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Das 18. tff vom 04. - 06.07.2008 Rudolstadt/Thüringen
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Das 18. tff vom 04. - 06.07.2008
Rudolstadt/Thüringen
Festivalbericht
Stil: World Music, Folk, Roots Music
Like the good ol' days...
Artikel vom 11.07.2008
Norbert Neugebauer
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Fangen wir diesmal mit den Zahlen an. Das 18. tff verzeichnete mit über 70.000 Besuchern wiedermal einen neuen Rekord. 141 Acts mit 1303 Mitwirkenden aus 33 Ländern spielten vom Donnerstagabend (Salsa-Sonderkonzert) bis Sonntagnacht (Abschluss: The Gipsy Queens And Kings)
auf über 20 Bühnen plus mehr oder weniger festen 'Straßenmusikerplätzen'. Der Gesamtetat betrug 1.463.000 Euro, davon wurden rund 65 Prozent direkt durch Eintrittsgelder wieder eingenommen. 900 Mitarbeiter sorgten für einen reibungslosen und weitgehend unauffälligen Ablauf , 340 Medienvertreter waren akkreditiert und es wurde kräftig live berichtet (MDR Figaro). Die Statistik meldet einen Bierausschank von 19.000 Litern (das sind 190 hl im üblichen Getränke-Maß …) von 16 Ständen.
Nun, das hab ich der Ostthüringer Zeitung entnommen, weil ich am Sonntag nicht mehr zur Pressekonferenz in Rudolstadt war. Aber, liebe Kollegin Ulrike Michael von der OTZ, zwei kleine Korrekturen seien dazu erlaubt. Die 16 Zapfstellen waren nur die der Schwarzbierbrauerei (die diesmal sogar Import-Kilkenny für 3 Euro auf der Burg anbot), da fehlen noch die etablierten Gastronomiebetriebe, die oftmals zu etwas günstigeren Preisen die Kundschaft wesentlich zügiger stärkte. Und der inzwischen mit etlichen Kilos zuviel beladen RockTimeler brauchte mehrfach knappe 15 Minuten rauf und 10 runter zwischen Heidecksburg und Heinepark. Also, von wegen »war unter einer halben Stunde nicht zu schaffen«! Klar unterwegs gab's ja soviel zu hören und zu sehen, und vielleicht hat sie sich auch zwischendurch »auf ein Tänzchen oder ein Schwätzchen eingelassen«. Es sei ihr vergönnt und nix für ungut! Vielleicht zeig ich ihr nächstes Jahr die kurzen Wege und die günstigeren Schankstellen ohne Warteschlangen…
Aber schon seltsam, wenn man die unterschiedlichen Reflektionen nachliest oder -hört. Klar, bei dem Angebot kommen wohl keine zwei unabhängigen Besucher auf dieselben Anwesenheiten. Aber selbst bei gleichen Auftrittsterminen ergeben sich offensichtlich sehr verschiedene Wahrnehmungen. Egal, hier kommt die einzig maßgebliche für unsere Leser - die RockTimes-Stimme!
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Schön war's! Warm bis in die Nacht (schon wieder kein typisch 'Rudelstädter-Regenwetter'), eine entsprechend freudige Stimmung und ohne die diesmal bekannteren 'Mainstream'-Namen auch keine bescheuerten Schicki-Micki-Typen. Jedenfalls nicht am Samstag, als wir von Mittag bis 3 Uhr morgens zu viert das tff-Gelände getrennt durchstreiften und uns dabei nur seltenst begegneten. Selbst wenn wir bei den gleichen Gigs waren, aber immerhin stimmte unsere Meinung dann meist überein. Auch dem einigermaßen World Music-orientierten RockTimes-Randgruppen-Beauftragten sagten neben Billy Bragg und Embryo nur einige Namen etwas. Klar, Chris Wood, Bobo (ohne ihre White Wooden Houses), die 500 Miles- Proclaimers - das war's dann aber schon. Also auch hier wieder das alte tff-Lied: Gehe hin und höre! Doch dieses neugierige Reinschnuppern verführt; zumindest hat es den beflissenen Berichterstatter. Es gab nur drei Auftritte, die ich mir komplett und mit großer Aufmerksamkeit (soweit dies als gleichzeitig Fotografierender möglich war) angehört habe: Die beiden Engländer Billy Bragg und Chris Wood sowie die Finnen Marko Haavisto & Poutahaukat. Der Rest war mehr oder weniger ein läuferisches und aufschnappendes Durchgezappe, dessen ich mir allerdings erst im Nachhinein richtig bewusst geworden bin.
