...denn eine Meile an sich ist ja keine große Distanz
Rocktimes Interview Was hat die Schildkröte auf dem Cover zu suchen, wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen Boozed und Nicke Andersson, das alles und noch viel mehr Fragen beantwortete uns geduldig Vocalist Markus.


Interview vom 22.06.2009


Moritz Alves
RockTimes: Hallo, zunächst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst für dieses Interview. Außerdem herzlichen Glückwunsch zum gelungenen neuen Album!
Markus: Danke, freut mich, dass die Platte gefällt.
RockTimes: Mit welchen Aufgaben bist du denn gerade beschäftigt? Wovon halte ich dich ab?
Markus: Da Sonntag ist, nur vom Fernsehen, und weil nur Scheiße kommt, eigentlich von gar nichts.
RockTimes: Kommen wir gleich auf "One Mile" zu sprechen: Auffällig ist natürlich das Cover-Artwork, das in meinen Augen nicht sehr gelungen ist. Wer hatte diese Idee und was genau möchtet ihr damit ausdrücken? Welche Gedanken stecken eigentlich hinter einem solchen Titel?
Markus: Wir finden das Artwork durchaus sehr gelungen. In Verbindung mit dem Titel "One Mile" wird das Ganze sehr zweideutig, denn eine Meile an sich ist ja keine große Distanz. Für die Schildkröte, die da so selbstbewusst mitten auf der Straße sitzt, ist es aber eine ziemliche Reise. Und trotzdem ist sie unterwegs und wird auch ankommen. Die Einstellung passt! Die Idee hatte, glaube ich, Alex [Hansen, Manager von Boozed - Anm. d. Verf.] und wir fanden sie spontan gut. Mir gefällt außerdem, dass wir nicht an dem Wettbewerb um das coolste, rock'n'rolligste Layout teilnehmen, sondern unseren eigenen Stil haben.
RockTimes: Eure neue Scheibe ist bereits euer vierter Release. Gab es Unterschiede im Entstehungsprozess, verglichen mit den Alben zuvor?
Markus: Ja, wir hatten diesmal wesentlich mehr Zeit und konnten mit mehr Ruhe an den Songs basteln. Außerdem hatte jeder von uns dadurch die Möglichkeit, Ideen einzubringen, die dann ausprobiert werden konnten, wir mussten nicht so früh filtern. Dadurch ist die Platte abwechslungsreicher geworden, wir konnten uns weiter aus dem Fenster lehnen.
Ungewohnt war es, dass wir diesmal ohne Claus Grabke [deutscher Indie-Produzent, Musiker und Skater; war Mitglied der Bands Thumb und Alternative Allstars - Anm. d. Verf.] gearbeitet haben, der ja "Tight Pants" und "Acid Blues" produziert hat. Wir wollten aber bewusst alles anders angehen, um zu sehen, wie wir mit jemand anderem funktionieren. Matze Lohmöller [Indie-Produzent sowie Gitarrist/Sänger der Deutsch Punk-Band Morgentot - Anm. d. Verf.] war eine sehr gute Wahl. Wir sind absolut zufrieden mit dem Sound von "One Mile", auch wenn das manche Leute anders sehen.
RockTimes: Schaut man auf die Album-Credits, so sticht natürlich der Gastbeitrag von Nicke Andersson ins Auge. Wie kam es denn zur Zusammenarbeit mit einem solch prominenten Musiker? Kanntet ihr Nicke Andersson schon vorher?
Markus: Nicke kannten wir bereits seit unserer ersten Tour mit den Hellacopters 2005. Letztes Jahr durften wir dann nochmal einige Termine auf ihrer Abschiedstour eröffnen und fragten Nicke am letzten Abend, ob er Bock auf ein Feature hat. Er hat direkt zugesagt und so kamen wir zu diesem geilen Solo in "Circus", Track 4 auf "One Mile".
RockTimes: Wie darf man sich diese Zusammenarbeit vorstellen? Hat Nicke Andersson direkt im Studio vorbeigeschaut oder wie ist das gelaufen?
