Spielzeit: 64:37 Medium: CD Label: Bellaphone Records, 2014 Stil: Metal & More Review vom 28.10.2014 Steve Braun

Heiligt der Zweck eigentlich die Mittel? Auf diese Frage gibt es wohl genauso wenige eindeutige Antworten wie zu anderen Theorien des Konsequentialismus. Sie liegen irgendwo in der Bandbreite zwischen Bertolt Brechts »Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht« und Erich Kästners »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«.
Nirgendwo wird dies deutlicher als in Umweltfragen. Nach jahrzehntelanger Vogel-Strauß-Politik und dem Diktat der Lobbyisten steht die Welt am Abgrund. In nicht einmal zwei Jahrhunderten wurde die Entwicklungsgeschichte von Milliarden von Jahren auf den Kopf gestellt. Dass sich unsere Kanzlerin anno 2014, statt auf dem Klimagipfel Präsenz zu zeigen, lieber ins wohlig-warme Hinterteil der Industrie verzieht, spricht in diesem Zusammenhang Bände...

Und weil es eben nicht mehr fünf vor zwölf - wie noch zu meinen besseren Tagen - ist, sondern bereits viertel nach zwölf, sind so manchem heißspornigen Aktivisten Organisationen wie Greenpeace mittlerweile viel zu lasch, weil anscheinend bereits systemkonform.
Sea Shepherd ist eine Umweltschutzorganisation der radikaleren Schule, die sich der Rettung der Weltmeere verschrieben hat, immerhin der Geburtsstätte des Lebens auf unserem Blauen Planeten. Das Versenken von Walfangschiffen brachte den Aktivisten von Sea Shepherd den zweifelhaften Ruf ein, 'Ökoterroristen' zu sein, die der Sache an sich - dem radikalen Tier- und Umweltschutz - eher schaden. Und weil die offenbar präsenil-demente Brigitte Bardot (zu diesem Schluß kann man problemlos kommen) Namenspatronin eines der Aktions-Schiffe ist, auch noch den Nimbus des Rassismus, was natürlich etwas weit hergeholt erscheint...
Und da haben wir sie wieder, die ewig junge, niemals befriedigend zu klärende Frage nach den Zwecken, die die Mittel heiligen...

Als Michael Tenten, Gitarrist und Mastermind der Reutlinger Progressive-Metaller Ayscobe, im vergangenen Jahr von den enormen Kosten vernahm, die laufende Aktionen Sea Shepherds zum Schutz von Walen in Arktis wie Antarktis verschlingt, entschloss er sich zur Produktion des vorliegenden Samplers, "For The Ocean - A Tribute To Sea Shepard" " betitelt. Alle Einnahmen dieses Benefizprojektes gehen direkt an die Sea Shephard Conservation Society; logisch, dass das internationale Aufgebot von Classic-, Hard- und Metal-Bands (unterschiedlichster Stilrichtungen) auf alle Gagen und Erstattung von Auslagen verzichtet hat. Einige der Songs wurden sogar eigens für "For The Ocean" komponiert und produziert.
Derzeit befindet sich Michael Tenten auf dem Segelschiff 'Pegasus' im Einsatz zur Operation 'Stoppt den Grindwalmord 2014' nahe Klarkvik vor den nördlichen Färöer Inseln, ziemlich mittig zwischen Island und Norwegen gelegen. »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«...

Vierzehn Bands - überwiegend aus Deutschland, aber auch aus Frankreich und Indien - haben ihr Scherflein für "For The Ocean - A Tribute To Sea Shepard" beigetragen. Über die zugkräftigsten Namen bei der Kaufentscheidung dürften dabei hierzulande Die Apokalyptischen Reiter und Debauchery verfügen.
Geboten wird ein breiter Stilmix von Progressive Rock bis zu Heavy Metal - so bunt wie der Widerstand gegen die Vergiftung und Überfischung der Weltmeere. Musikalisch Extremeres, wie Punk und Death Metal, fügt sich dabei auffallend 'wohltemperiert' ein und dürfte wohl kaum einen Szenefremdling verschrecken. Im Gegenteil: Der spannungsgeladene Melodic Death Metal von Sapiency ("Tomorrow") und vor allem das atmosphärisch starke, auf teuflischen Riffs basierende "Kings Of Carnage" von Debauchery, den blutrünstigen Death-Metallern aus Stuttgart, zählen (für mich) zu den Überraschungen dieses Tribute-Samplers!

Gut die Hälfte der Beitrage von "For The Ocean" entstammen aber der 'gemäßigteren' Ecke. Dabei bieten Bodyguerra mit "Think It Over" - eigens für den Sampler komponiert - Classic Rock, mit leicht vertrackter Rhythmik unter der Strophe und einem lupenreinen AOR-Refrain. Michael Tenten liefert mit seiner Band Ayscobe und "The Ocean" eher progressiv ausgerichteten Hard Rock, Domain ("Burning Red") astreinen Prog Metal ab. Klasse kommen die französischen 'Stadion-Poser' Shanghai Guns mit ihrem powergeladenen "Long Way Hard Decision" daher, auch wenn hier kein Innovationspreis fällig wird. Dieser stünde eher Zaragon, einem blutjungen akustischen Classic Rock-Projekt aus der Mainmetropole Frankfurt, und der stimmungsvollen Ballade "Raindrops" zu...

Auf den schnodderig-lässigenen Deutschrock der Achtziger scheinen sich Krautalarm zu beziehen. "Kontinent Plastik" glänzt zwar textlich, fällt aber mit 'Casio-mäßigen' Keyboards und etwas indifferenten Drums durch. Der Death-lastige Groove Metal der indischen Metaller Inner Sanctum ist mir etwas zu eindimensional und die deutschen Stoner Peoples Temper überzeugen trotz einem coolen, an Gackern von Hühnern erinnerndes Riff mit "Monumental" nur bedingt. Doch damit wäre die Sollseite bereits abgedeckt...

Die APOs ("Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit") sind - selbstredend - mal wieder ein Klasse für sich, gehören aber gemeinsam mit Bleeding Red, samt ihrem reichlich angeschwärzten Death Metal von der Maultaschen-Alb, und den pulslosen Punkern Neurotox eher in die 'extremere' Ecke dieses Benefizsamplers.
Der 'Bonuspunkt' von "For A Ocean" geht aber ganz klar ins Saarland - so viel Lokalpatriotismus darf und muss dann auch mal sein. Siren's Legacy ziehen mit dem symphonischen Metal von "Ghostship" ein brillant-glänzendes Stück Stahl aus dem Hochofen von Eisenhüttenstadt... ähm... Neunkirchen/Saar. Saustark!!

"For The Ocean - A Tribute To Sea Shepard" - ein gutes Ding für eine gute Sache, auch weil die Musik erfreulich weit verschiedene Genres übergreift. Man kann Michael Tentens Benefizalbum nur gute Verkaufszahlen wünschen - hier (aber sicher nicht nur hier) heiligt der Zweck diese Mittel.