Electric Orange / Morbus
Morbus Spielzeit: 77:41
Medium: CD
Label: sulatron-records, 2007
Stil: Psychedelic/Krautrock/Space

Review vom 20.09.2007


Ulli Heiser
»... doch damit nicht genug, vor dieser Wiederveröffentlichung steht im Sommer ein brandneues Album auf dem Plan. Freut euch also, ich bin schon ganz kribbelig.«
So endete mein Text zu Platte, meiner ersten Begegnung mit der Aachener Psychokrautband Electric Orange. Nun liegt mir "Morbus" vor, ebenfalls über Dave Schmidts (aka Sula Bassana) sulatron-records veröffentlicht und von Klang-Guru EROC gemastert. Optimale Voraussetzungen also.
Space, Psychedelic, Trance, Kraut sind die Zutaten und die werden ganz fein und wohl dosiert miteinander gemischt und mit einer durch nichts aufzuhaltenen Energie durch das Album 'gerollt'. Gleich der Opener "Einwahn" zeigt, dass es nicht viel braucht, um, einer Lokomotive gleich, durch die acht Minuten zu stampfen. Drums & Percussion legen die Gleise, über die die Orgel ihre Runden zieht. Es erinnert mich an einen Indianertanz, der dazu dient, dass sich die um das Feuer Hüpfenden, einer anderen Ebene nähern.
"Morbus" bedeutet Krankheit, aber ich interpretiere den Albumnamen so, dass die Scheibe eher dazu dienen soll, den Hörer die Alltagswehwechen vergessen zu lassen. Ähnlich Yatha Sidhra, ist "Morbus" absolut meditationstauglich, wenn man Meditation nicht unbedingt mit sich nicht bewegen gleichsetzt, denn die Musik von Electric Orange animiert zum Tanzen, zum sich bewegen und es den erwähnten Indianern gleich zu tun. Da Psychedelic-Freaks in der Regel altersmäßig doch schon etwas fortgeschritten sind (zumindest die mir bekannten), möchte ich, was das Tanzen angeht, Entwarnung geben: Man kann auch lecker im weichen Sessel zappeln und mit der Musik eins werden.
Verfremdete und auch gesprochene Texte geben den Songs etwas Spannendes und wenn der alte Kanon "Frère Jacques" bzw. "Bruder Jakob" mit anderen Lyrics zu "Rote Flocken" wird, entbehrt das nicht einer gewissen Genialität. Eine verzerrte, überirdische Gitarre zieht dazu ihre dunklen Spuren. Das muss auch live ein besonderes Erlebnis sein, was unser Tom auch in seinem Bericht des Herzberg-Konzertes der Band zum Ausruck brachte.
Wie Bandgründer Dirk Jan Müller seine Tasten zum Einsatz bringt, ist schon etwas ganz Besonderes. Es hört sich nach Hammond an und die Töne wabern schwer durch die Luft, sägend legt sich die Gitarre in den dichten Sound, schneidet Fetzen heraus und in den Lücken tauchen Stimmen auf, wummert der Bass und allerlei Elektronisches sendet Signale.
Schwer und düster der "Errorman" auf der einen, fast beswingt das "Flohfunknest" auf der anderen Seite. Langeweile kommt zu keiner Minute auf und wenn stilistisch doch eine enorme Bandbeite aufgefahren wird, liegt über dem gesamten Werk immer ein psychedelischer Mantel. Da hört man jemanden die Zähne putzen oder ein Bier einschenken und trotzdem weiß man immer, dass man Musik hört und wartet gespannt, was als nächstes an die Ohren dringt.
"Traumama": Trau Mama, Trau Mama, Trauma Mama - herrlich, wie man sich seine eigene Gedanken zum Titel machen kann. Herrlich auch die weiblichen Stimmen in dieser Nummer, die, zu einem forcierten und treibenden Rhythmus, traurig und schaurig-schön, sirenenhaft in eine imaginäre, sternenklare Nacht schallen.
Es ist schwer bis unmöglich, einen Track besonders herauszuheben, denn obwohl es zwölf davon auf der angenehm gefüllten CD gibt, sollte man die Scheibe unbedingt als Ganzes genießen. Dabei beinhaltet z.B. "Wald" genug Material und Ideen in seinen zehn Minuten, um anderen Bands Inspiration für einen kompletten Silberling an die Hand zu geben. "Reaching" plätschert gemütlich vor sich hin, baut harmonische Strukturen auf, während "Schöhl" 'hart' und mit leichter Santana-Percussion und latentem Hintergrundbass ganz subtil nach Vorne 'prescht'.
"Sarau" beendet ein tolles Album nach fast achtzig Minuten mit Orgelgrollen zu einer südamerikanisch klingenen Flöte und stoischem Grundrhythmus im ersten Teil. Gegen Mitte klopft sich die gewohnt souveräne Percussion ins Geschehen und lässt uns nochmal richtig genüsslich zappeln.
Frische Orangen gibt es in einigen Wochen wieder beim Händler des Vertrauens zu kaufen. Die 'elektrische Orange' könnt ihr direkt beim Label schon heute bestellen.
"Morbus" ist keine Krankheit, sondern Medizin für die Seele und ist rezeptfrei bitte ins heimische Plattenregal zu stellen.
Line-up:
Dirk Jan Müller (Orgel, Synthesizer, Flügel, Mellotron, Samples)
Dirk Bittner (Gitarre, Stimme, Percussion, Harmonium, Samples)
Tom Rückwald (Bass, Kontrabass)
Josef Ahns (Gitarren, Flöten)
Silvio Franolic (Schlagzeug, Percussion)

Gaststimmen:
Sunja, Claudia, Paul & Lola
Tracklist
01:Einwahn (7:51)
02:Rote Flocken (5:02)
03:Span 5 (7:55)
04:Morbus (5:53)
05:Errorman (8:10)
06:Flohfunknest (3:31)
07:Traumama (4:56)
08:Krautschock (7:01)
09:Wald (10:17)
10:Reaching (4:26)
11:Schöhl 2 (4:18)
12:Sarau (8:32)
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