Es ist schon ein ausgesprochen 'feierliches' Gefühl, nach weit mehr als einem Jahrzehnt wieder einmal eine nagelneue Langspielplatte in Händen zu halten und erwartungsfroh auszupacken. Und dann gleich so ein Schätzchen - eine 'direct metal mastering'-Doppel-LP in 180 gr-Vinyl, »strictly« limitiert auf 2.000 Exemplare! John Cale & Band "Live Rockpalast" ist meine persönliche Rückkehr zu den großen Tonträgern.
Dieses Déjà-vu-Erlebnis teile ich inzwischen mit vielen Musikfans, die im Lauf der letzten Jahre ihre Plattenspieler wieder hervorgeholt oder sich neue angeschafft haben. Das 'Comeback des Vinyls' wurde ja schon lange propagiert, scheint aber nun wirklich in die Gänge zu kommen (ich weiß die 'Freaks' lächeln jetzt nur müde). So hat mir mein Fachhändler erzählt, dass er Weihnachten fast mehr Schallplatten-Laufwerke als solche für digitale Tonträger verkauft hat. Schon bemerkenswert, oder?
Nun, bei mir waren die zuletzt wenig gespielten LPs die letzten beiden Jahre umbaubedingt auf dem Dachboden gelandet, allerdings beschränkten sich meine Neuerwerbungen an Musik ausschließlich auf CDs und DVDs. Und nun endlich wieder dieses 'Feeling', eine 'richtige Platte' auszupacken, ein großes Cover mit allen liebevollen Details betrachten und die Informationen ohne Lupe lesen zu können. Freunde, das ist doch ganz was anderes, Nostalgie hin oder her!
Ich verdanke den Wiedereinstieg einem neuen deutschen Label, das es seit 1. November 2009 gibt und das ich deshalb auch kurz im Rahmen dieses Reviews vorstelle. MIG - Made In Germany Music GmbH aus Hannover. Dahinter stehen neben dem früheren spv-Gründer Manfred Schütz weitere ehemalige Mitarbeiter des im vergangenen Jahr in Insolvenz gegangenen Unternehmens . Es beschreibt seine Geschäftsphilosophie wie folgt:
»MIG wird sich mit seinen hauseigenen Labels MIG, Fresh Fruit und String Commander auf die hochwertige Auswertung von internationalen Katalogen aber auch auf Neuerscheinungen konzentrieren und diese weltweit vertreiben.Daneben stehen natürlich auch bisher unveröffentlichte Perlen sowie CD- und DVD-Neuerscheinungen aus den Kernbereichen Rock, Krautrock, Blues, Electronica und Jazz auf der Agenda, sowie eine enge Zusammenarbeit mit versierten Partnern. «
Wir freuen uns über diese neue Kollaboration mit einem Label aus unseren Landen und seinen engagierten Mitarbeitern und natürlich auf das, was wir aus der Produktion erwarten dürfen!
Doch nun endlich zu dieser Doppel-LP! John Cale hat seit 1970 rund 30 Solo-Veröffentlichungen in unterschiedlichen Medien auf den Markt gebracht und zählt bei seinen Fans und der Fachpresse zu den hochgeschätzten 'Intellektuellen' der Branche. Das breite Publikum kennt den gebürtigen Waliser jedoch nach wie vor als Mitglied der legendären Velvet Underground, mit denen er die ersten beiden Alben einspielte. Dieser frühe Ruhm lag wie ein Schatten über seiner späteren Karriere, allerdings blieb er dem dunklen Mythos jener Tage auch weitgehend in seiner Kunst treu.
Am 13. Oktober 1984 war er der Abschluss der 14. Rockpalast-Nacht, bei der zuvor Huey Lewis, Level 42 und die Reggae-Band Chalice aufgetreten waren. Nach diesem eher durchwachsenen Programm kam John Cale gegen 3 Uhr auf die Bühne der Grugahalle, was natürlich kein idealer Zeitpunkt für seine Art der Performance war. Ich kann mich einigermaßen an den Auftritt erinnern - war 'schwere Kost', um da noch lang durchzuhalten ...
Umso interessanter, jetzt nach über 25 Jahren, dieses Ereignis noch einmal unter ganz anderen Voraussetzungen Revue passieren lassen zu können. Dazwischen war ich, bis auf einen denkwürdigen Live-Auftritt kurz nach der Wende im südthüringischen Sonneberg, kaum mit seiner Musik in Berührung. Bereits ein Jahr zuvor (am 6.3.1983) gastierte Cale solo beim Rockpalast in der Zeche in Bochum. Vier Tracks, nur mit Klavierbegleitung, ergänzen die Aufnahmen aus Essen und runden das Bild des avantgardistischen Rock-Künstlers jener Tage ab.
