Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft
Zwischenruf Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft
Oder: Die Weiterentwicklung des Ü-Ei's
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Zwischenruf vom 23.06.2009


Jürgen Hauß
Wer bekommt nicht gerne etwas geschenkt. Gerade dem Musik-Begeisterten kann man mit einer CD leicht eine Freude bereiten. Leider bekomme ich nur ganz selten CDs geschenkt. Die Erklärung hierfür ist meist entweder die Entschuldigung, dass ich ja schon alles habe, was ich gerne hätte (was ganz sicherlich nicht stimmt). Oder aber die Sorge wird zum Ausdruck gebracht, dass man meinen 'sehr speziellen' Geschmack nicht treffen könnte (was ebenfalls so nicht richtig ist; selbst an "Heinrich Lübke Redet Für Deutschland" hatte ich durchaus meinen Spaß - Regine, vielen Dank dafür!).
Zum Glück gibt es aber dennoch von Zeit zu Zeit ein durchaus unverhofftes Geschenk im Zusammenhang mit dem Kauf einer CD, dann nämlich, wenn diese den einen (oder anderen) Bonus-Track enthält. Damit meine ich allerdings nicht diejenigen Tracks, die bereits deutlich als "Bonus-Track" auf der Hülle gekennzeichnet sind (wobei ich mich manchmal frage, warum bei einer absolut neu eingespielten CD, einzelne Titel als "Bonus-Track" gekennzeichnet sind - worin besteht da der Bonus, wenn es keine alternative Pressung gibt?).
Nein, ich meine die "Hidden Tracks", die Schmankerl, die - überwiegend am Ende einer CD - zusätzlich auf die Scheibe gepresst werden und auf die es in der Regel keinen Hinweis gibt. Hier steht der 'Ü-Ei-Effekt', will sagen: das Überraschungsmoment eindeutig im Vordergrund.
Erscheinungsformen von "Hidden Tracks" sind vielfältig. Wie bereits gesagt, findet man sie in der Regel am Ende der Scheibe; es gibt aber auch Produktionen, wo sie noch vor dem ersten Track - quasi als 'Null-Nummer' erscheinen. Am Ende einer CD gibt es wiederum zwei Alternativen: entweder der "Hidden Track" verlängert einfach den letzten Track; der Player gibt also genau die Zahl der Titel an, die auch das Booklet ausweist, nur dass der letzte Titel tatsächlich eine (vereinzelt sogar viel) längere Laufzeit hat als für den 'offiziellen' Track angegeben ist. Hier gibt es zudem teilweise recht lange Pausen, bis der 'Nachspann' abläuft. Oder aber, der "Hidden Track" wird auf der CD als eigenständiger Titel geführt; d.h., dass die Anzahl der Titel, die der CD-Player ausweist, größer ist als auf der CD angegeben.
Im Übrigen ist das Phänomen des "Hidden Track" kein Kind des CD-Zeitalters, auch wenn die Digitalisierung seine Verbreitung nachweislich befördert hat. Auch zu Zeiten der guten alten Schallplatte gab es derartige Gimmicks schon - man erinnere sich nur an die Beatles, die für ihren 'kind of humour' durchaus berüchtigt waren. Als ein Beispiel für viele sei nur das 'Anhängsel' an "Cry Baby Cry" auf dem "White Album" genannt, einen kurzen Song von Paul McCartney mit dem Titel "Can You Take Me Back". Aber auch auf "Abbey Road" und "Sgt. Pepper" finden sich "Hidden Tracks".
Erstmals bewusst beschäftigt mit dem Thema "Hidden Tracks" habe ich mich vor 14 Jahren mit dem Erscheinen der Queen-CD "Made In Heaven". Laut Anzeige im Player enthält die CD nicht nur einen, sondern sogar zwei "Hidden Tracks". Während allerdings der erste der beiden lediglich aus einem ca. viersekündigen gesungenen "Yeah" besteht, hat der nachfolgende Song - ohne Titel - eine Laufzeit von sage und schreibe 22:33 Minuten, was fast einem Drittel der gesamten Spielzeit der CD entspricht. Allerdings gehen der letzte 'offizielle' sowie die beiden "Hidden Tracks" ohne Pause ineinander über, so dass man - wenn man die CD ohne synoptische Lektüre des Booklets hört - unmittelbar gar nicht wahrnimmt, dass man hier ein Überraschungs-Ei gelegt bekommen hat. Allein der kaum enden wollende letzte Titel veranlasste mich, nähere Informationen hierüber im Booklet zu suchen - vergeblich.
