Blue Cheer / What Doesn't Kill You Tour 2008,
15.04.2008 Bluesgarage, Isernhagen
Bluesgarage
Blue Cheer / What Doesn't Kill You Tour 2008,
Bluesgarage, Isernhagen
15. April 2008
Stil: Hard Rock


Artikel vom 18.04.2008


Jürgen Bauerochse
Blue CheerMit dem Jahr 1967 wird ja gemeinhin der sogenannte 'Summer of Love' in Verbindung gebracht. Die Gewänder der Jugendlichen wurden weiter und bunter, man steckte sich Blumen ins Haar und plädierte lautstark für freie Liebe und ein Leben ohne jegliche Gewalt. Auf dem Monterey Pop Festival traten Bands wie The Mamas & The Papas, Jefferson Airplane und Janis Joplin auf, die von nun an eng mit der Hippie-Bewegung in Verbindung gebracht wurden. Scott McKenzie und Barry McGuire wurden durch ihre Songs zu Helden der Love&Peace-Gesellschaft. Die ganze Welt, zumindest der freie westliche Teil, schwebte in einer drogenverhangenen Idylle voller trügerischer Ideale und Hoffnungen.
Blue CheerDie ganze Welt? Nein! - Ein bis dahin völlig unbekanntes Power-Trio mit Namen Blue Cheer trotzte erfolgreich diesem Trend. Ausgerechnet in der Wiege der Blumenkinder-Kultur San Francisco veröffentlichte es den Eddie Cochran-Song "Summertime Blues" in einer Version, gegen die sogar die Fassung der sehr angesagten britischen Rockband The Who wie ein laues Lüftchen klang. Auch das gleich nachgeschobene Album "Vincebus Eruptum" war mit seinem überlauten, groben Rock-Krach überaus erfolgreich. Dabei standen rasende Schlagzeugattacken und ungehobelte Rock'n'Roll-Power im Vordergrund und mischte die gerade erst geborene Hippie-Kultur kräftig auf.
Blue CheerAngespornt durch diesen völlig unerwarteten Erfolg konnte auch ein erster Besetzungswechsel (Randy Holden ersetzte Leigh Stevens an der Gitarre) Blue Cheer nicht entmutigen und sie ließen mit "Outside Inside" gleich das zweite Album folgen. Auf dieser LP konnten die Fans die wohl beste, weil progressivste Phase der Band erleben, in der auch Fremdkompositionen in einer psychedelischen Hardrock-Schlacht verfremdet wurden. Dieses Album wies dem gerade aufkommenden Heavy Metal seinen Weg und bereitete vielen heutigen Top-Acts dieser Szene die Karriere vor.
Doch die Hoch-Zeit von Blue Cheer war damit schon wieder vorbei, und die Band verabschiedete sich aus den Albumcharts.
Blue CheerDoch die Gruppe hörte nie ganz auf zu existieren. Ohne großes Aufsehen zu erregen, wurde sie auf diversen Festivals immer wieder als »Lauteste Band der Welt« angekündigt und brachte nach und nach Alben in wechselnden Besetzungen heraus. Schließlich schälte sich mit dem Gitarristen Andrew 'Duck' MacDonald, sowie den beiden Ur-Mitgliedern Dickie Peterson und Paul Whaley wieder ein konstantes Line-up heraus, das bis heute noch Gültigkeit hat. So kann diese Hard Rock-Kultband nun auch schon auf eine über vierzigjährige Karriere zurückblicken.
Blue CheerSo war also quasi vorprogrammiert, dass ich an diesem Dienstagabend einen Gig der härteren Gangart erleben sollte. Eine durchaus willkommene Abwechslung, waren doch die Konzerte der letzten Zeit durchaus geprägt von bluesigen Tönen, bei denen die Melodieführungen im Mittelpunkt standen. Als dann auch noch Bluesgarage-Mastermind Henry verkündete, man solle doch die Ohrstöpsel nicht vergessen, sah ich mich in meiner Meinung durchaus bestätigt. Schließlich hatte ich Blue Cheer vor sechzehn Jahren das letzte Mal auf der Bühne erlebt, sodass sich meine Erinnerung daran doch arg in Grenzen hielt.
