Believe / Seeing Is Believing
Seeing Is Believing Spielzeit: ca. 82 Min. (Konzert), ca. 105 Min. (Bonusmaterial)
Medium: DVD
Technik:
Bildformat: 16:9
Soundformate: Dolby Digital 5.1, Dolby Digital 2.0

Label: Metal Mind, 2012
Stil: Prog Rock

Review vom 09.06.2012


Boris Theobald
Das bis dato frischeste Album World Is Round klingt faszinierend. Doch Believe live zu erleben, und sei es nur auf Konserve im heimischen Wohnzimmer, ist nochmal eine ganze Portion aufregender. Das Im November 2011 im Wyspianski Theater in Katowice gefilmte Konzert ist von der ersten bis zur 82. Minute ein fesselndes audiovisuelles Ereignis. Schon die ersten Momente sind Hinhörer und Hingucker zugleich. Eine Atmo aus hypnotisierenden Synthies und pulsierendem Bass - und dazu ein entfernt wirkender, verfremdeter Gesang...
... Sänger Karol Wróblewski nähert sich von hinten kommend der Bühne, im Gegenlicht eines blauen Scheinwerfers im schummrig-blauen Halbdunkel. Das wirkt imposant. Er singt durch ein Megafon in sein Mikro und sorgt so beim Opener "No Time Inside" für die originalgetreue Studiostimmung. Dieser Einstieg in das Konzert passt. Der Start ist unkonventionell und alles andere als laut und bombastisch. Auch im Folgenden werden Believe mit Bedacht und Feingefühl ihre fesselnden Atmosphären aufbauen.
Believe klingen einzigartig schön. Stilistisch mögen sie zig artverwandte Gruppen aus dem Bereich Prog Rock/ Art Rock/ Neo Prog zitieren - und doch präsentieren sie sich in der Kombination aller Einflüsse ganz eigen. Es sind wohl die 'Kleinigkeiten', die diese Eigenständigkeit ganz 'groß' fühlbar machen. Selten habe ich eine solche Vielfalt malerischer, wehmutvoller Klänge mit mehr oder weniger psychedelischem Anstrich erlebt, ohne dass es zwischenzeitlich dahinplätschert oder langweilt.
Gitarrist Mirek Gil, Przemas Zawadzki am Bass und Drummer Vlodi Tafel wechseln unglaublich oft die gemeinsame Gangart. Ganz intuitiv werden schichtweise Strukturen aufgebaut, um sie dann wieder jäh zu durchschlagen oder reibungsfrei aufzulösen. Das ständige Mit- und Gegeneinander von Linearität, aufwändig detaillierten Verflechtungen und abrupten Wechseln macht die tiefgängigen und zugleich erstaunlich kompakten Kompositionen so fesselnd.
Karol Wróblewski lebt diese emotionalen Wandlungen perfekt mit. Mit großer Gestik und elegischer Mimik untermalt er seinen extrovertierten und teils auch schmerzerfüllten Gesang. Anfangs denkt man, der dieser im Verhältnis zu Bandboss Gil sehr jugendliche Kerl befinde sich viel zu sehr im Clown-Modus. Aber je mehr einen die Musik selbst begeistert, versteht man auch den Drang des Performers, die Musik mit Leib und Seele nach außen zu tragen.
Wróblewski tanzt und klatscht, um im nächsten Moment wieder regelrecht in sich zu versinken. Und er hat seine Stimme ganz wunderbar unter Kontrolle, trotz dieser aufreibenden Impulsivität. Dabei ist es ausgerechnet die Stimme des Sängers, die bei Believe an sich wenig markant ist - bärenstark, aber wenig einzigartig. Wróblewskis Stimmfarbe erinnert an viele Kollegen der Prog Rock-Szene - aber sein Auftreten im Gesamtpaket ist wirklich aufregend!
Geigerin Satomi dagegen strahlt eine große Ruhe und innere Zufriedenheit aus - und ihr Spiel ist für den Klang der Band entscheidend: atmosphärische Soundteppiche, nervöses Tremolo, Staccato-Repetitionen, leichtfüßig verspielte Begleitmelodien, traumhaft schöne Soli, Zwischenspiele und Übergänge. Ohne meinen Lieblingen Kansas mit Robbie Steinhardt bzw. David Ragsdale zu nahe treten zu wollen - aber das hier ist ein anderes Level. Was können Believe froh sein, diese Frau (mit hoher klassischer Ausbildung) in der Band zu haben!