Bereits etwa vier Jahre zuvor habe ich erstmalig bewusst einen "Hidden Track" wahrgenommen beim Anhören der CD "Dish Of The Day" von Fool's Garden. Als diese Scheibe in meinem Player zum ersten Mal 'durch lief' und ich nicht direkt nach Ende des vermeintlich letzten Songs die Eject-Taste drückte, weil ich durch ein Gespräch mit Freunden davon abgelenkt war, vernahm ich plötzlich einen kurzen 'Abschiedsjodler', der mich aufhorchen ließ; danach war die Scheibe endgültig zu Ende. Also nochmals den letzten Track angewählt und konzentriert zugehört; jetzt vernahm ich auch erstmals die gut zweiminütige Pause zwischen dem offiziellen Teil und dem angehängten "Hidden Track".
Diese beiden Vorkommensweisen - eigenständiger Song oder aber Anhängsel an den letzten genannten Track, entweder mit zum Teil deutlicher Pause dazwischen oder aber unmittelbar anschließend - habe ich in den folgenden Jahren mehrfach entdeckt; statistisch ausgedrückt enthalten mittlerweile etwa 1 % meiner durchaus umfangreichen CD-Sammlung "Hidden Tracks", was dafür spricht, dass sich mehr und mehr Musiker bzw. Produzenten für diese Art, ihren Fans eine Freude zu machen, begeistern.
Einen "Hidden Track" der besonderen Art habe ich - so denke ich - auf dem kürzlich (wieder-) veröffentlichten Album Smokehouse Sessions der Blindside Blues Band entdeckt. Hier ist es bereits der vorletzte Titel "Crossroads 69", der m.E. einen "Hidden Track" verbirgt, denn unmittelbar im Anschluss an die auf Akustik-Klampfen dargebotene Interpretation des alten Robert Johnson-Titels folgt - innerhalb derselben Tracknummer - eine sehr rockige elektrifizierte Version desselben Songs.
Diese ist im Übrigen eine sehr ähnliche - wenn auch nicht identische - Interpretation wie diejenige, die der Bandleader Mike Onesko ebenfalls in diesem Jahr mit dem Onesko Bogert Ceo Project auf der CD "Big Electric Cream Jam" eingespielt hat. Auf dieser Scheibe befindet sich wiederum ebenfalls ein "Hidden Track", denn der letzte Titel "Sunshine Of Your Love", der bereits eine Laufzeit von 6:40 Minuten aufweist, wird nach knapp einminütiger Pause noch um den Ginger Baker-Song "Sweet Wine" auf insgesamt 20:44 Minuten ausgedehnt. Zwar wird dieser Song auf der Außenhülle der CD nicht genannt, jedoch im Booklet ausdrücklich als "Hidden Bonus Jam" erwähnt. Hier zeigt sich zudem bereits (auf ein weiteres Beispiel gehe ich später noch ein), dass Mike Onesko - wie übrigens etliche weitere Musiker - das Gimmick des "Hidden Track" regelmäßig einsetzen. Dies kann nur bedeuten, dass derartige Geschenke bei den Fans 'ankommen'.
Die Variante, den "Hidden Track" auf dem Album zu erwähnen, hat im Übrigen auch Ana Popovic auf ihrem Live-Album Ana! gewählt, wo der diesbezügliche Hinweis sogar schon außen angebracht ist. Das - möglicherweise - Besondere hier ist allerdings, dass einer Live-CD ein Studio-Track angehängt worden ist; in der Regel ist es umgekehrt.
Ich möchte jetzt niemanden langweilen mit weiteren Beispielen aus meiner eigenen Sammlung. Wer allerdings nun auf den Geschmack gekommen ist und selber nach "Hidden Tracks" in seiner CD-Sammlung forschen möchte, muss nicht unbedingt das gesamte Material durchforsten. Auf Hiddensongs sowie Wikipedia finden sich umfangreiche Listen über bekannte und unbekannte "Hidden Tracks". Aber auch diese Listen sind nicht vollständig; so habe ich auf zwei dort nicht erwähnten Orange Blue-Scheiben ebenfalls "Hidden Tracks" entdeckt.
Nur einmal bin ich um den Genuss eines "Hidden Tracks" gebracht worden. Als ich nämlich die CD Keepers Of The Flame der schon als Verfechter des "Hidden Track" benannten Blindside Blues Band nicht körperlich erstand, sondern komplett bei iTunes heruntergeladen habe. Denn hier blieb der "Hidden Track" - von dessen Existenz ich aufgrund des diesbezüglichen Reviews von Jürgen Bauerochse wusste - tatsächlich verborgen. Sehr schade, denn insbesondere das dort angesprochene Drum-Solo hätte mich sehr interessiert.
Also, liebe Musikproduzenten: Beschenkt mich - und natürlich all die anderen Käufer eurer Scheiben - ruhig weiterhin mit "Hidden Tracks" - denn aus dem Ü-Ei-Alter wächst man nie ganz heraus - nur das Medium ändert sich!