Klar, das Ganze ist ein riesiger Anachronismus. Seit Jahren schon. Irgendwo im hessischen Nirgendwo findet die große Zusammenkunft statt. Tausende von Hippies aus Deutschland, Europa, der ganzen Welt feiern zusammen die Musik, den Frieden und vor allem die guten, alten Zeiten. Das konnte sich dieses Jahr natürlich auch die RockTimes nicht entgehen lassen.
Volle 4 Tage waren für das bunteste aller Festivals angesetzt. Jeder Tag in der Zeit vom 14.07. bis zum 17.07. sollte mindestens einen musikalischen Höhepunkt haben. Wie so oft, waren derer natürlich in Wahrheit mehrere. Die ersten Unerschrockenen stießen bereits am Mittwoch, den 13.07. in die uncharakteristische hessische Durchschnittslandschaft vor. Urbare Ackerflächen winden sich dort sanft um bewaldete Hügel. Solche Anblicke gibt es fast überall in Deutschland zu bewundern, außer an den Küsten natürlich, oder im Hochgebirge, oder am Niederrhein oder in weiten Teilen Niedersachsens und und und. Für unwillkommene Abwechselung sorgt zwischen Alsfeld und Breitenbach allerdings der charakteristische Lastverkehr, der auch in der Nacht seiner wachstumsfördernden Aufgabe gewissenhaft nachkommt. Also Wanderer, vergiss bloss deine Ohrenstöpsel nicht.
Unser Team machte sich am Donnerstag auf den Weg. Um während des Festivals nicht allzu sehr aufzufallen, übten wir während der gesamten Anfahrt immer wieder die authentische Darbietung des perfekt synchronisierten und beidhändig ausgeführten Peacezeichens bei Intonierung des mit überzeugender lethargischer Note genuschelten allgemeinen Hippiegrußes 'Peace, Mann'. Zugegebener Maßen drifteten unsere Hände anfangs des Öfteren in den besser beherrschten Vulkaniergruß ab (Friede und ein langes Leben). Aber Übung macht nun mal den Meister.
Die Freunde von Rock im Spreewald hatten das Basislager bereits aufgeschlagen. Auf dem Gelände entstand in Windeseile und nur gesteuert durch dynamische Selbstorganisationsprozesse die Zeltstadt 'Freakcity'. Was auch zu Fehlern in der Struktur führte. Einige Verwirrte schlugen ihre Zelte auf den als Wege deklarierten Wiesenteilen auf und hätten so schon im Ansatz Rettungsfahrten von Krankenwagen und Feuerwehr effektiv unmöglich gemacht. Aber die Palastwache checkte das Problem bereits am übernächsten Tag.
Schon am Donnerstag brandete eine in ihrer Größe nicht erwartete Anreisewelle durchs Hessenland und es wurde voller und voller. Bald ertönten auch die ersten Klänge neumodischer Musik aus dem Zeltlabyrinth. "The Gates Of Delirium" von Yes beeindruckte uns besonders, so gleich zu Anfang eines Hippiemeetings. Wenn da mal nicht hervorragend antizipiert wurde. Diesen Song zu diesem Zeitpunkt zu spielen glänzte wahrhaft mit präkognitiver Brillanz.
Trotz der fehlenden Randbebauung rund ums Gelände war der Handyempfang ausgezeichnet. Was nicht auf unumstrittene Begeisterung stieß. In der Festivalzeitschrift bat der Autor darum, die Akkus aus den Funktelefonen zu entfernen. Angeblich würde der durch die Mikrowellenstrahlung verursachte Elektrosmog die durch die Kraft der Musik generierten 'inneren Bilder' und Schwingungen bei den Teilnehmern stören. Nein, mein Lieber, von deinen Drogen wollen wir ganz sicher nichts. Man kann nur froh sein, dass sich sein Zorn nicht auf andere reichlich sprudelnde Quellen elektromagnetischer Felder richtete. Auf Verstärker etwa oder der Bühnenbeleuchtung. Oder gar auf die Sonne!
Auf der Bühne traten die ersten Bands an. Unser Höhepunkt an diesem Donnerstag war der Gig des italienischen Bluesrock Trios W.I.N.D.. Sie absolvierten ihren Auftritt souverän und voller Spielfreude. Leider musste Gitarrist Jimi wegen der Absperrung auf seinen bei den Damen so beliebten Ausflug ins Publikum verzichten. Selbst der garstige Bühnensprecher konnte die heftigst geforderte Zugabe nicht verhindern.
Apropos Bühnensprecher: Der hatte schon an diesem Abend reichlich Arbeit. Ein kleines Mädchen hatte seine Eltern verloren, irgendein Typ seinen Reisepass und ein Ruhrpotthippie seinen Kumpel aus Krefeld. Alles war am Bühnenrand abzuholen.
