Man schrieb das Jahr 1995, als der niederländische Multi-Instrumentalist, Komponist, Produzent und Sänger Arjen Anthony Lucassen seinem Projekt Ayreon Leben einhauchte.
Fortan bildete der Progressive Rock, beziehungsweise Progressive Metal den stilistischen Dreh- und Angelpunkt dieser Unternehmung.
Lucassen greift dabei immer auf sein altbewährtes Rezept zurück, das stets ein schmackhaftes und wohlbekömmliches Ergebnis zur Folge hat.
Man nehme eine spannende und in sich schlüssige Erzählung, füge eine üppige Portion brillanter Progressive-Kompositionen hinzu und runde das Ganze mit handverlesenen und namhaften MusikerInnen ab, denen die einzelnen Rollen auf den Leib geschneidert sind.
Etliche Alben säumen seitdem Ayreons Weg. So zum Beispiel The Final Experiment (1995), "The Dream Sequencer", "The Universal Migrator" (beide im Jahr 2000) sowie The Human Equation (2004), die von ihrer Handlung her in einem gewissen Zusammenhang stehen.
In "The Final Experiment" steht die Menschheit im 21. Jahrhundert kurz vor der Zerstörung, doch der Wissenschaft gelingt es, telepathische Warnungen in die Vergangenheit zu senden. Der blinde mittelalterliche Minnesänger Ayreon ist der Empfänger dieser Visonen, fortan ruht die Hoffnung der Menschen auf seinen Schultern.
Eine Fortsetzung findet diese Rahmenhandlung in den Alben "The Dream Sequencer" und "The Universal Migrator", die als Doppelalbum angesehen werden können.
Ein Marskolonist, einziger Überlebender des schließlich in "The Final Experiment" ausgebrochenen Krieges, versetzt sich mittels einer Traummaschine in die verschiedensten Zeitabschnitte der Weltgeschichte und des Universums, und durchlebt diese als Visionen.
Das zuletzt veröffentlichte Album "The Human Equation" kehrt zurück in die Gegenwart. Nach einem schweren Autounfall liegt ein Mann 20 Tage im Koma. Seine ganzen Charaktereigenschaften (Liebe, Hass, Neid ...) und Emotionen, jeweils durch eine Sängerin oder einen Sänger repräsentiert, stehen neben dem Krankenbett des Verunglückten und ringen miteinander, um die Oberhand zu gewinnen. Sie Alle gemeinsam bilden die einzelnen Bestandteile der 'menschlichen Gleichung'.
"The Human Equation" stellte musikalisch und kompositorisch den absoluten Höhepunkt von Lucassens bisherigen Schaffens dar. Doch wer jetzt denkt, dieses Werk lässt sich qualitativ nicht mehr übertreffen, hat weit gefehlt. Vier Jahre gingen ins Land, bis Ende Januar 2008 mit der Doppel-CD "01011001" ein weiterer Meilenstein von Ayreons Erfolgsgeschichte manifestiert wurde.
Diesmal greifen 'Forever', eine Rasse von Wassergeschöpfen auf dem Planeten 'Y', mit ihrer Entdeckung des Geheimnisses der Langlebigkeit in die menschliche Evolution ein.
'Forever' sind in ihrer Lebensform komplett von Maschinen abhängig, wodurch sie Gefahr laufen, sämtliche Emotionen zu verlieren.
Um ihre Rasse vor dem Niedergang zu retten, versenden 'Forever' ihre DNA mittels eines auf die Erde zurasenden Kometen, dessen Einschlag schließlich die Dinosaurier vernichtet und aus der dabei ausgesäten DNA die menschlichen 'Forever', entstehen lässt.
Diese beschleunigen die menschliche Evolution mit dem Ziel, den Menschen körperliche Gebrechen zu ersparen und ihnen zu helfen, ihre mentalen Grenzen zu überwinden.
Doch die guten Absichten führen die Menschen schließlich in eine ähnliche Abhängigkeit von Maschinen, wie es auch schon den 'Forever' auf dem ihrem Planeten 'Y' widerfuhr. So nimmt das tragische Verhängnis seinen Lauf und der Kampf um die 'menschliche Gleichung' beginnt...
