Wer ein Joe Cocker-Konzert nie wirklich selbst erlebt hat, dem wird es schwer fallen, zu glauben, wie gut dieser Mann wirklich ist. An diesem Abend in Saarbrücken dürften erneut etliche Menschen die 'Ach, kultig ist er ja schon, aber schaumermal'-Haltung überwunden haben und zu Cocker-Fans durch und durch geworden sein. Denn die Saarlandhalle war äußerst gut gefüllt - wenn sie nicht ausverkauft war, dann hat zumindest nicht viel gefehlt. Mehrere Tausend Zuschauer wurden Zeugen eines denkwürdig guten Auftritts. Zunächst stand aber ein Opener auf der Bühne, den mangels jedweder Ankündigung niemand auf dem Zettel hatte. Der junge, flippige Herr hieß Jarle Bernhoft, kommt aus Norwegen und versuchte sich aufgeweckt und sympathisch in Deutsch: »Hi, ich bin dee Foreband!« Eine Ein-Mann-Vorband. Erst, als er nach wenigen Songs schon wieder gehen musste, schnallten die meisten allmählich, was der Mann da vorne eigentlich leistete. Mit Gitarre, Bass, diversen Klopfgeräuschen und Backing Vocals spielte und sang er sich zunächst live on stage seine eigenen Loops ein, entwickelte somit nach und nach seine funkig-souligen Nummern, bis er eine ganze 'Band' zusammen hatte. Eine 'Spur' ließ er sich stets übrig und sang dazu peppig-gewitzt und kunstvoll, irgendwo zwischen Jack Johnson, Jamiroquai und Bobby McFerrin. Ein klasse Alleinunterhalter! Bernhoft ... aufschreiben!
Zeit für den Superstar. Joe Cocker kündigte sich überlebensgroß an: Auf dem mit riesigen 'Gardinen' abgehängten Bühnenhintergrund lief die Projektion vom Mann des Abends, wie er sich backstage auf den Weg durch die Katakomben macht. Noch im Halbdunkel betrat nach und nach die achtköpfige Band die Bühne. Und dann Joe Cocker im feinen Zwirn. Alles weitere war Magie, eindreiviertel Stunden lang. Die Vorfreude der Zuschauer entlud sich in so positiver Stimmung, dass es überhaupt nicht 'bremste', gleich mit einem brandneuen Stück einzusteigen. Aber was heißt überhaupt bremsen ... "Get On" startete von null auf hundert, war Energie in Bewegung. Der 'alte Herr' verströmte eine enorme Präsenz. Nein, gar nicht zuallererst durch diese einmalige Mimik und Gestik, sondern durch den Gesang. Der war fast zu gut, um wahr zu sein! Kraft, Gefühl und Leidenschaft, und ganz, ganz viel Soul. Wow. Mit ebenso überwältigender Stimmkraft, aber ohne Jackett machte Cocker mit der groovenden, elektrisierend-tanzbaren Traffic-Nummer "Feelin' Alright" einen Riesensatz vom aktuellen zum allerersten Album, 41 Jahre in die Vergangenheit. Dort wurde weiter gekramt, und bei "The Letter" rückten im Jam-artigen Solo-Teil auch erstmals die Begleitmusiker verdientermaßen in den Fokus.
Und was hatte der Meister aller Neuinterpretationen da für eine Weltklasse-Mannschaft am Start! Diese Band hat Funk und Rock und Blues und Soul, spielte sensationell zusammen, groovte großartig und hatte tierisch Spaß an ihrem Job! Die beiden Background-Sängerinnen (bei deren Namen ich mir nicht sicher bin und lieber keine falschen in den Mund nehmen will!) haben traumhafte Stimmen und machten eine Atmosphäre wie ein kompletter Gospelchor. Besonders auffällig agierte auch immer wieder der spanische Multi-Könner Norbert Fimpel, dessen Job-Beschreibung sich sehr exklusiv liest: Er bediente immer wieder die Percussion-Instrumente, beim etwas verschmust-poppigen 90er-Hit "The Simple Things" die obligatorische Mundharmonika, bei dem von allen herrlich gefühlvoll interpretierten "N'oubliez Jamais" das Akkordeon und - vor allem - immer wieder 'sein' Saxofon. Für seine filigranen Soli erntete er des öfteren Applaus auf offener Szene. Genau so wie Joe Cocker immer dann, wenn er einen seiner berühmten irre hohen Schreie ausstieß. Nein, nein, nicht etwa aus dem letzten Loch gepfiffen - Cocker hat seine Stimme auch in Extremsituationen perfekt unter Kontrolle. Und was viele der Konzertbesucher verwunderte und zu frenetischem Applaus antrieb: Er hat keine der extremen Anstrengungen umgangen! Keine Kompromisse. Er gab alles, sah mächtig angestrengt aus, wirkte aber nie ausgelaugt. Eine Wahnsinns-Leistung ...
