Doc Holliday / From The Vault
From The Vault Spielzeit: 57:30
Medium: CD
Label: Phoenix Records, 2011
Stil: Southern Rock

Review vom 19.06.2011


Steve Braun
"From The Vault" - was will uns Doc Holliday damit sagen? 'Vault' hat verschiedene Bedeutungen: gemeint könnte die poetische Form von Himmel sein - es kann aber genauso gut mit Gruft übersetzt werden. Auweia, und das in Verbindung mit der Nachricht, dass dies das letzte Album der wohl besten Southern Rocker der zweiten Stunde, verbunden mit einer Abschiedstour durch Europa, ist. Wollen wir (sicherlich zu Recht) hoffen, dass die dritte Übersetzung passt: "Aus der Schatzkammer".
Es handelt sich also um eine Zusammenstellung aus einigen Klassikern und Outtakes, unveröffentlichtem Material sowie Live-Aufnahmen. Obendrein gibt es "Can't Live Without You" als brandneuen und wohl letzten Doc Holliday-Song zum Abschluss - zum 'Dessert' also. Die insgeheim gehegte Hoffnung, es könne sich um ein 'richtiges' Album, also komplett neue Songs, handeln, hat sich leider nicht bestätigt. Wie auch, ist Bruce Brookshire nun hauptberuflich als Pastor der Grace Fellowship Church in Warner Robins, Georgia im Auftrag des Herrn unterwegs. Was für ein Gewinn für die dort lebenden (evangelikalen) Christen - was für ein Verlust für die Southern Rockszene.
Da dies das (wahrscheinlich) letzte Review zu einer neuen Doc Holliday-Scheibe ist, wäre ein kurzer Abriss der dreißigjährigen Karriere ein gelungener Einstieg, zumal "From The Vault" diese Jahre reflektiert.
Benannt nach dem legendären Westernhelden, der sich auf beiden Seiten des Gesetzes herumgetrieben haben soll, startete Doc Holliday 1981 mitten in die Agonie des Southern Rocks hinein. Obwohl kein Verantwortlicher in den Chefetagen der Plattenfirmen damit rechnete, mit diesem Genre noch einen 'Blumenpott' gewinnen zu können, stieg ihr Debütalbum gleichen Namens bis auf #30 der US-Billboards *. Dieses Kunststück gelang ihnen natürlich im folgenden nicht mehr - zu fest hatten Metal, Glam und Stadionrock die Charts seinerzeit im Griff. Nichtsdestotrotz legte man mit "Rides Again" (1982) sowie vor allem der Live-Scheibe Song For The Outlaw (1989) und "Legacy" (1996) drei weitere Klassiker des Southern Rocks vor. Doc Hollidays Markenzeichen waren rauchige Vocals mit breitestem Southern Drawl, kernige Riffs, griffige Hooklines und das genretypische hemdsärmelige Auftreten. Eine Band zum Anfassen eben...
Natürlich darf eine Schwächeperiode, die die Alben "Modern Medicine" (1983) und "Danger Zone" (1986) umfasste, nicht verschwiegen werden, aber der Grund hierfür scheint vor allem auf den Bossen der Plattenfirmen zu lasten. Zu stark war seinerzeit der Druck, auf Hitparadenplatzierungen schielen zu müssen. In den Neunzigern wurde die Musik dann wieder sehr viel besser und mit dem starken A Better Road legte man vor zehn Jahren das letzte Studioalbum mit eigenem Material vor.
Obwohl man sich in den letzten Jahren sehr rar machte, waren Doc Holliday in Europa stets erfolgreicher als in den USA - vor allem in Deutschland verfügt(e) man über eine leidenschaftliche Fanbasis. Und gerade hierzulande ist man über diesen Abschied von der Southern Rockbühne nach dreißig gloreichen Jahren besonders traurig...
