Brauchen wir eigentlich noch weitere Beweise dafür, dass Rockmusik und Klassik bestens miteinander können? Nun ja - wenn nicht geistlos mit Klassik-Plagiaten herumgeflickschustert und auf Teufel-komm-raus mit Bläsern und Streichern fehlende Kreativität übertüncht wird... dann nehmen wir gerne mehr davon - wie zum Beispiel das Debütwerk von Dorian Opera! Schon der Name der 2007 in Karlsruhe zusammengeschweißten Prog-Metaller soll laut Band ein Zeichen setzen. Denn in der dorischen Tonleiter ist ein Großteil der Rockmusik zu Hause; und 'Oper', na ja - kennt man, muss man aber nicht lieben, um Dorian Opera gut zu finden. Also nicht besorgt sein, es gibt keinen Gastauftritt von Paul Potts!
Die Oper steht hier eher symbolisch für große musikalische Epochen, die wir heute so oft kurzerhand unter 'Klassischer Musik' subsumieren und die freilich alles andere als altmodisch sind. So hat Keyboarder Andrew Roussak gar eine klassische Klavierausbildung strenger russischer Schule durchgestanden (siehe auch Review zu Andrew Roussak - No Trespassing), und Sänger und Bassist Joe Eisenburger hat, ganz ohne elektrische Verstärkung, ein 'klassisches' (ach schon wieder, verflixt!) Kontrabass-Studium im Sack. Alle Metal-Bassisten, die das auch vorzuweisen haben, jetzt bitte Finger hoch... siehste! Die Jungs wissen also, von was sie da 'klassischerweise' reden. Und doch klingt das alles viel, viel hochtrabender als das hörbare Ergebnis. Das ist nämlich zunächst einmal vor allem eines: Progressive Metal!
Das Album beginnt Opern-gerecht mit einer "Ouverture", und die steckt voller Prog Metal, wie er 'klassischer' nicht sein könnte: Langer Aufbau, energieintensive Akkorde, vieldimensionale Rhythmusarbeit. Jam-artig wird um ein wiederkehrendes Thema herumgespielt; und so macht man sich schnell Freunde im Kreise verwöhnter Prog-Hörer, die es schwermetallisch mögen, aber doch so manchen deutlichen Einfluss des Symphonic Rocks der alten Schule nicht verächten. Insbesondere Keyboarder Andrew Roussak sorgt mit seinem beachtlichen Klang-Repertoire dafür, dass man innerhalb weniger Takte aus jeder Schublade wieder rauskommt, von mysteriösen Soundscapes über hardrockige Orgeln bis hin zu allen möglichen spacigen Frickelsounds aus mehreren Jahrzehnten rockiger Keyboardkunst.
Nach ersten recht komplexen Fingerübungen der gehobenen Klasse folgen eher straight ausgerichtete Stücke mit Gesang. Nummern wie "Sacrifice", "Dead Or Alive" oder "One Of These Days" kommen teils mit ordentlich Karacho aus den Boxen. So mancher Refrain wird einer recht rohen Doublebass-Intensivkur unterzogen. Dazu gehören an anderer Stelle manche süßlich-zarte Momente der Ruhe, doch insgesamt wird schon sehr hart gerockt - zuweilen etwas zu kantig - wenngleich doch mit Bedacht auf gute Melodien.
Das Energielevel weit oben halten auch etliche mit Präzision und Emotion ausgeführte Frickel-Soli - manchmal nimmt das Keyboard auch noch die Verfolgung auf - die nahtlos in vielschichtige Prog-Exerzizien übergehen, so dass man zuweilen meinen könnte, die Dream Theater-Instrumentalfraktion jamme sich ein paar Songideen herbei. Wunderbar 'verproggt', rhapsodisch angehaucht und voller sprunghafter Sperenzchen kommt beispielsweise ein fast dreiminütiger Instrumentalteil in "Tell Me Your Lies" daher - würde sich teilweise in einen Nachfolger von "Erotomania" einpassen. Nicht zu verachten ist auch der Titeltrack "No Secrets" - ein weiteres sehr lebendiges Instrumentalstück, das mich ein wenig an Sun Caged erinnert, mit einprägsamen, doch keineswegs einfältigen Hooklines.