In der Grugahalle begleiteten David Young (guitar) David Lichtenstein (drums) und Andy Heermanns (bass), mit denen er auch zuvor im Studio war, den wie immer schwarz gekleideten Frontman mit Sonnenbrille, der selbst Klavier oder Gitarre spielte.
»German Television proudly presents John Cale and Band!« - ok, dann wollen wir mal. "Autobiography" - der Punk schlug erbarmungslos zu und hat wohl erstmal die feierseligen Fans kräftig erschreckt. Und Cale ließ nicht locker und rockte rüde die Halle vorwiegend mit den Songs aus seinem letzten Album "Caribbean Sunset". Mit dem schaurigen, unbegleitet herausgequetschten "Streets of Laredo" endet Seite 1. Platte umdrehen - strange …
Cale & Co liefern einen rauen, extrem emotionalen und expressiven Gig ab. Der Frontman knurrt, kreischt, stöhnt, schreit und gibt das wahre Rock'n'Roll Animal. "Leaving It Up To You" dreht hörbar die Stimmung im Saal und er hat nun wohl nicht nur die Hard Core-Fans auf seiner Seite. Mit "Caribbean Sunset" dürfen die erstmal durchschnaufen, dann geht die wilde Jagd weiter. Und mit "Fear Is A Man's Best Friend" bekommen wir noch den absoluten Paranoia-Cale-Klassiker zum Finale von Side 2.
Hier unterbricht der formatbedingte Wechsel jedoch die Kontinuität zu dem nicht minder irren, zeitlupenartig zerdehnten "Heartbreak Hotel". Paris 1919 eröffnet für eine vibrierende, nervös überdrehte Version von "Waiting For The Man" (der Turkey springt förmlich aus den Boxen). "Mercenaries (Ready For War)" mit schon deutlichem Doors-Touch schließt Page 3 und den offiziellen Konzertteil.
Bei der Zugabe "Pablo Picasso/Love Me Two Times" mit scheppernden Gitarren-Gewittern sind die verbliebenen Leute in der Halle dann wohl endgültig abgedreht. "Close Watch" - Cale solo am Klavier - brachte sie sanft wieder zurück in die Realität. Eine breite Null-Rille trennt den Rockpalast-Gig vom Auftritt in Bochum. Zum Abschluss erleben wir die andere Seite dieses charismatischen Künstlers, der nun in fast greifbarer Intensität sein Publikum in den Bann zieht und auch hier am Ende ausflippt.
Kann sein, dass sich meine Ohren erst wieder an den Vinyl-Ton gewöhnen müssen, mir erscheint der Sound jedoch etwas flach, was wir aber auch von verschiedenen Rockpalast-Mitschnitten auf anderen Medien kennen. Ausgesprochen fett ist jedoch die Aufmachung der ganz in Silber-weiß gehaltenen Doppel-LP, deren Scheiben in nochmals abgefütterten (natürlich schwarzen) Hüllen stecken und bei der schon das Frontfoto auf der dicken Pappe eine Augenweide ist.
Vinyl-Hören ist anders. Man kann es zelebrieren.
John Cale & Band "Live At Rockpalast" erscheint auch als DVD (Veröffentlichung für 26.3.2010 angekündigt).
Tracklist |
Side 1:
01:Autobiography (4:47)
02:Oh La La (2:44)
03:Evidence (3:23)
04:Magazines (3:36)
05:Model Beirut Recital (3:30)
06:Streets Of Laredo (2:33)
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Side 2:
01:Dr. Mudd (3:42)
02:Leaving It Up To You (5:43)
03:Caribbean Sunset (4:39)
04:The Hunt (3:46)
05:Fear Is A Man's Best Friend (3:40)
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Side 3:
01:Heartbreak Hotel (2:32)
02:Paris 1919 (3:49)
03:Waiting For The Man (6:05)
04:Mercenaries (Ready For War) (9:02)
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Side 4:
01:Pablo Picasso/Love Me Two Times (9:04)
02:Close Watch (2:37)
Bonus-Tracks (Bochum, 1983):
01:Buffalo Ballet (3:00)
02:Antarctica Starts Here (2:36)
03:Guts (2:36)
04:Fear Is A Man's Best Friend (3:25)
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Externe Links:
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