr 1969 von den Rolling Stones als Tourmanager für deren Gastspielreise durch die USA angeheuert und auch dazu verdonnert, die Band vor den Auftritten anzusagen. Beim ersten Konzert der Tour dann immer noch ratlos plötzlich vor dem Mikrofon und Publikum stehend, verkündete er dann - dass an der Band immer irgendwie kleben gebliebene »Ladies and gentlemen... the greatest Rock'n'Roll band in the world... The Rolling Stones!«
Amüsanterweise bestellte ihn Mick Jagger umgehend nach dem Gig in seine Garderobe, um ihn sehr bestimmt anzuweisen, diesen Spruch doch ab sofort zu unterlassen, weil er ihm deutlich zu vermessen erschien. Cutlers selbstbewusste Antwort darauf war aber: »Fuck off! Entweder ihr seid es und beweist es, oder auch nicht!«, woraufhin er die gleiche Ansage bei jeder weiteren Show machte. So unbewusst wie clever war das, denn die Band sah sich alleine dadurch schon unter Druck gesetzt und arbeitet(e) - wie wohl belesene Fans bereits wissen - genau unter solchen Umständen immer am besten und spielte sich in einen wahren Rausch.
Und dies ist nur eine der Geschichten und Anekdoten, die Sam Cutler in seiner Autobiographie, die sich allerdings vor allem auf die Jahre 1969 bis 1974 konzentriert, zu bieten hat.
Ich will gar nicht zu viel verraten, aber das Buch hat im Prinzip zwei Schwerpunkte: Zum einen die bereits erwähnte Stones-Tour mit der abschließenden Katastrophe beim Free Concert in Altamont und zum zweiten seine Zeit in San Francisco als Tourmanager der Grateful Dead. Für die Freunde der Band um Mick, Keith und Charlie wird es sehr interessant sein, tiefere Einblicke in das Innenleben der damaligen Zeit zu bekommen und selbstverständlich wird das Altamont-Desaster noch einmal von jemand beleuchtet, der nicht nur hautnah dabei war, sondern auch erstaunliche neue Einblicke zu bieten hat, das steht außer Frage. Tiefe Einblicke, die selbst den Stones vollkommen neu sein dürften... und dem interessierten Leser erst recht.
Dass Sam Cutler ein Mann mit Charakter ist, beweist alleine die Tatsache, dass er nach diesem Festival in den USA blieb und sowohl (unter Todesangst) den Hell's Angels, wie auch den Gerichten Rede und Antwort stand, lange nachdem sich die Stones (die nach seinen Schilderungen definitiv NICHT schuld an dem ganzen Irrsinn waren) bereits aus dem Staub gemacht hatten. Einzig etwas Unterstützung seiner ehemaligen Arbeitgeber (die er nie erhielt und denen er erst 34 Jahre später wieder persönlich begegnen sollte) hätte er sich in dieser Zeit gewünscht.
The Grateful Dead boten ihm anschließend Unterschlupf und ernannten ihn - überzeugt von seinen Fähigkeiten - nur kurze Zeit später zu ihrem Road Manager. Enthalten sind neben Internas zum Dead-Umfeld auch feine Geschichten über Jimi Hendrix und Janis Joplin (im Backstage-Bereich) sowie sowohl Jerry Garcia als auch Janis (ganz privat zu Hause). Und nicht zuletzt auch eine wunderbare Nacherzählung, wie es tatsächlich bei der berühmten Festival Express Tour 1970 zuging, als die Grateful Dead, The Band, Janis Joplin, Buddy Guy, The Flying Burrito Brothers, Delaney & Bonnie und weitere per privat vom Veranstalter angemieteten Zug auf Tour durch Kanada waren.
Dennoch gibt es, zumindest bei dieser deutschen Ausgabe, einen sehr ärgerlichen Punkt. Und das ist die Rechtschreibung, denn wenn man pro gelesener Seite lediglich über zwei Fehler gestolpert ist, dann hat man Glück gehabt. Ganz ehrlich: Wenn ich die Person wäre, die im Impressum hinter dem Wort 'Lektorat' steht, dann hätte ich dem Verlag sogar noch eine höhere Geldsumme geboten, nur damit mein Name in diesem Zusammenhang erst gar nicht auftaucht. Oder um nochmal ganz deutlich zu werden: Unter aller Sau!
Diesen Punkt mal außen vor gelassen, ist das Buch allerdings astrein. Toller und extrem kurzweiliger Erzählstil mit durchgängig Interessantem und Wissenswertem. Warum der Autor den legendären Promoter Bill Graham (Fillmore East, Winterland und Fillmore West) für ein granatenmäßiges Arschloch hielt, warum für ihn seine Zeit im Rock-Business 1974 ganz abrupt endete und, und, und... das will ich alles noch gar nicht verraten und vielmehr zum Kauf dieses wirklich großartigen Buches raten!
Denn von der unterirdischen Rechtschreibung abgesehen, haben wir es hier mit hochinteressanter und bester Unterhaltung der allerobersten Kajüte zu tun!
Kapitel |
Prolog: Let 'em Bleed
01:Kindheitstage
02:Hinter dem Beat
03:No Direction Home
04:Schatten und Licht
05:Free Music - aber bitte britisch!
06:Organisationskünstler
07:Die Stones im Park
08:Allen Klein? Nein, danke!
09:Beeil dich, aber warte!
10:Spiel die Geige, Country-Mann
11:Die größte Rock'n'Roll-Band der Welt?
12:Los Angeles
13:Bill Graham
14:Paranoia in Phoenix
15:Mick Taylor
16:Brave Mädchen müssen früh ins Bett
17:Free Concert
18:Die Family
19:Der König der Rechtsverdreher
20:Wie man ein Desaster plant
21:Big Apple
22:Heiße Fotos
23:Wie man ein noch größeres Desaster plant
24:Willkommen in Kalifornien
25:Die Konstruktion eines Albtraums
26:Eine Katastrophe bahnt sich an
27:Hölle auf Erden
28:Der Tod von Meredith Hunter
29:Aftermath
30:Ein sicherer Hafen
31:Jerry & Janis
32:Garcia
33:Vertraut mir - ich bin Christ!
34:Zeuge der Verteidigung
35:Yin und Yang
36:Tanz auf Hawaii
37:Bitte nur flüstern
38:The Bear
39:Auf Tour mit den Dead
40:Wo schwebt Jimi?
41:Vorsicht! Nicht anfassen!
42:Bitte alle einsteigen
43:Schnappschüsse für das mentale Fotoalbum
44:Wie ein Uhrwerk
45:Endstation
46:Wilde Spekulationen
47:Mineralwasser mit Schuss
48:Das Fillmore East
49:Europa
50:Out Of Town Tours
Epilog: Schau niemals zurück?
Danksagungen
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Externe Links:
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