... die sich nicht nur im obercool daherstampfenden Powerpaket "You Can Leave Your Hat On" (die Background-Mädels strippten etwas dabei - aber nur etwas) oder im genial treibenden Rock'n'Roller "Hitchcock Railway" mit großer Inbrunst niederschlug, sondern auch in den Balladen mit ganz viel Feingefühl. Schon "Unforgiven" vom Hard Knocks-Album recht zu Beginn war eine große Gänsehautnummer. Aber die ultimative Steigerung lieferten natürlich die Stücke, die vielleicht mit zu den größten Balladen aller Zeiten zählen: "Up Where We Belong", im Duett mit einer der beiden Sängerinnen - so schön und intensiv, dass einem die Tränen in die Augen schossen! Und dann "You Are So Beautiful" - Joe Cocker nur begleitet vom Klavier, von etwas Bass und später ein paar Spuren Hammond. Manche erstarrten wie hypnotisiert, manche sangen mit. Man kannte sich schließlich aus, auch mit Nummern wie "Unchain My Heart", "Summer In The City" und - frisch aus dem Radio - "Hard Knocks" sowie dem sicher (etwas) überraschender auftauchenden Beatles-Stück "Come Together" in maximal opulenter Fassung ... so etwas wie der heimliche Höhepunkt des Abends. Der ganz offizielle war natürlich "With A Little Help From My Friends", eingeleitet von einem Hammond-Solo, das einen in vorfreudige Erwartung brachte und das der 'regulären' Setlist ein bombastisches und lautstark gefeiertes Finale bescherte. Ein (vorerst) letztes Mal 'dirigierte' Mr. Cocker seine Band per Luftsprung und Punktlandung auf den Schlussakkord. Die Leute sahen es mit Begeisterung, jedes Mal!
Joe Cocker ist kein Mann großer Worte - außer einer knappen Begrüßung, einem »Danke schön!« und der (um so warmherzigeren) Vorstellung der Band beließ er es beim Gesang und verzichtete auf Gerede. Um so größer war der Unterschied zwischen der unspektakulären, bodenständig rüberkommenden Person Joe Cocker und der äußerst spektakulären Wirkung seiner Performance. Eine zum Gruß gehobene Hand reichte zum Abgang. Doch die Zugabe war Ehrensache und bestand mit "She Came In Through The Bathroom Window" und "Cry Me A River" aus gereifter Ware, die wie alles an diesem Abend völlig frisch serviert wurde. Weniger selbstverständlich war wohl, dass es auch eine zweite Zugabe gab: Die Ballade "Thankful", der insgesamt vierte Song von "Hard Knocks", war eine hervorragende Abschiedsnummer und bewies wie alle Live-Interpretationen: Joe Cocker auf der Bühne ist nicht nur Joe Cocker wie auf Platte, nur live, sondern ein unvergleichliches Erlebnis. Das liegt an der Band, die allein schon das Eintrittsgeld wert wäre, aber natürlich auch an dieser phänomenalen, kein bisschen 'leiser' werdenden Stimme, die mit den technischen Mitteln dieser Welt wohl nicht adäquat auf Tonkonserve zu bannen ist. Die Inbrunst, die Leidenschaft, der Soul ... das muss man live erlebt haben.
Der Abend in Saarbrücken hat bewiesen: Joe Cocker ist ein Jahrhundertkünstler, der auch auf der Schwelle zum zweiten Jahrzehnt im neuen Jahrtausend nichts von seiner Einzigartigkeit verloren hat. Wer es nicht selbst erlebt hat, mag mit sich hadern, ob er es glauben soll. Deshalb: Wer die Chance hat, muss zu einem seiner Konzerte gehen ... in der Form wie in der Saarbrücker Saarlandhalle wird es ein Abend sein, den man wohl ein Leben lang nicht vergisst. Und inzwischen weiß ich, dass die legendäre Gestik dieses Mannes nicht von Ungefähr kommt. Das Aneinanderreiben der Fingerspitzen von Mittelfinger und Daumen ist kein Zufall - es entsteht dabei offenbar ein Zauber.
Setlist:
Get On
Feeling' Alright
The Letter
When The Night Comes
Unforgiven
Summer In The City
The Simple Things
Up Where We Belong
You Are So Beautiful
Hard Knocks
Hitchcock Railway
N'oubliez Jamais
Come Together
You Can Leave Your Hat On
Unchain My Heart
With A Little Help From My Friends
Encore 1:
She Came In Through The Bathroom Window
Cry Me A River
Encore 2:
Thankful
Line-up:
Joe Cocker (vocals)
Mike Finnigan (Hammond B3)
Nick Milo (piano, keyboard)
Norbert Fimpel (saxophone, harmonica, accordion, percussion)
Gene Black (guitar)
Oneida James-Rebeccu (bass)
Jack Bruno (drums)
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