Markus: Nee, wir haben ihm alle Songs geschickt und er hat in seinem eigenen Studio den Part aufgenommen.
RockTimes: War Nicke Andersson auch am Songwriting von "Circus" beteiligt? Wie hat er sich denn genau in den Song eingebracht?
Markus: Der Song stand schon, ich hatte ihn eine Weile vor der Produktion geschrieben. Es gab sogar schon ein Solo von Poni [Boozed-Gitarrist - Anm. d. Verf.], das auch sehr geil war. Aber Nicke wollte es gern spielen, und Poni hatte nichts dagegen. Wäre auch schade gewesen.
RockTimes: Ihr habt "One Mile" in Eigenregie auf eurem Label Chequers 74 herausgebracht. Seit wann besteht es und weshalb habt ihr euch für ein eigenes Label entschieden?
Markus: Als die Platte fertig war, haben wir erfahren, dass Bitzcore [deutsches Indie-Label, das bekannt ist für Hardcore- und Punk-Releases - Anm. d. Verf.] sie nicht rausbringen würde, warum auch immer. Anstatt noch lange nach einer neuen Firma zu suchen, haben wir uns entschieden, das auf eigene Kosten zu machen, damit die Veröffentlichung schnell und ohne große Umwege ablaufen kann. Im Moment ist es ein sehr gutes Gefühl, die "One Mile" selbst herausgebracht zu haben. Es ist dadurch noch viel mehr unser Baby.
RockTimes: Das neue Werk ist bei einigen Anbietern als exklusive Special-Edition inklusive DVD und Aufnäher erhältlich. Warum bieten denn sowohl Amazon als auch EMP das Album derartig 'exklusiv' an? Habt ihr darauf als Label-Eigner Einfluss? Für mich geht da ehrlich gesagt etwas Exklusivität verloren, wenn man das Teil in dieser Ausführung bei mehreren Händlern erwerben kann...
Markus: Du hast Recht, das Wort 'exklusiv' ist in diesem Zusammenhang Blödsinn. Einfluss darauf hätten wir schon, aber keiner von uns ist direkt an der Labelarbeit beteiligt, sonst hätte der Slogan vielleicht anders gelautet. Ich wusste gar nicht, dass bei EMP und Amazon so ein Package angeboten wird. Aber hey, wenigstens ist die Auflage limitiert.
RockTimes: Kommen wir auf die Musik zu sprechen: Euer Sound ist zweifellos von skandinavischen Rock'n'Roll- bzw. sogenannten Schweinerock-Bands beeinflusst. Welche Bands dieses Genres inspirieren euch am meisten? Welche Künstler sind außerdem essenziell für den Boozed-Sound?
Markus: Von den Skandinavienrockern hatten Gluecifer den größten Einfluss auf uns, teilweise auch die Hellacopters. Beide Bands haben ihren Sound und jede Menge Attitüde, biedern sich nicht an und schreiben großartige Songs. Ich finde, dass keine von beiden genügend Anerkennung und Kohle für ihre geniale Musik bekommen hat. Egal. Wichtig für uns waren auch immer AC/DC, ohne die es Boozed nicht geben würde, und ein Stück weit die Stones.
RockTimes: Neben "Circus" sticht gerade auch "Easy" aus dem Album hervor - der vielleicht beste Song des Albums. Erzähle bitte kurz etwas dazu!
Markus: "Easy" habe ich schon etwa ein Jahr vor dem ersten Studiotermin geschrieben. Es gab die Riffs, Leadgitarrenparts exklusive, und die Gesangsmelodie, es fehlten nur noch Lyrics. Die Nummer war aber eigentlich gar nicht für Boozed gedacht, es war halt ein kleiner, trauriger Song auf Akustikgitarre. Als wir eines Studiotages völlig abgerockt und genervt von einem schnellen, lauten Song im Aufnahmeraum standen, hab ich gefragt, ob die anderen etwas gegen ein ruhiges Lied hätten. Das Wort 'Ballade' habe ich vorsichtshalber vermieden. Es ging dann ziemlich fix, die Jungs hatten super Ideen für ihre Parts und wir haben das Ding am Ende mit schönen Backing-Vocals und einer zusätzlichen Akustikgitarre eingetütet. Freut mich sehr, dass dir "Easy" gefällt.