Gleich zum Auftakt von "01011001" werden wir mit deutlich düstereren und dunkleren Passagen konfrontiert, als wir es von den bisherigen Alben gewohnt sind.
Immer wieder klingen rhythmisch stampfende Maschinen durch, die bedrohliche Klangbilder aufbauen. Die einzelnen Songs werden, auch wenn sie temporeich und opulent dargeboten werden, immer wieder von fast meditativen Klängen und Harmonien durchbrochen, die die HörerInnen in ein Wechselbad der Gefühle stürzen. Gänsehaut-Feeling ist angesagt, aber nicht weil diese Musik so schauderhaft ist, sondern weil sie in einen regelrechten kosmischen Strudel mitzieht. Man fühlt sich mehr und mehr wie der einsame Marskolonist, der in seinem Dream Sequenzer dahin schwebt und sich den Träumen des Universums hingibt. Exemplarisch lässt sich hier das großartige "Comatose", von Anneke van Giersbergen und Jorn Lande hinreißend im Wechsel gesungen, erwähnen.
Häufig tauchen Klänge, Geräuscheffekt und kurze musikalische Zitate, teils original übernommen, teils verfremdet oder verändert, aus den eingangs erwähnten Vorgängeralben auf. Und je länger sich "01011001" im CD-Player dreht, um so mehr verschmilzt es mit den Vorgängern, bildet die letzte noch fehlende Verbindung zu einem einzigen großen Epos.
Bei der Menge an beteiligten Musikern würden Einzelkritiken den Rahmen dieses Reviews sprengen. Aber Einzelkritiken sind hier auch nicht erforderlich. Stellt "01011001" doch ein kompaktes, in sich geschlossenes Werk dar, eine gesamtheitliche Meisterleistung, die keinen Wunsch offen lässt.
Auch auf "01011001" hat Arjen Lucassen nicht einfach nur irgendwas zu erzählen. Nein, er übermittelt Botschaften, die sich kritisch mit technologischen Abhängigkeiten, emotionalen und sozialen Defiziten und Verlusten, und auch der Gentechnik auseinander setzen. Dabei erhebt er allerdings nicht den belehrenden moralischen Zeigefinger, sondern gibt uns Denkanstöße. Was jeder Einzelne daraus macht, muss er für sich entscheiden.
Wenn das Album nach knapp 102 Hörminuten zu Ende ist, hinterlässt es einen regelrechten mentalen Bombentrichter. Es dauert ein paar Minuten, bis man wieder in die Gegenwart findet und sich auf den Weg zum CD-Player machen kann, damit die Veranstaltung erneut beginnt.
Mit "01011001" bietet Arjen Lucassen gleich zu Beginn diesen Jahres ein Gourmetmenü, an der sich alle folgenden Veröffentlichungen dieses Genres messen werden müssen.
Musik gleichzeitig für den Kopf und für den Bauch zu erschaffen, gelingt nur Wenigen. Arjen Anthony Lucassen jedoch ist darin ein Meister seines Faches.
Line-up:
Arjen Anthony Lucassen (guitars, bass, keyboards, synths, programming)
Lori Linstruth (guitars)
Michael Romeo (guitars)
Ben Mathot (violin)
David Faber (violoncello)
Jeroen Goossens (flute)
Derek Sherinian (keyboards)
Joost van den Broek (keyboards)
Tomas Bodin (keyboards)
Ed Warby (drums)
VOCALISTS: Arjen Anthony Lucassen, Anneke Van Giersbergen, Bob Catley, Daniel Gildenlöw, Floor Jansen, Hansi Kürsch, Jonas Renkse, Jorn Lande, Liselotte Hegt, Magali Luyten, Marjan Welman, Phideaux Xavier, Simone Simons, Steve Lee, Tom S. Englund, Ty Tabor, Wudstik
Tracklist |
CD 1: Planet Y
01:Age Of Shadows
02:Comatose
03:Liquid Eternity
04:Connect The Dots
05:Beneath The Waves
06:Newborn Race
07:Ride The Comet
08:Web Of Lies
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CD 2: Earth
01:The Fifth Extinction
02:Waking Dreams
03:The Truth Is In Here
04:Unnatural Selection
05:River Of Time
06:E=MC2
07:The Sixth Extinction
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