Wenn ich da bei den Nicht-Instrumentalstücken nur weniger Probleme mit dem Gesang von Bassist Joe Eisenburger hätte... bei all den starken Referenzen im Prog-Genre klingen mir die Vocals zu grobschlächtig, haben zu wenig Feinheit und Vielfalt. Das gilt jedoch nicht für den mehrstimmigen Satzgesang von Dorian Opera. Der putzt so manchen Refrain heraus, ganz vorneweg das edel anmutende "Little Lies", das komplett im Chor gesungen wird und dadurch eine ganz spezielle Note erhält, einen Hauch von Symphony X, dank epischer Schlenker und in ihrer Einfachheit wunderbar funktionierenden Heavy Metal-Riffs auch einen Touch von Savatage.
Mein persönlicher Glanzpunkt des Albums ist "Truly Yours", das schon äußerst fesselnd von einem geheimnisvoll klingenden Mix aus dramatischer Lead-Gitarre und knisternd spannenden Synthesizer-Klängen sowie halsbrecherischen Läufen eröffnet wird. Was die Jungs dann aber ab dem ersten Chorus produzieren, ist schlichtweg genial: Da wird innerhalb von halben Takten derart krass das Tempo geändert, dass man den akustischen Erstkontakt im Sitzen vollziehen sollte - Schwindelgefahr!
Nur, wo bleibt jetzt die große Klassik-Schau? Nun, dazu braucht es nicht immer die berühmte Holzhammer-Methode, bei der am laufenden Band die gängigsten Supermarktberieselungs-Mainstream-Mozartmusikfetzen zitiert werden. Auch ohne zu klauen lehnt sich Andrew Roussak beim Griff ins Elfenbein wie bei den verspielten Keyboard-Passagen von "Tell Me Your Lies" stilistisch wiederholt an große Meister vergangener Jahrhunderte an. Beim äußerst melodischen "She" stechen dann auch glasklare Barock-Akkordabfolgen hervor - und, ob sie es so beabsichtigt haben, oder nicht, das dortige Gitarrensolo erinnert mich doch verstärkt an die Melodieführung einer klassischen Geige - ein Hauch von Paganini?!
Alles andere als eine 'normale' Ballade ist das akustische "Fly With Me" mit klassischer Gitarrenspielweise und unterlegten Flöten- und Cembaloklängen. Das ist schon wieder ein bisschen dick aufgetragen und macht das Stück eher zu einem verstaubt wirkenden Fremdkörper. Da ist mir doch der 'Rausschmeißer' viel lieber, nämlich die moderne Adaption des Presto-Satzes aus dem Sommer von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" in einer Heavy-Version - mitreißend!
Ihr erster Akt macht die dorische Oper wohl noch zu keinem 'Klassiker", dazu hat "No Secrets" noch zu viele Ecken und Kanten. Dank so mancher genialer Einfälle und einem für progressive Feinkost so wichtigen hohen musikalischen IQ hinterlassen Dorian Opera aber schon mit ihrem Debüt einen bleibenden Eindruck. Künftige Meisterwerke nicht ausgeschlossen!
Line-up:
Joe Eisenburger (lead and backing vocals, bass)
Oliver Weislogel (electric and acoustic guitar)
Andrew Roussak (keyboard, string and choir arrangements, backing vocals)
Harry Reischmann (drums)
Michael Bretter (guitar solo - #4)
Tracklist |
01:Ouverture
02:Sacrifice
03:Tell Me Your Lies
04:Dead Or Alive
05:No Secrets
06:Little Lies
07:Fly With Me
08:One Of These Days
09:Truly Yours
10:She
11:L'Estate - Presto
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