CD-Compilations und - mehr noch - CD-Boxen sind für mich ein zweischneidiges Schwert. Vorgeblich günstig im Preis, nimmt man oftmals in Kauf, dass sie derart viel überflüssiges Zeug beinhalten - sei es, weil man einzelne Songs bereits irgendwo anders mit drauf hat oder weil man manche Tracks nun wirklich nicht braucht - dass die Anschaffung sich doch insgesamt nicht so recht rentiert. Und je größer die Zusammenstellung bzw. je dicker die CD-Box, desto größer ist natürlich das gerade beschriebene Risiko.
Wie groß muss es erst bei einer derart pompösen Sammlung wie der vorliegenden, schlicht "Blues" betitelten Kiste sein? Wobei der Begriff 'Kiste' durchaus angemessen ist angesichts des äußerst stabilen Pappkartons, in dem die insgesamt 25 CDs geliefert werden. Das muss jeder nach einem Blick auf das Inhaltsverzeichnis bzw. in seine CD-Sammlung sowie auf seinen Musikgeschmack für sich selbst beurteilen. Für mich hat sich die Anschaffung jedenfalls voll und ganz gelohnt. Dass ich - bezogen auf die einzelnen Alben - keine einzige 'Doublette' dabei habe, und dass ich selbst bezüglich der einzelnen, insgesamt 301 (!) Titel (wenn die Angaben im Booklet stimmen und nicht irgendwo ein Hidden Track mit drauf ist - was ich bezweifele) - trotz einiger Blues-Sampler in meinem Archiv - bislang nur Einzelfälle von Dopplungen habe feststellen müssen (aber ich habe mich auch noch nicht vollständig durch das vorliegende Gesamtwerk durchgearbeitet!) wirft natürlich kein gutes Licht auf meine bisherige CD-Sammlung. Aber besser spät als nie! Zu meiner Entschuldigung sei ansonsten darauf hingewiesen, dass ich mich bislang mehr der zeitgenössischen Blues-/Bluesrock-Musik gewidmet habe. Doch mit zunehmendem Alter geht man halt auch musikalisch vermehrt 'back to the roots'.
Und das kann man mit dieser 'Schatzkiste' auf wirklich umfängliche Art und Weise. Aber keine Angst: Für ihre Unterbringung braucht man keinen Regalmeter. Denn sie enthält lediglich 25 schmale Pappschuber, die der Original-LP-Hülle entsprechen. Dies erfreut des Sammlers Herz, bedingt aber eine entsprechende Verkleinerung des Originals und führt bspw. bei der Bessie Smith-Scheibe selbst beim Gleitsicht-bebrillten Betrachter praktisch zur Unlesbarkeit des umfangreichen Textes auf der Rückseite. Entschädigt hierfür wird man allerdings durch das dicke Booklet, in dem in einer Einführung (auf Englisch und Französisch) die vorliegenden Scheiben allgemein vorgestellt werden. Zudem enthält es jeweils eine Seite mit Abdruck des Covers, der vollständigen Track-List sowie bspw. Aufnahme- und Veröffentlichungsdaten.
Gegenüber den 'historisch' gestalteten Hüllen - lediglich die einheitlich gestaltete Schmalseite der einzelnen Hüllen weist auf die Zugehörigkeit zu dem Box-Set hin - erscheinen die CDs geradezu lieblos bedruckt. Doch genau genommen sind sie so gehalten, wie das farbliche Mittelstück einer üblichen Langspielplatte war, und sind damit ebenso klassisch gestaltet.
Die ursprünglichen Schallplatten bzw. CDs sind in den Jahren 1951 bis 2003 erschienen und decken bereits aus diesem Grund ein sehr breites Spektrum ab. Die Aufnahmen sind teilweise noch älter: Bessie Smith hat die vorliegenden Songs bereits in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts eingespielt; die Aufnahmen von Robert Johnson stammen aus den 30ern (Die CD ist übrigens hier bereits einzeln besprochen). Apropos: wird doch in RockTimes-Reviews über aktuelle Bluesveröffentlichungen gerne darauf hingewiesen, wie toll der eine oder die andere Künstler(in) die alten Vorlagen eines Muddy Waters, Willie Dixon, Son House, Stevie Ray Vaughan oder halt Robert Johnson interpretiert und die alten Songs mit neuem Leben erweckt (ich nehme mich davon nicht aus): Leute - hier sind die Originale versammelt! Hört sie Euch an, damit Ihr wirklich vergleichen könnt.
Aber auch in der Box sind Cover-Versionen im Angebot. Interessant ist dabei der direkte Vergleich beispielsweise bei den beiden Willie Dixon-Songs "Spoonful" bzw. "Hoochie Coochie Man", die zugleich auch von Etta James interpretiert werden, oder aber "When You Got A Friend", das vorliegend sowohl vom Komponisten Robert Johnson als auch von Johnny Winter (dessen vorliegende Scheibe ebenfalls auf RockTimes bereits besprochen worden ist) dargeboten wird. Oder aber, was Buddy Guy aus dem Son House-Track "Louise McGhee" macht. Und schließlich: Auch wenn für "Preachin' Blues" bei Robert Johnson bzw. Son House der jeweilige Interpret auch als Komponist angegeben ist, handelt es sich vom Grundsatz her um denselben Song.