Blue CheerSchon ein erster Blick auf die Anlage der Band war durchaus lohnenswert. Der Bass lag lieblos hingefeuert quer auf den dazugehörigen Boxen, die mit einem Piratenschädel und gekreuzten Knochen verziert waren. Auch die Gitarren-Anlage war echt beeindruckend. Die einzelnen Bausteine waren farblich wild durcheinander gewürfelt und hatten ihre beste Zeit sicherlich auch schon sehr lange hinter sich. Jede Wette, dass einige von ihnen schon bei den ersten Sessions der Band vor vierzig Jahren dabei waren. Klasse, das deutete auf ein Konzert wie in den seligen alten Zeiten hin, als das Geld bei den Musikern noch knapp war!
Blue CheerFast pünktlich kurz nach 21.00 Uhr begann das Konzert und vom ersten Ton an war mir klar, Blue Cheer macht auch heute noch keine Gefangenen. Schon das erste Riff haute mich fast aus den Socken. Gewittergrollen ist gar nichts dagegen, und nach dem Einsetzen von Bass und Schlagzeug war mir klar, dass dieser Auftritt absolut nichts für schwache Nerven und empfindliche Ohren war. Die gesamten ca. 100 Minuten vibrierten meine Innereien und die ein paar Stunden vorher vertilgte Schweinshaxe sah jubelnd ihrer Zersetzung in den Gedärmen entgegen.
Blue CheerIn der ersten Hälfte des Sets gab es einen gelungenen Mix aus Songs vom aktuellen Longplayer What Doesn't Kill You... mit einigen Titeln aus den Anfangstagen der Band, allerdings noch ohne die bekanntesten Werke. Optimaler Sound und gut aufeinander abgestimmte Instrumente waren nicht wichtig. Brachiale Gewalt und die wilde zügellose Kraft des Rock'n'Roll waren das Maß der Dinge. Wohl noch nie habe ich einen roheren Auftritt einer Band gesehen, wie an diesem Abend. Übrigens hinterließen die neuen Songs allesamt einen starken Eindruck und bestätigten ihre Klasse, die schon in den Studio-Versionen deutlich wurde.
Blue CheerNach gut der Hälfte des Gigs, eingeleitet natürlich vom lautstark bejubelten "Summertime Blues", änderte sich dann der Stil der Band. Der derbe, extrem verschleppte Rock verschwand und machte dem Psychedelic-Sound Platz. Jetzt beherrschten Rückkopplungen und wilde Verzerrer-Effekte den Raum. Immer wieder krochen MacDonald und Peterson mit ihren Instrumenten fast in die PA rein und erzeugten damit die unglaublichsten Klangkollagen. Auch die Länge der Songs nahm jetzt erheblich zu. Dabei war "Parchman Farm" vom Debüt-Album das absolute Highlight. Selbst klassische Töne von Ravels "Bolero" wurden mit eingebaut. So in etwa muss es gewesen sein, als Jimi Hendrix auf dem Woodstock-Festival die amerikanische Nationalhymne vergewaltigte.
Blue CheerDie Bluesgarage erbebte in ihren Grundfesten und Henry tut gut daran, sich die Fundamente nach diesem Gig mal ganz genau anzusehen und auf eventuelle Risse zu überprüfen.
Und genau so ging es im Zugabenteil weiter. "Rock Me Baby" als Heavy Blues mit der Betonung auf Heavy, sowie der Booker T. Jones-Song "The Hunter", schon vor Jahrzehnten von Free erfolgreich verwurstet, wurden gnadenlos verfremdet und auf Blue Cheer-Format gebracht. Was für ein Konzert. Genau das richtige Mittel für den an diesem Tag leicht gefrusteten Rocktimes-Redakteur, sich die trüben Gedanken aus dem Hirn blasen zu lassen.
Line-up:
Dickie Peterson (vocals, bass)
Andrew 'Duck' MacDonald (guitar, vocals)
Paul Whaley (drums)
Externer Link: