Dream Theater Mark ... ach was, wir wollen mal gar nicht die Line-up-Konstellationen durchzählen. Fakt ist: Die weltweite Tour zum 2012er-Album "A Dramatic Turn Of Events" ('A Dramatic Tour Of Events') ist die erste mit Neu-Drummer Mike Mangini - und allein das verleiht einer neuerlichen Live-Konserve doch schon ihre Existenzberechtigung. Der Kontinentalwechsel nach Südamerika von Buenos Aires macht die Chose ebenfalls spannend - wenngleich die Bestuhlungssituation in der Luna Park-Halle auch gleich einen Minuspunkt mit sich bringt: Da ist einfach zu wenig los vor der Bühne, wo die Fans fein säuberlich in Reih' und Glied vor ihren Sitzen stehen (müssen). Okay, ist halt so. Trotzdem sind die Südamerikaner erwartungsgemäßig heißblütig und geben trotzdem alles. Da wird sogar gehüpft - das ist nun nicht alltäglich im Prog-Bereich.
»Buenos Aireees!« - Auch Frontmann James LaBrie ist gut gelaunt und zeigt schon beim Opener "Bridges In The Sky", dass er an diesem Abend gut bei Stimme ist. Anfangs schreit er noch ein wenig zu sehr. Aber es wird nach ein paar Songs besser - ach was, richtig stark! Klasse austariert zwischen feiner Technik und der nötigen Aggressivität ist sein Gesang spätestens bei "Lost Not Forgotten". Schon wieder ein Song vom (seinerzeit noch) aktuellen Album. Der Schwerpunkt der Setlist ist unverkennbar. Sage und schreibe sieben Songs von "A Dramatic Turn Of Events" stehen auf dem Plan. Und die restlichen zwei finden sich im 'Zugabenteil' der Doppel-DVD, nämlich beim Bonusmaterial auf Scheibe Nummer zwei.
Das ist kein Zufall. Für die Band war die Neubesetzung des Schlagzeughockers der gefühlte Start in die zweite Hälfte der Karriere und ein emotionaler Befreiungsschlag. Unter - pardon, mit Mike Portnoy hatte es zuletzt nicht nur in der akutesten Trennungsphase geknistert. Es ist fast wie beim Abgesang auf die deutsche Fuballnationalmannschaft, nachdem 'Capitano' Michael Ballack verletzungsbedingt für die WM 2010 passen musste. Ohne den Leader spielten alle wie befreit. Und Sport und Musik sind einander gar nicht so fremd. Wie auch schon viel früher auf der Welttournee zu bemerken war, spielen Dream Theater beim vorliegenden Konzertmitschnitt mit einem nie gekannten Esprit!
Ich beziehe das gar nicht aufs Technische - da sind und bleiben Dream Theater eine Klasse für sich. Aber plötzlich passiert da viel Zwischenmenschliches. Die traumhaften Theatermacher gucken einander in die Augen, scherzen rum - und von hinten kommt keine kritische Kontrolle, sondern das Dauergrinsen Mike Manginis. Was für ein knuddliger Sympathikus! Da höre ich gern drüber hinweg, dass mir beispielsweise das markante Schlagzeug von "6:00" in seiner Version zu wenig groovt und zu 'trocken' daherkommt. Dafür bringt er auch eigene Ideen sein, wenn er zum Beispiel mit seinen sieben Toms die Exzesse der Kollegen Rudess und Petrucci nicht nur rhythmisch, sondern auch melodisch garniert.
Schade ist bloß, dass dieser Mike Mangini die Chance nicht wirklich nutzt, zu zeigen, dass er ein viel besserer Techniker ist als sein Vorgänger (der wiederum in Sachen Feeling leicht die Nase vorn hatte). Er spielt zu viel Erwartbares ... freilich auf Weltklasseniveau. Auf diesem Niveau darf man den Poser raushängen lassen - das tut er mit seinem Drumset in einer Größe wie anderer Leute Wohnzimmer. Und er ist nicht allein ... Jordan Rudess läuft schon beim ersten Song mit seiner 'Keytar', die so gefährlich aussieht wie ein klingonisches Bat'leth, quer über die Bühne. Und John Petrucci trägt seine T-Shirts muskeleng; und die Mähne flattert im Gegenwind eines versteckten Ventilators.
Nur John Myung, der will nur spielen. Doch selbst bei ihm gibt es Momente, in denen er - Petrucci direkt gegenüberstehend - nach gelungenen Parallelläufen weit die Augen aufreißt. Und wenn der Dream Theater-Basser Regungen zeigt, die über göttliche Fingerbewegungen hinausgehen, dann will das was heißen. Ja, die haben wahnsinnigen Spaß! Der Gipfel der Lockerheit sind James LaBries sehr persönliche und ausführliche Worte ans Publikum über seine Kollegen. Auch nach 14 Jahren lausche er jedes Mal gebannt den Soli von Jordan Rudess, sie seien immer improvisiert. Und bei John Petruccis Gitarrenspiel müssten selbst Männer weinen. LaBrie macht keine Witze, er meint das ernst - das ist ungeheuer sympathisch!
... und natürlich hat der Mann Recht. Rudess' (kurzes) Solo im Klavierklang ist ganz wunderbar. Und bei Petruccis Alleingang deutet sich zwar schnell an, dass wir uns auf "The Spirit Carries On" zubewegen, doch er zaubert etwas Episches daraus, bei dem die Zeit stillzustehen scheint. Aus dem Solo wird ein Triumph - eines der Highlights der Show! Bemerkenswert sind auch die akustische 'Ruhephase' aus "The Silent Man" und "Beneath The Surface" (inklusive Streichquartett), das überwältigend energische "Six Degrees ..."-Programm aus "War Inside My Head" und "The Test That Stumped Them All", das magische "Surrounded" mit brillanter Gesangsleistung sowie die Zugabe "Metropolis Pt. 1" mit einigen Variationen in den hinteren Instrumentalpassagen.
Zwanzig Tracks - das ist gigantisch. Sechs mehr gibt es als Bonus, darunter mit "Wait For Sleep" und "Far From Heaven" zwei weitere Stücke mit Streichquartett sowie das mächtig gefeierte "Pull Me Under". Was die Band nun wirklich an welchem Abend gespielt hat? Gute Frage. Das Material erschließt sich aus zwei Gigs an aufeinander folgenden Abenden an gleicher Stelle. Und da haben die Jungs peinlich genau auf die Details geachtet und offenbar sogar die verschwitzten Klamotten frisch gewaschen und schnell gebügelt. Und vorn auf Manginis Drum-Podest liegt unangetastet ... ein roter BH? Nein, es sind die Sachen des Einrad fahrenden Typen vom Plattencover: roter Hut, rote Hosenträger, weiße Handschuhe.
"Live At Luna Park" ist ein sehens- und hörenswertes Zeitdokument - Ein Must-have für Fans der Band, aber sicherlich nicht ihre beste DVD. 16 Kameras sind gut und schön, im Endprodukt aber oft zu wuselig zusammengeschnitten. Schwer nachzuvollziehen ist auch die 'Bühnenpopulation'. Nachdem ich den Roadie, der im Schneidersitz hinter dem Schlagzeug hockt, so 15 bis 20 Mal gesehen habe, kenne ich ihn ja schon fast persönlich. Und warum man bei so vielen Bildern beispielsweise genau auf jenes umschaltet, auf dem gerade ein Kameramann die wichtigste Rolle spielt ... gute Frage. Einmal zähle ich drei 'Fremde' gleichzeitig im Bild, Rekord.
Sei's drum - diese Schwächen am Rande stören nicht wirklich schlimm, zumal sich die inhaltliche Stärke des Showmitschnitts im Bonusteil fortsetzt. Der Portnoy-Split kommt noch einmal zur Sprache. Und wir erleben Band und Neumitglied Mangini im sehr emotionalen Moment der Entscheidung. Vor dem Gig in Buenos Aires sind wir mit den Jungs im Restaurant. Auf manchem Teller befindet sich mindestens ein halbes Angus-Rind - in LaBries Weinglas Wasser. Wie vorbildlich. Jordan Rudess, offenbar ein Mann mit Menschenkenntnis, hat was vorbereitet: Er erklärt uns das neue Verb 'to mangini'. Unbedingt sehenswert! Jesses, da haben welche einander gesucht und gefunden ...
Line-up:
James LaBrie (vocals)
John Petrucci (guitar)
Jordan Rudess (keyboards)
John Myung (bass)
Mike Mangini (drums)
String quartet:
Oleg Pishenin (1st violin)
Serdar Geldymuradov (2nd violin)
Joelle Pardaens (viola)
Néstor Pérez Tedesco (violoncello)
Tracklist |
DVD 1:
01:Bridges In The Sky
02:6:00
03:The Dark Eternal Night
04:This Is The Life
05:The Root Of All Evil
06:Lost Not Forgotten
07:Drum Solo
08:A Fortune In Lies
09:The Silent Man
10:Beneath the Surface
11:Outcry
12:Piano Solo
13:Surrounded
14:On The Backs Of Angels
15:War Inside My Head
16:The Test That Stumped Them All
17:Guitar Solo
18:The Spirit Carries On
19:Breaking All Illusions
20:Metropolis Pt. 1
|
DVD 2:
Bonus Tracks:
01:These Walls
02:Build Me Up, Break Me Down
03:Caught In A Web
04:Wait For Sleep
05:Far From Heaven
06:Pull Me Under
Bonus Features:
Documentary
Trailer
Behind The Scenes
Cartoon Intro
|
|
Externe Links:
|