Und hörenswert - insbesondere wenn man bedenkt, wie alt manche Aufnahmen sind - sind die CDs allesamt. Da haben die Techniker, die in all den Jahren daran gearbeitet haben, wirklich gute Arbeit geleistet. Auf den CDs sind in der Regel die Original-Einspielungen; teilweise wurden aber zwischenzeitliche Re-Issues mit dazu gepacktem Bonus-Material verwendet. Das führt zu so unterschiedlichen Laufzeiten von (selbst für damalige Verhältnisse eigentlich unakzeptablen) 23:59 Minuten bei Elvis Presley bis hin zu 72:07 Minuten der ursprünglich als Doppel-LP veröffentlichten The Johnny Otis Show-CD.
Auch musikalisch ist die Kiste vielfältig gestaltet angesichts eines Ensembles, das von A(retha) bis immerhin W(itherspoon) reicht. Da ist nicht alles die reines Blues-Lehre, da sind auch Funk, Soul, Rockabilly und Rock'n'Roll im Angebot, und schließlich rockte - wie der LP-Untertitel bereits selbst formulierte - The Johnny Otis Show das 1970er Monterey Jazz-Festival. Ein Ignorant, wer da nicht auf seine Kosten kommt.
Apropos: Viele der in der vorliegenden Box veröffentlichten CDs gibt es nach wie vor einzeln zu kaufen. Spätestens, wenn man sich für fünf CDs interessiert, ist der Kaufpreis für die Box bereits günstiger, die restlichen 20 CDs bekommt man also gratis dazu! So gibt es beispielsweise die Son House-CD derzeit nicht im Original bei amazon.de; dafür bietet dort ein Händler sie im gebrauchten Zustand aktuell für mehr als 75 € an; The Johnny Otis Show-CD kann man über amazon.com bei einem Händler in den USA für über 90 $ erwerben (+ Versandkosten selbstverständlich)! Spätestens jetzt weiß man, was man mit "Blues" für ein Schnäppchen machen kann.
Die vorliegenden CDs im Einzelnen vorzustellen, das würde selbstverständlich den Rahmen eines einzelnen Reviews völlig sprengen und war daher auch nicht meine Absicht. Aber vielleicht reicht die Beschreibung ja aus, auf diese Box neugierig zu machen. Ob es sich bei "Blues" (mit dem Untertitel "The Perfect Blues Collection") angesichts des Umfangs der Box um eine wirklich perfekte Zusammenstellung handelt, die den Anspruch an einen Blues-Kanon erfüllt (s. diesbezüglich meine früheren Bemerkungen), muss jeder für sich selbst entscheiden. Für mich ist die Kiste jedenfalls auf dem besten Wege dorthin! Und angesichts des aktuellen Preises: absolute Kaufempfehlung!
CD-Listing: (In Klammern Jahr der Erstveröffentlichung; Anzahl der Titel; Laufzeit) |
01:Bessie Smith - The Bessie Smith Story (1951; 12; 39:51)
02:Big Bill Broonzy - Big Bill Blues (1954;14; 49:43)
03:Little Richard - Little Richard (1958;12; 31:01)
04:Mahalia Jackson - Live At Newport 1958 (1958;12;42:01)
05:Chuck Willis - Wails The Blues (1958;12; 33:21)
06:Elvis Presley - Elvis Presley For LP Fans Only (1959; 10; 23:59)
07:Jimmy Witherspoon - In Person (1961; 8; 33:06)
08:Robert Johnson - King Of The Delta Blues Singers (1961; 17; 46:06)
09:Sonny Boy Williamson & Memphis Slim - Same (1964; 7; 32:34)
10:Aretha Franklin - Unforgettable A Tribute To Dinah Washington (1964; 11; 40:05)
11:Son House - Father Of Folk Blues (1965; 9; 44:59)
12:Johnny "Guitar" Watson & Larry Williams - Two For The Price Of One (1967; 20; 59:07)
13:Champion Jack Dupree - Anthologie Du Blues Vol. 1 (1968; 11; 64:20)
14:Otis Spann - The Biggest Things Since Colossus (1969; 10; 40:08)
15:Johnny Winter - Johnny Winter (1969; 12; 43:37)
16:Percy Mayfield - Sings Percy Mayfield (1970; 12; 36:08)
17:The Johnny Otis Show - Live At Monterey! (1971; 19; 72:07)
18:Willie Dixon - I Am The Blues (1970; 9; 43:55)
19:Hubert Sumlin & His Friends - Kings Of Chicago Blues (1971; 11; 40:23)
20:Taj Mahal - The Real Thing (1972; 11; 66:53)
21:Muddy Waters - Hard Again (1977; 10; 49:41)
22:Stevie Ray Vaughan & Double Trouble - Texas Flood (1983; 15; 59:06)
23:Keb' Mo' - Just Like You (1996; 13; 46:27)
24:Etta James - Life, Love & The Blues (1998; 12; 59:38)
25:Buddy Guy - Blues Singer (2003; 12; 49:23)
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Externe Links:
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