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Aus der Tages-Agenda hier die Acts, die wohl RockTimes-relevanter sind. Vorab die wichtigsten Spielstädten: Die Heidecksburg mit der Hauptbühne im Schlosshof und der Burgterrasse, der Marktplatz, der Neumarkt, die (eintrittsfreie) Theaterplatz-Stage in der Altstadt und im Heinepark Tanzzelt, Konzertzelt und Hauptbühne. Dass diesmal noch mehr Leute unterwegs gewesen sein sollen, empfanden wir eher gegenteilig. Entweder war die Verteilung größer oder viele Besucher blieben im Heinepark, in dem es allerdings nachts sehr voll war. In der Stadt herrschte jedenfalls bei weitem nicht das Gedränge des Vorjahres. Und selbst die üblichen Besoffenen in den Grünanlagen waren diesmal offensichtlich ferngeblieben.
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Als wir ankamen, wurde im Stadthaus Rock'n'Roll geübt, der 'Tanz des Jahres'. Zum Abschied sahen wir dann die Ergebnisse mit Live-Mucke. Erste freudige Überraschung: Wiederhören mit der jungen Band Vorsicht Stufe, die wieder auf dem Theaterplatz hauptsächlich Gleichaltrige zum Tanzen brachte. Die Jenaer Truppe mit ihrem frischen Indie-Ska-Rock-Mix macht einfach nur gute Laune! Mit Serboplov aus Serbien ging's am Neumarkt groovemäßig weiter, allerdings nicht mit Balkan-Gebläse, die Power kam von Streichern mit Perkussion. Dass Israel Länderschwerpunkt war, lief an mir ziemlich vorbei, wie auch der 'Fokus regional' mit Sachsen und das 'Magic Instrument', die wenig ergiebige Rahmentrommel. Schon im Vorjahr konnte ich mit dem Cross-overnden Idan Raichel Project nicht viel anfangen, auch Izabo, die dem Vernehmen nach derzeit angesagteste Band aus dem 'Gelobten Land', konnte mich nicht lange fesseln. Überraschend war, dass angesichts dieser sicherheitsrelevanten Gäste keine auffälligen Schutzmaßnahmen zu bemerken waren. Es gab überhaupt keine Polizeipräsenz und nicht mehr Ordnungspersonal als sonst!
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Auf der Suche nach dem wohl einzigen öffentlichen Telefon in der Stadt am Busbahnhof (ja, ich habe kein Handy!) kam ich wieder beim Theater vorbei und hörte "Birdland". Die Zawinul-Komposition swingte über die nur spärlich besetzte sommerliche Wiese. Dass der Gitarrist von Gasometer auf seiner 12-saitigen Western-Ibanez auch solistisch jazzrockte, ließ mich dann doch einige Minuten mit offenem Mund zuhören und -sehen. Tolle Truppe!
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Am Abend dann die Verleihung der RUTH-Preise auf dem Schloss, wobei mich allerdings nur Embryo interessierte. Lang war's her, seit ich die deutschen Weltmusik-Pioniere um den aus dem oberfränkischen
Hof stammenden Gründer Christian Burchard zum letzten Mal getroffen hatte. Embryos Musik war schon immer anspruchsvoll und alles andere als eingängig. Dass ich in der halben Stunde ihres Kurzauftritts, bei dem ich auch meine Fotos schießen musste, nur wenig Zugang dazu fand, war also nicht überraschend. Am Sonntag hatte der Ehren-Preisträger zwei Stunden zur Verfügung. Zu den sich schon am Vortag aufwärmenden Musikern sollten dann noch ein gutes halbes Dutzend aus verschiedenen Ländern stoßen, wenn ich das richtig verstanden habe (und diese Rudolstadt gefunden haben). Die komplette Formation tritt übrigens an diesem Wochenende beim Free Flow-Festival im wendländischen Mützingen (ein kleiner Ort bei Lützow-Danneberg, das bekanntlich der übermächtigen Atom-Lobby Widerstand leistet …) auf.