"From The Vault" startet mit dem Sound einer fett-wuchtigen Harley und "Last Ride", einem der besten Songs, die Doc Holliday jemals aufgenommen haben - einem echten Klassiker! Auf "Don't Go Talking" quietschen die Double Leads auf herzerfrischende Weise. Dieser Song verfügt über alle 'Trademarks', die den Southern Rock ausmachen. "Drowning In The Sea Of Love" stammt aus dem Jahr 1981 wurde aber dann doch nicht auf das Debütalbum gepackt - ein sehr griffiger Song, der sicherlich auf diese gute Scheibe 'gepasst' hätte! Mit "Automatic Girl" folgt einer der besseren Titel des insgesamt eher als verunglückt zu bezeichnenden "Danger Zone"-Albums. Dass "All The Right Moves" zu Recht nicht auf dem vorgenannten Album erschienen ist, hört man sofort - dieser dämliche Mitgröl-Refrain hätte jeder der damals angesagten Stadionrockbands bestens zu Gesicht gestanden.
Es folgen zwei Live-Aufnahmen aus Finnland, allerdings wird leider nicht genannt (mir liegt kein Booklet vor!), wann und wo sie entstanden. Zunächst wird Skynyrds "Sweet Home Alabama" sehr ansprechend interpretiert, das dann direkt in das 'glühende' Johnny B. Goode übergeht - ergo handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen Zugabenblock.
Mit "Son Of The Morning Star" folgt dann der Titelsong der recht ordentlichen gleichnamigen CD von 1993. Hier allerdings in einer 1996 umarrangierten Version, die man als überaus erfreulich bezeichnen kann. Klasse! Zwar gibt es (mal wieder) ein "Lonesome Guitar"-Remake und man ist beim Lesen der Tracklist schon gewillt, die Stirn zu runzeln. Allerdings bietet dieses akustische Arrangement von 1986 endlich mal 'was Neues.
Die olle The Lovin' Spoonful-Nummer von 1965, "Good Time Music", wurde für das gleichnamige Album von 2003 aufgenommen - für "From The Vault" wurde ein alternativer Mix ausgewählt. Das vom Bluegrass inspirierte Country-Traditional "Glendale Train" kannte man noch nicht von Doc Holliday. Die Aufnahme entstammt einer Radiosession - wann und wo kann ich auch hier wegen des fehlenden Booklets nicht erläutern.
Als Abschiedsgeschenk gibt's den brandneuen Song "Can't Live Without You" als Sahnehäubchen dazu. Der lässig-abrockende Southern Boogie belegt aufs Neue die These: Der beste Rock wurde und wird südlich der Mason-Dixon-Line gemacht.
Fazit: Natürlich ist's ein wenig enttäuschend, dass "From The Vault" nicht mehr neues Material enthält. Diese Tatsache wird allerdings vom Abschiedsschmerz übertüncht und wehmütig reibt man sich während des Hörens verstohlen ein Träne aus dem Augenwinkel...
* Vgl. Michael Knippschild, "Southern Rock - Bands und Fakten", 2002, S. 69
Line-up:
Bruce Brookshire (lead vocals, guitars)
John Turner Samuelsen (guitars, vocals)
Eddie Stone (keyboards, vocals)
Daniel 'Bud' Ford (bass)
Danny Lastinger (drums)
Tracklist
01:Last Ride [3:38]
(From "Rides Again", 1982)
02:Don't Go Talking [3:49]
(From "Rides Again", 1982)
03:Drowning In The Sea Of Love [3:49]
(Outtake from "Doc Holliday", 1981)
04:Automatic Girl [2:59]
(From "Danger Zone", 1986)
05:All The Right Moves [4:15]
(Outtake from "Danger Zone", 1986)
06:Sweet Home Alabama [4:41]
(Live In Finland, ??)
07:Johnny B. Goode [3:44]
(Live In Finland, ??)
08:Son Of The Morning Star [4:57]
(New Arrangement Recorded In 1996)
09:Lonesome Guitar [9:25]
(New Arrangement Recorded In 1986)
10:Good Time Music [5:12]
(Alternate Mix, 2003)
11:Glendale Train [5:09]
(Recorded Live For 92.7 Radio)
12:Can't Live Without You [5:40]
Externe Links: