Spielzeit: 79:20 Medium: CD Label: BSC Music, 2007 Stil: Rock aus Bayern Review vom 06.04.2007 Norbert Neugebauer

Die Roots- und Ethno-Abteilung von RockTimes hat bei ihren völkerkundlichen Exkursionen die erstaunlich vielfältige Musiklandschaft Bavariens entdeckt. Bluesbruder Joe konnte schon vor einem Jahr erstaunt sogar Blue Notes bei den nördlich der Alpen lebenden Stämmen nachweisen und obwohl er als Niederrheiner wohl kaum ein Wort verstanden haben dürfte, war er allein von der angenehmen Sprachmelodik angetan. Auch der Autor dieser Zeilen, als Franke zwangsweise mit der Subkultur und Sprache seiner südlichen Nachbarn vertrauter, erklärt sich nach dem Konzertbesuch der oberbayerischen Kapelle Williams Wetsox bereit, sich künftig dieser bislang doch in unserem Magazin unterrepräsentierten Volksmusik neuerer Prägung mit anzunehmen.

Nächste Gelegenheit bietet sich bei dem vorliegenden Sampler der 'Mundart Ageh', »der Gesellschaft zur Förderung der Mundart in der zeitgenössischen Popularkultur«. Wohlgemerkt nicht nur der weißblauen jenseits des Mains. Es ist bereits die zweite Folge der darin zusammengeschlossenen Künstler, die auf "Hart & Zart" vorgestellt werden. 21 Titel bieten ein breites Spektrum, sowohl stilmäßig, wie auch geografisch. Die Zusammenstellung sortiert recht gut, wie's von der musikalischen Ausrichtung zusammenpasst. Und da gibt es viel (von schräg bis ausgefeilt) zu entdecken, der Sampler macht richtig Spaß, auch wenn man als 'Preuße' vielleicht nicht allzu viel von den Texten mitbekommt.

Selbst dem medienmäßig und durch eigene Feldforschungen in Altbayern mit dortigen Dialekten vertrauten Ethnologen gelingt es nicht immer, die aus oftmals sehr entlegenen Gegenden stammenden Beiträge sofort zu entschlüsseln. Verblüffend jedoch die Adaption der unterschiedlichsten zeitgenössischen Musikformen und teilweise Verschmelzung mit traditionellen Weisen. Das zeigt sich auch in der Artwork, die ein bekanntes Rock-Cover mit bayerischer Symbolik ergänzt und im Booklet in gekonnter Gegenüberstellung den modernen Einfluss auf das oftmals noch sehr ländliche Leben in den weit auseinander liegenden Streusiedlungen dokumentiert.

Die ersten beiden Titel beweisen, dass selbst neueste Ambient- und Clubsounds als Vehikel für Mundart bestens geeignet sind. "Kine vo Bayern" ist ausgesprochen witzig gemacht, "Jetzt samma soweit" rapt gemäßigt zu Ethno-Sounds. Dagegen wirken die beiden Nummern von der Luky Zappatta Band und vom Original Leberkas Duo mit ihrem überholten Spider Murphy Gang-Sound und ihrer Klischee-Singerei doch recht hemdsärmelig und altbacken. Besser wird's da schon wieder mit der "Barbara", das ist amüsant und schön 'schiach' runtergerockt.

Das persönliche Lieblingslied des RT-Minderheiten-Beauftragten ist der "Chiemgau Reggae" vom Biewald Horst. Erinnert von der Machart an den "Egyptian Reggae" von Jonathan Richman & Modern Lovers und erzählt in gekonnt gedrechselten Versen vom bekannten Rastaman-Festival am 'Bayerischen Meer'. Und das schärfste sind die Jodler, die einfach genial zum Rhythmus passen, das Ganze echt multikulturell vorgetragen:

» ... Zivilsheriff kommt ohne Kittel
Sucht unauffällig nach Betäubungsmittel
Weil der Fan vom Rastamo
Ehm ganz schee wos wegziehrn ko

Nice cold beer from Bavaria
passt zum Fleisch und für Vegetarier
Oba sauf bei der Hitz
net mehr wiea sex, siem Becha
Sonst host moing vielleicht Gedächtnislöcha

See the people move around
easy goin' to the sound
everybody's havin' fun
listening to that Rastaman
what a feeling in the air
when love and peace are everywhere … «

Bluesig wird's dann mit den schon unseren Lesern vorgestellten Schorsch & De Bagasch und Williams Wetsox; der ebenfalls vom Oberland stammende Rick Baltes groovt rootsig mit seiner Slide. TFWOBAB lassen's hardrockmäßig krachen, die recht bekannten Zweckinger verbinden Herkömmliches mit Rockigem, sound- und instrumentenmäßig. Von was die Nagl-Musi zu ihren lockeren Calypso-Sounds singen, konnte der Musikforscher bislang nicht dechiffrieren. Und - Überraschung: Des "Gerchla" ist doch das wohlvertraute fränkische Volkslied, auch wenn's lateinamerikanisch swingt. Cooler Ambient-Jazz dann "Da Fluss" und "Heut Nacht" ist angesagte Lounge.

Dass ausgerechnet Sparifankal jüngst von den Print-Kollegen des bekannten deutschen Folk-Magazins als 'Newcomer' bezeichnet wurden, amüsiert den 'BR-Junge Welle'-vorgebildeten Onliner schon leicht. Die Band wurde um 1972 in 'Minga' gegründet und darf wohl als 'Erfinder' des Bayern-Rock gelten. "Afghanistan" ist einer ihrer typischen politsatirischen Songs. Aber - nix für ungut, gell! (Leider hat sich Sparifankal wohl 2004 verabschiedet, wie auf der Bandpage zu lesen ist).

'Fuzz' Wittke setzt "Mercedes Benz" gekonnt in "Liaba Gott" um, als Schrammelwalzer kommt "D' Welt geht unter", "Igidius" (der Bauernheilige) schrubbt heftig als Ska-Pogo, noch punkiger poltert Gsindl mit "Ned danzn" aus den Speakern, live sicher die absolute Abgehnummer auf jedem Indie-Festival. Schee Daneem machen den Rausschmeißer mit ihrem deftigen "Tschüss Walzer".

Eine wirklich gelungene volksmusikalische Sammlung (der Wastl Fanderl und der Kiem Pauli hätten das wahrscheinlich anders gesehen, aber die sind ja auch schon lang tot) - Rockmusik, die die Mundart nicht als einzigen Nenner hat. Alle Beiträge sind rootsmäßig geerdet und haben trotz der unterschiedlichsten Stile die Verbindung zur Tradition nicht verloren. Oder anders: Geile Sounds und starke Texte aus dem Land zwischen dem Main und den Alpen.
Sauba!