Satomi ist auch ein wichtiger Bestandteil der zahlreichen akustischen Passagen. Der Flügel, den Keyboarder Konrad Wantrych mit auf der Bühne stehen hat, und dass Karol Wróblewski auch Querflöte spielt, machen gerade auch die (vermeintlich) ruhigen Momente erstaunlich intensiv. So erscheinen die Wege zwischen ruhig und heavy erstaunlich kurz. Die hart intonierten, punktuell dramatischen und bisweilen sogar Metal-lastigen "Guru" und "Cut Me Paste Me" wirken also keineswegs als Fremkörper.
Als Highlights der Show brennen sich die auf der Setlist an den Stellen fünf und sechs dargebotenen Songs ins Langzeitgedächtnis. "What They Want (Is My Life)" wird zu Beginn und gegen Ende durch ein euphorisierendes, Folklore-artiges Solo Sartomis eingerahmt; und "Lay Down Forever" treibt das Schau- und Hörspiel aus kurzen Spannungsbögen und expressivem Sologesang imposant auf den Höhepunkt. Aber fast habe ich ein schlechtes Gewissen, einzelne Songs zu nennen, weil das Niveau auf "Seeing Is Believing" so konstant großartig ist.
Die Band bietet eine repräsentative Auswahl starker Stücke, wobei sie das Debütalbum auslässt, um keine Doppler zur ersten DVD im Programm zu haben. Und jede einzelne Nummer ist ein Musterbeispiel dafür, wie mehrere Melodie tragende Instrumente mit- und nicht nur nebeneinander spielen können. Die 'Solisten' wechseln beinahe beiläufig gemeinsam und abwechselnd in den Vordergrund, ohne dass es viele exponierte Solo-Spots geben würde. Die Strukturen der Stücke sind so intelligent und intuitiv, dass es das gar nicht braucht.
Die ruhige Kameraführung samt spannender Perspektiven wie overhead und Turmkamera bringen die Performance genussvoll auf den Schirm. Auch die Lichttechniker beweisen ein gutes Händchen. So erhalten verschiedene Songs auch verschiedene Lichtfarben. Und als besonderer Hingucker stehen auf der Bühne vier Turmbauten mit quadratisch angeordneten Leuchtfeldern à 25 Lampen - beinahe wie auf einem Flughafen sieht das aus. Die Lichter werden entweder zusammen unter Strom gesetzt; oder das Licht 'läuft' durch die Reihen. Aber auch hier gilt: Man übertreibt es nicht mit dem Einsatz der Effekte!
Ein einziges Manko müssen sich Believe gefallen lassen: Es gibt Soundprobleme, zumindest bei der Konservierung des Konzerts auf DVD. Die einzelnen Instrumente und der Gesang klingen zwar klasse, aber im Miteinander stören ein paar Lautstärkeschwankungen, als sei jemand aus Versehen gegen die Regler gekommen. Außerdem klingt das Klatschen des Publikums, das ein paar Mal den Anfeuerungen von Frontmann Wróblewski gerne folgt und mitgeht, 'blechern', wie aus der Dose. Schade, aber es stört den Genuss zum Glück nur punktuell.
Positiv zu erwähnen bleibt das umfangreiche Bonusmaterial. Außer einer Band-Bio, Diskografie und mehreren Bildergalerien, auch mit Schnappschüssen aus dem Soundcheck, ist zusätzliche Live-Musik enthalten: Zwei Mitschnitte von gehobener Bootleg-Qualität zählen zusammen knapp 70 Minuten, das Marillion-Cover "Chelsea Monday" inklusive. Neben einem Interview mit den Herren Gil und Wróblewski gibt es zu guter Letzt noch das viertelstündige Documentary (größtenteils aus einem Interview bestehend) "Music For One Leg". Es geht um die Geschichte von Drummer Vlodi Tafel, der durch eine Krankheit ein Bein verlor. Den Entschluss, das Trommeln zu lernen, fasste er erst danach - beeindruckend!
Line-up:
Karol Wróblewski (vocals, flute)
Mirek Gil (guitars)
Przemas Zawadzki (bass guitar)
Satomi (violin)
Vlodi Tafel (drums)
Konrad Wantrych (keyboards, grand piano, programming)
Tracklist
01:No Time Inside
02:World Is Round
03:This Bread Is Mine
04:And All The Roads
05:What They Want (Is My Life)
06:Lay Down Forever
07:AA
08:Guru
09:New Hands
10:Cut Me Paste Me
11:Poor King Of Sund / Return
12:Silence
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