Das Volk war in Feierlaune. Die Nacht war milde und der Wind duftete süßlich. Ein paar ganz Gewitzte boten übrigens eine besondere Dienstleistung an. Sie stellten den 'Astrologischen Notdienst' sicher. Was das war und ob ein total Verzweifelter mitten in der Nacht tatsächlich sein Horoskop abforderte, konnten wir leider nicht recherchieren. Weil einige aus dem Team verwöhnte Weichteile sind, zogen sie sich alsbald in ihre Pension zurück, in der es vor hessischem Charme und überwältigender Freundlichkeit nur so triefte. Aber eine Dusche gab es da.
Schon am Morgen vernahmen wir beim Frühstück seltsame Laute. Wir tippten auf finnisch, es war aber schwedisch. Ich lehnte mich zufrieden zurück, bis mir klar wurde, dass finnisch und schwedisch in etwa soviel gemeinsam haben wie deutsch und russisch. Unsere Zimmernachbarn waren einer der Macher von Artrock und dessen charmante Begleiterin. Sie empfahlen uns für diesen Freitag Abend als musikalischen Leckerbissen die Progressive Rock Band Anekdoten. Sie sollten Recht behalten. Die Ankedoten Show war treibend und intensiv. Sie wühlten sich durch ihr Set und kamen gut beim Publikum an.
Kennt jemand die 'Duplizität der Ereignisse' ? Auch am Mittag vernahmen wir am Tresen seltsame Laute - fremd und doch irgendwie vertraut klangen sie. Ich tippe auf Schweizerdeutsch, aber auf Nachfrage stellte sich heraus, dass diese Besucher aus Belgien kamen. Ich konkretisierte meinen Tipp auf walonisch, der Proger und seine Grungefreundin sprachen aber flamisch. Da kennt sich noch jemand aus!
Insgesamt gesehen war das Publikum mittlerweile gut gemischt. Bei der Mehrzahl handelte es sich um Hippies. So in ihren bunten Outfits, samt langen, manchmal verfilzten Haaren wirkten sie eigentümlich uniformiert. Sie waren jedoch nicht uninformiert. Dafür sorgten die Abordnungen von 'PDS', 'Attac' und 'Greenpeace' samt ihren Ständen. Wobei die Greenpeaceleutchen überraschenderweise von wohl allen Organisationen bei dem Festival am nötigsten waren. Die Veranstalter sahen sich nämlich genötigt, rigorose Vorkehrungen gegen eine vermeintliche Müllflutwelle zu treffen. Jeder dieser abscheulicher Plastikbecher kostete 1 Euro Pfand, am Eingang wurden verschiedene Müllbeutel verteilt und den Waldrand verzierten Schilder, auf denen die Besucher gebeten wurden, ihre Notdurft nicht zwischen den Bäumen zu verrichten. Es seien genug saubere Toiletten vorhanden. Dieses Aussage war ebenso übertrieben wie die Bitte an die Besucher vergebens. Schöne, heile Welt?
Passionierten T-Shirt Lesern wurde nicht sonderlich viel Lektüre geboten. Ein Anarchist ging mit der Aufschrift: 'Ich hasse Musik' Reklame. An Bandshirts war wohl am meisten das ultracoole und schon legendäre Motörhead -Leibchen vertreten. Hippies mit Geschmack eben.
Die witzigste Untergruppe trug beige-grün. Sie kamen in Wagen mit Lämpchen auf dem Dach angefahren und ritten auf Rappen. Viel zu tun hatten sie nicht. Aber nette Mädels waren dabei.
Dieser Freitag hielt noch eine besondere Herausforderung für die Hippies bereit. Gegen Nachmittag entschloss sich der Oberhippie im Himmel zu einer Erfrischung für die aufgeheizten Teilnehmer. Es stürmte, es regnete aus Eimern und es donnerte mit etlichen Dezibel. Aber das diesjährige Line-Up des Festivals hat wohl auch den großen Macker dort oben überzeugt, denn seine Prüfung dauerte wirklich nicht lange.
Gegen Abend ließ er es immer mal wieder losblitzen. Offensichtlich wollte er auch ein paar gute Fotos vom Billing schießen. Als Special Lightshoweffekt färbte sich der Halbmond sogar blutrot. Vielleicht war das obligatorische esoterische Ambiente in 'Freakcity' doch zu etwas gut.