RockTimes: Wie ist die Arbeitsteilung bei euch in der Band? Wer ist für das Songwriting verantwortlich, wer kümmert sich eher um sonstige Dinge wie z.B. das Label?
Markus: Das Songwriting kann auf verschiedene Arten ablaufen. Zum Beispiel schreibe ich einen Song, meist nur Strophe, Refrain und habe schon ein paar Ideen für das Arrangement. Das wird dann gemeinsam ausgefeilt und jeder arbeitet seinen Part aus, da ich meist eher eine Akkordbegleitung als Riffs, Läufe und so weiter vorgebe. So ist gut die Hälfte der Songs auf "One Mile" entstanden. Die weiteren Nummern basieren auf Riffs von Poni, Nico [Boozed-Gitarrist - Anm. d. Verf.] oder mir, die dann, meist ziemlich schnell, zu einem kompletten Lied weitergesponnen werden. Das ist ziemlich anstrengend, weil es eine Menge Konzentration erfordert. Aber wenn ein Rock-Song so entsteht, dann klingt er auch direkt und spontan.
Um das Label kümmert sich größtenteils Alex, er fragt uns aber öfter nach unserer Meinung zu einzelnen Sachen.
RockTimes: In meinem Artikel habe ich die etwas knapp bemessene Spielzeit bemängelt. Wie steht ihr als Band zu diesem Kritikpunkt
Markus: Ich finde die Länge geht in Ordnung. Wir spielen halt größtenteils schnellen Rock'n'Roll, da ist ein Track auch öfter nach zwei Minuten vorbei. "Death Alley" von Zeke, eine Monsterplatte, wurde überall abgefeiert, und die ist nur 27 Minuten lang, die letzte Beatsteaks hat nur eine gute halbe Stunde. Wenn eine kurze Platte gute Musik enthält, wo ist das Problem?
RockTimes: Euer spezieller Sound verlangt natürlich auch nach gewissen Instrumenten. Welche Gitarren und Bässe werden denn von euch bevorzugt gespielt?
Markus: Da müsste ich die Jungs mal fragen... Tim [Boozed-Bassist - Anm. d. Verf.] spielt aber einen Fender, ich glaube einen Jazz Bass, und Nico eine Gibson Les Paul. Poni hat etwas speziellere Sachen. Career? Ich bin nicht sicher…
RockTimes: Zum Schluss noch etwas in eigener Sache: Da RockTimes ein Online-Mag ist, interessiert mich, welche Kritiken euch als Band mehr bedeuten - die Reviews großer Printer oder eher die der zahlreichen, unabhängigen Online-Postillen?
Markus: Ich freue mich über gute Kritiken, besonders wenn die Rezensenten unabhängig sind und keine wirtschaftlichen Gründe haben, die ihre Meinung beeinflussen. Das ist wohl am ehesten bei Online-Mags der Fall. Auffällig ist, dass es da meist wirklich um die Musik geht und dass die entsprechende Platte auch aufmerksam gehört wurde. Wenn jemand schlecht über uns schreibt, sind zwischen den Zeilen oft überdeutlich die Vorbehalte gegenüber harter, direkter Rockmusik allgemein zu erkennen. Da denke ich mir: "Warum schreibst du drüber? Du verstehst es doch sowieso nicht." Im Großen und Ganzen kommt "One Mile" aber sehr gut an, also eigentlich kein Grund zum Motzen (lacht).
RockTimes: Nochmals vielen Dank für das Beantworten meiner Fragen. RockTimes wünscht Boozed viel Erfolg mit "One Mile" und alles Gute in der Zukunft!
Markus: Danke dafür, und für das Interesse an unserer Musik. Hat Spaß gemacht, ciao!
Wir danken Tom Küppers von Netinfect, der uns das Gespräch mit Markus ermöglicht hat.
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