Am heutigen Tag erwartete ich meinen Postboten mit besonderer Ungeduld, war mir doch ein neuer Silberling avisiert worden, der wieder mal ein besonderes Hörerlebnis versprach. Angekündigt war das neue Live Album d e r Krautrocklegende schlechthin, nämlich Birth Control. Die Band schrieb ja schon in den 70iger Jahren Musikgeschichte und erlebte nach ihrer Reunion im Jahr 1993 (zehn Jahre vorher hatte man sich, nach dem Tod von Gitarrist Bruno Frenzel am 21.9.1983, getrennt) den zweiten Frühling (oder ist es schon der Vierte?)
Besonders in den letzten 24 Monaten gab es etliche kreative Höhepunkte zu erleben. Angefangen mit dem ausgezeichneten Studio Album Alsatian, dessen Songs wieder den ganz typischen Birth Control Sound zu Tage brachten, folgte die dazu gehörige Deutschland Tour. Diese wurde auf Live In Fulda für die Nachwelt auf CD festgehalten. Dazu kam eine Neuauflage der Kultscheibe Hoodoo Man, die mit einigen sehr interessanten Bonus Tracks angereichert wurde, und schließlich erblickte die erste DVD der Band das Licht der Welt, auf der die History von Birth Control aufgearbeitet wurde.
Genau in diese Zeit fiel dann auch ein ganz besonderes Ereignis. Man feierte das fünfunddreißigjährige Bandjubiläum. So ging es von September bis Dezember 2004 wieder auf die Bühnen in Deutschland und Belgien. Höhepunkt bildete das letzte Konzert in der Bonner 'Harmonie' am 22. Dezember, das vom WDR Rockpalast mitgeschnitten wurde und in Auszügen auch schon im TV ausgestrahlt wurde. Das war für die Band natürlich etwas ganz Besonderes, denn deutsche Rockgruppen kamen beim WDR so gut wie gar nicht zum Zuge. Mehr dazu ist übrigens in den Liner Notes der neuen CD zu lesen, in denen sich Ulli Twelker mit diesem Thema befasst.
Nun hatte ich also eben dieses Konzert vor mir auf dem Tisch und schon die Songauswahl machte mir klar, dass "Live At Rockpalast" eine ganz besondere Sache war. Extra für diese Jubi-Tour hatten Nossi und Co. die Reihenfolge der Titel umgestellt, was sich positiv auf die Stimmung in den Sälen auswirkte. So gab es den Überflieger "Gamma Ray" erst als Zugabe. Noch heute hallen mir die Rufe nach diesem Kultsong in den Ohren, als ich die Band in der Bluesgarage live erlebte.
Aber das allein ist natürlich nicht unbedingt eine Sensation. Dafür sorgten einige Titel, die ich bis dahin noch gar nicht, oder doch wenigstens seit den siebziger Jahren nicht mehr live auf der Bühne gehört hatte. Nach dem Opener "Rock The Road" vom aktuellen Album "Alsatian" war es soweit. "What's Your Name" hallte aus den Boxen, volle Kraft nach vorne, treibende Gitarre und ein Mitsing Refrain, dazwischen ein geiles Solo von Peter Engelhardt. Dieses Teil haut richtig gut rein. Nach einem zweiten Gitarren Solo endet das Stück. Das ist Losgehrock vom Feinsten. Die zweite Rarität "Hope" wirkt dagegen fast dramatisch. Schleppender Hammond Sound im Wechsel mit swingendem Piano, dazwischen Nossis Röhre und ein heftiges Finale. Das versammelte, fachkundige Publikum steht Kopf. Doch es gibt noch eine weitere Steigerung! Mit „Just Before The Sun Will Rise“ vom Kult Album „Operation“ kriegen die
Gehörgänge einen der für mich stärksten Songs von Birth Control geliefert.
Klasse Instrumental Parts von Orgel und Gitarre lösen sich ab. Krautrock at it's best!
Allein die drei Titel machen diese Live Scheibe zu einem Pflichtkauf, zumal „What
’s Your Name“ und „Hope“ nur als Single Versionen veröffentlicht wurden und somit auf keinem regulären Album vertreten sind. Lediglich in der Neuauflage von "Operation" aus dem Jahr 1997 gibt es sie als Bonus Tracks. Doch das ist immer noch nicht alles. Als Special Guest betrat auch noch Peter Föller die die Bonner Bühne und übernahm den Gesang bei "Back From Hell" und "She's Got Nothing On You". Damit kam bei mir sofort ein Hauch von Nostalgie auf, denn Peter Föller war in den Seventies für die Vocals bei diesen beiden Songs zuständig. Wieder mal so ein Moment, an dem ich mich unsagbar alt fühle, wenn ich mir klar mache, dass diese Zeit über dreißig (!) Jahre her ist.
Mit "Trial Trip" und "The Work Is Done" sind dann noch zwei Tracks auf dem Silberling, die zu den Standards eines jeden Birth Control Gigs gehören, diesmal allerdings in Versionen, bei denen Nossis Gesang durch verstärkten Hall- und Echoeffekt eine ganz besondere Note erhält. Klingt richtig gut.
Wie bereits oben erwähnt dann "Gamma Ray" als Zugabe. Wie immer intensiv gespielt und mit brodelndem Percussion-Teil. Diesmal allerdings 'nur' neunzehn Minuten lang. Ich weiß nicht, wie viel Fassungen dieses Kultsongs ich noch brauche, aber langweilig wird dieses Jahrhundertwerk nie. Natürlich durfte auch das legendäre Schlagzeugsolo nicht fehlen. Es liegt hier in verkürzter Form vor, was sich wohl platzmäßig nicht verhindern ließ. Das tut der ganzen Sache aber keinerlei Abbruch, wirkt doch Nossis Ausflug quer über die Bühne sowieso am Besten live on stage.
Insgesamt zeigt "Live At Rockpalast", dass die Band auch nach fünfunddreißig Jahren noch jung und frisch klingt und immer noch in der Lage ist, jeden Saal zum Toben zu bringen. Bernd Noske (drums, vocals), Sascha Kühn (keyboards), Hannes Vesper (bass, backing vocals) und Peter Engelhardt (guitar, backing vocals) sind inzwischen sehr gut aufeinander eingespielt. Das ganze Album wirkt wie aus einem Guss, und die Fähigkeiten der vier Musiker an ihren Instrumenten sind unüberhörbar. Diese über neunundsiebzig Minuten lange Live CD ist ein weiteres Schmuckstück in der langen Reihe der Birth Control Veröffentlichungen und ein absolutes Muss für jeden Freund von straighter Rockmusik. Ich wünsche uns und der Band noch viele gemeinsame Jahre und bin sehr gespannt, ob es der Gruppe gelingen wird, ihre jetzige musikalische Qualität noch weiter zu steigern. Dann werde ich auch wieder ungeduldig auf den Postboten warten, genau wie am heutigen Tag!
Spielzeit: 79,17 Minuten, Medium: CD, M.D.M, Mr.D. Music, 2005
1:Rock The Road (4,04)2:What's Your Name (5,10) 3:Trial Trip (9,37) 4:Hope (5,36)
5:Just Before The Sun Will Rise (7,50) 6:Like Nothing Ever Chanced (9,44) 7:Back From Hell (5,30) 8:The Work Is Done (5,30 9:Drum Solo (2,01)
10:Gamma Ray (19,14)11:She's Got Nothing On You (5,03)
Jürgen Bauerochse, 17.10.2005
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