Am Samstag wurden sogar die Tagesparkplätze knapp. Aber wieder reagierten die Offiziellen instinktsicher. Kurzerhand wurde eine weitere Wiese eröffnet. Mit traumwandlerischer Sicherheit gestalteten die Parking-Attendents die Autoreihen so perfekt, dass ein erklecklicher Anteil der Besucher die gesamten Fahrkünste abrufen musste, als es abends darum ging, das Festival wieder zu verlassen. Dieser Tag hielt unter anderem die Auftritte von Ten Years After, Manfred Mann und IQ als Höhepunkte bereit. Wobei insbesondere uns Manni eine gute Show ablieferte. Quasi die gesamte Publikumsmasse oszillierte verträumt in harmonischen Pendelbewegungen. Die Quote an verklärten Gesichtern war phänomenal.
Schlenderte man durch 'Freakcity', so offenbarten sich sofort die unterschiedlichsten Reize. Die Plattenhändler boten ihre Waren feil, wobei die spannendste Sichtung in der Auslage sicherlich das Conny Francis Album "Schöner Fremder Mann" war. Süßlicher Duft trieb in dichten Schwaden zwischen den Zelten hindurch, nur eingetrübt von den intensiven Buketts penetranter Patchouli-Räucherkerzen und den in ausreichender Zahl vorhandenen sauberen Dixie-WCs.
Allerhand Hippiekram und kuriose Nahrungsmittel wurden angeboten. Getreidekaffee konnte ebenso genossen werden wie ein Indianer-Imbiss, vegetarische 'Küche', indische Gerichte und 'Guarana'-Wein. Nach einer ordinären, schmackhaften und sättigenden Currywurst suchte man leider vergebens. Die sind offenbar selbst für die Einwohner von 'Freakcity' zu kurios.
Die mitgebrachten Anlagen der Hippies beschallten die Zeltstadt bis mitten in der Nacht mit diversen Musikstilen. Düstere Black Sabbath Songs konnten ebenso identifiziert werden wie spacige Pink Floyd Arrangements. Auch Jazziges und Funkiges hielten die Anrainer parat.
Doch die Einwohner von 'Freakcity' hatten noch mehr zu bieten. Sonntagsmorgens hatten ein paar Musikfans am Westende die harmoniesüchtige Atmosphäre wohl entgültig satt. Aus ihrem Block tönte Musik von Vertretern des Schlechten Geschmacks, namentlich Eläkeläiset, Helge Schneider und des Knorkators. Leider musste ein Teil unseres Teams zu diesem Zeitpunkt das Open Air wegen 'persönlicher Gründe' verlassen.
Der heimliche Headliner des Festivals war aber an ganz anderer Stelle zu finden als auf der Bühne oder im Dunstkreis der Gaukler, Stelzengänger oder Standinhaber. Er trug einen Bauchladen mit sich herum und verkaufte für gerade mal 1 Euro Portionen seines lustigen Gebäcks. Dabei hatte er stets ein gewinnendes Lächeln für jeden bereit, natürlich auch für sich selbst. Er swingte einer Feder gleich ohne Unterlass übers Festivalgelände. Ausdauernd, sympathisch, Blicke anziehend und sogar Umsatz machend. Hut ab vor dieser Performance. Ob er jemals wirklich auf dem Festival angekommen ist, wird wohl auf ewig sein Geheimnis bleiben. Würde die Menschheit nur aus so Leuten wie ihn bestehen, hätten wir wohl keine Probleme mehr.
Auch nicht mit der Duschsituation, denn sie war ein echtes Problem. Es gab nämlich keine entsprechende Einrichtung auf dem Festival. Was einige wohlmeinende 'Schlitzohren' natürlich dazu veranlasste, den Hippies ihre Heimduschen zur Verfügung zu stellen. Sie locken mit einladenden Schildern wie 'Hippies welcome!' So konnten die Autofahrer in der Region jede Menge schmutziger, verstaubter und schwitziger Hippies auf dem Hinweg und glänzende, wohlriechende Hippies an den Straßenrändern oder als Anhalter auf dem Rückweg erleben.
Love, Peace and Happiness. Schön, dass es sowas heutzutage noch gibt. Das 'Burg Herzberg Festival' ist sicherlich eine Institution geworden. Ob man nun als leidenschaftlicher Gestriger, als Neohippie, als akkurat aufgemachter 'Modehippie' oder einfach nur als Musikfan das Festival besucht: Es ist ein Erlebnis. Um das richtige Feeling aufrecht zu halten, warfen wir uns nach der Heimkehr erst einmal "Alices Restaurant" in den Videorecorder. Vielleicht haben wir nächstes Jahr sogar die Gelegenheit Barry McCabe auf der dortigen Bühne zu sehen. Er wäre mit seinem 'Celtic Blues' eine echte Bereicherung fürs Billing.
Was bleibt, als zum Abschluss die magischen Worte zu schreiben:
PEACE; MANN!
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