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Auf dem Weg zur Hauptbühne im Heine-Park führte unser Weg am Konzert-Zelt vorbei, in dem der Norweger Karl Seglem auftrat. Beim Ethno-Jazzer platzte die Location aus allen Nähten, in der auch Gehörschutz dringend anzuraten war. Dagegen war mehr Platz im Tanzzelt, wo mit Öves eine transsilvanische Combo die Paare herumwirbeln ließ. "I'm Gonna Be (500 Miles)" - haben die Proclaimers bekannt gemacht, der Hit der Schotten gehört bis heute zum Standard-Repertoire der Musikkneipen. In Rudolstadt boten sie ein starkes Konzert, das sowohl die Folk- als auch die Rockfans begeisterte. Mitternacht auf dem Hauptmarkt, Jaune Toujours aus Belgien - der Platz kochte. Eine heiße Mischung aus Balkan-Brass, Musette-Punk, Funk und Ska mit gekonnter Publikums-Anmache, das war Party pur. Und deswegen hab ich The Imagined Village verpasst.
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Meine Highlights:
Billy Bragg. »You know, I like folk music, but I'm still a punk!«
Und ein nach wie vor gleichermaßen sozialkritischer wie humorvoller dazu. Solo, mit elektrischer und akustischer Gitarre, wechselte er zwischen seinen eigenen kantigen Songs, Woody Guthrie- und Clash-Covern. Aber auch die lyrische Seite kam nicht zu kurz. Der Mann hat's nach wie vor drauf, den Alt-Punk nimmt man ihm gern ab und das Publikum (samt mir) war sofort auf seiner Seite. Ein Typ, eine Aussage, eine Gitarre - was braucht's mehr? Na ja, vielleicht demnächst ein anständiges Bier. »My Icetea« - nannte er mehrfach das, was ihm da im Plastikbecher hingestellt worden war …
Eine warme, melodische Stimme, eine gekonnt gezupfte Gitarre und ebenfalls eine Botschaft (des Herzens) - das war Chris Wood auf der sonnenüberfluteten Burgterrasse. Ein Folksänger der alten englischen Schule, mit persönlichen Songs, einer stillen, charismatischen Ausstrahlung und der Fähigkeit, vielleicht tausend Zuhörer mit leiser Musik eine Stunde lang in seinen Bann zu ziehen. Wunderbar, Mr. Wood! Und die Zugabe des allegorischen Traditionals "John Barleycorn Must Die" ging unter die Haut.
Ich wette, keiner unser LeserInnen hat jemals Marko Haavisto & Poutahaukat live gehört, außer er/sie war beim tff oder ist Finnland-Reise- und Musikfan (dass wir finnische Leser haben, wage ich nicht zu vermuten). Wir befanden uns weit nach Mitternacht schon auf dem Weg zu unserem Auto, als wir aus dem Saal des Stadthauses ein paar E-Gitarrenklänge hörten. Mit unwiderstehlichem Twang. Müdigkeit ade, schwere Beine vergessen, rein in die Bude! Drin fing die Band grad an, vier Typen wie aus einem Kaurismäki-Film, gegelte Haare, Teddy-Anzüge samt Equipment mit Antiquitäten-Status. Und die Musik genauso, schöner alter Rock'n'Roll, vorgetragen mit einem Schuss finnischer Melancholie und einigen Hank Williams-Covern. Auf der Tanzfläche die Paare von Mittag, die nun in ihren gelernten Figuren herumwirbelten. Und geknutscht wurde auch kräftig. Like the good ol' days...
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15 Stunden unterschiedlichste Live-Musik am Stück, Begegnungen und vieles mehr in Rudolstadt - zuviel, um das alles richtig aufzuarbeiten. Das tff ist ein Erlebnis, das wohl nur jeder Besucher für sich selbst reflektieren kann. Entsprechend euphorisch lesen sich auch die Forums-Einträge der Dauer-Fans, die regelmäßig das komplette Wochenende in Rudolstadt verbringen.
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Ein ganz dickes Kompliment geht an das ganze Team vom tff. Auch da schließe ich mich den gesammelten Einträgen im tff-Forum an. Das war nahezu eine perfekte Organisation mit leichter Hand und frohem Gemüt. Und das gilt auch für das sonstige Personal der Rudolstädter Geschäftswelt, die mit dafür sorgten, dass wieder dieser »irre Hauch von Welt« entlang des Saalestrandes wehte.
Das MDR-Fernsehen bringt am Samstag, 26.07.2008, von 23 - 24 Uhr einen Zusammenschnitt des 18. tff.
Frühere tff-Veröffentlichungen in RockTimes:
tff 2005
tff 2007
Vorbericht 2008
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Externe Links:
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