Irgendwann im Jahr 1972 kreuzten sich die Wege von Steve Earle und dem bereits damals legendären Songwriter Townes Van Zandt zum ersten Mal. Der erst 17-jährige Earle stand auf der Bühne eines kleinen Clubs in Nashville und spielte vor gerade mal einem Dutzend Gästen sein übliches Repertoire, als plötzlich eine kleine, aber umso lautere Gruppe, deren Anführer ganz offensichtlich Van Zandt war, über die Bar herfiel. Townes forderte immer wieder lautstark den Song "Wabash Cannonball", bis Steve schließlich etwas kleinlaut zugeben musste, dass er diesen Track nicht auf Lager hat.
»Was? Du willst ein Folk Singer sein und kannst nicht mal "Wabash Cannonball" spielen??« grölte ein bereits sichtlich angeschlagener Van Zandt. Als Antwort darauf brachte Steve Earle ohne ein weiteres Wort zu verlieren eine Version von Van Zandts eigenem Song "Mr. Mudd And Mr. Gold", der durch die Kombination von schnellem Fingerpicking und einem ebenfalls schnell gesungenen, sehr langen Text alles andere als einfach zu interpretieren ist. Muss wohl mächtig Eindruck auf Townes gemacht haben, denn für den Rest von Earles Show gab er keinen Ton mehr von sich. Aber nicht nur das, in dieser Nacht wurde ein fester Bund, eine enge Freundschaft geschlossen, die die nächsten 25 Jahre, bis zu Van Zandts Tod am 01.Januar 1997 bestehen bleiben sollte.
Steve Earle war bereits Jahre vor dieser ersten persönlichen Begegnung von Van Zandts Songwriting und dessen Texten fasziniert. Von nun an aber nahm ihn der Meister persönlich unter seine Fittiche. Speziell zu den ersten Jahren der Freundschaft kommentierte Earle später: »Er war ein großartiger Lehrmeister… aber auch ein sehr schlechter Einfluss!« Einzig Townes Van Zandt dafür verantwortlich zu machen, dass auch Earle lange Jahre durch seine ganz persönliche Drogen- und Alkohol-Hölle flog, wäre aber sicher nicht fair und soll auch hier gar nicht das Thema sein.
Steve Earle hat seiner (zusammen mit Guy Clark) größten Inspiration, seinem Lehrmeister und Freund Townes Van Zandt ein komplettes Album gewidmet, in dem er 15 Tracks des Charakter-Kopfs auf seine neue Langrille verfrachtet hat. Ein ganz schön mutiger Schritt, hatte er doch mit seinem letzten, Grammy-Gewinner Studio-Werk Washington Square Serenade riesigen Erfolg. Wer hätte es ihm da übel nehmen können, hätte er genau dort weiter gemacht, wo das Vorgänger-Album aufhörte? Aber auch Steve Earle hatte immer schon seinen ganz eigenen Kopf und schwamm selten mit dem Strom. Im Gegenteil, vielmehr brach er immer schon alles, was noch meilenweit weg auch nur schon so aussah, wie eine Regel.
"Townes" beginnt, so wie sehr viele Konzerte Van Zandts, mit dessen wahrscheinlich bekanntestem Song "Pancho And Lefty". Fast ein bisschen introvertiert, dafür aber sehr intensiv erscheint unser Protagonist hier. Sparsam instrumentiert mit Akustik-Gitarre, Bass und Shakern ist das. Aber was braucht dieser Track, der in den Achtzigern von Willie Nelson und Merle Haggard interpretiert zur Nummer 1 der Country-Charts aufstieg, auch ein große Instrumentierung? "White Freight Liner Blues" besticht durch seine Bluegrass-Bearbeitung und gibt ein exzellentes Bild ab. Bereits jetzt wird klar, dass wir es hier mit einem Killer-Album zu tun haben, denn Steve Earle legt offensichtlich viel Wert darauf, diese Songs überzeugend, glaubwürdig und auch mal in neuer Form zu bringen.
Mir juckt es geradezu in den Fingern, hier über jede einzelne Nummer von "Townes" einen ganzen Absatz zu schreiben, aber das würde den Rahmen sprengen. Seit einigen Jahren verwendet Steve ja auch ganz gerne mal Hip- und Trip-Hop-Elemente, die er hier zum Beispiel auch für das Stück "Lungs" verwendet hat. Allerdings sehr subtil und sich dem eigentlichen Song unterordnend, funktioniert das auch sehr hervorragend. Bis dann gegen Ende die Akustik-Gitarre mit aller Wucht über einen herfällt und man sich plötzlich mitten in Van Zandts textlichem, bzw. ganz persönlichen Alptraum wiederfindet. Nach diesem, dem fünften Song der Scheibe hat sich meine anfängliche Gänsehaut in ein entrücktes und staunendes Glücksgefühl gewandelt.
"No Place To Fall", "Loretta", "Rake", "Don't Take It Too Bad", "Mr. Mudd And Mr. Gold" (musste natürlich hier dabei sein) oder "To Live Is To Fly", man könnte eigentlich jeden einzelnen Song aufführen, das sind eigentlich alles Klassiker und Steve Earle bringt sie nicht nur überwältigend gut, sondern auch sehr glaubhaft und mit tonnenweise Feeling. Auch Steves (mittlerweile 7.!!!) Ehefrau Allison Moorer ist bei einigen Tracks dabei und sorgt für sehr geile, unaufdringliche sowie wunderschöne Background-Vocals, z.B. bei "Loretta" oder "To Live Is To Fly".
Wer (außer Guy Clark) hätte prädestinierter sein können, dieses Album aufzunehmen? Also, mir fällt absolut niemand ein. "Townes" ist eine offene Verbeugung vor dem Altmeister Van Zandt, der sich leider bereits im Alter von 52 Jahren aus dieser Welt verabschiedete. Dieses Album ist ganz großes Kino und läuft exklusiv im Lichtspiel-Haus Steve Earle. Sicherlich kann nur ein Townes Van Zandt wie er selbst klingen, aber der ehemalige Schüler Steve wird seinem späteren und immer noch betrauerten 'partner in crime' absolut gerecht. Zusammenfassend kann man eigentlich nur damit schließen, dass auf diesem Album alles stimmt. Die Songs sowieso, die Interpretationen, das Feeling, die Produktion, die Intensität und… ach was, einfach alles.
Wenn man Townes Van Zandt eine einzige Sache bezüglich seines musikalischen Schaffens vorwerfen kann, dann, dass er kaum Wert auf die Produktionen seiner Studio-Alben legte, sondern einfach nur auftauchte, spielte und sang und sich danach so schnell wie möglich aus dem Staub machte. Was dann leider dazu führte, dass Produzenten und Manager wichtige wie auch unkompetente Entscheidungen trafen, was die fertigen Alben anging. Eine Scharte, die Earle hier auszuwetzen versucht und mit viel Liebe an Details gearbeitet hat.
Sehr cool auch Folgendes: Earle bringt hier nicht unbedingt eine Best Of-Zusammenstellung des Repertoires seines verstorbenen Freundes, sondern viel mehr die Tracks, die ihm selbst immer am besten gefielen, bzw. ihn am meisten beeindruckt haben. Ein besonderes Schmankerl ist dann noch "Mr. Mudd And Mr. Gold", das er mit seinem ältesten Sohn Justin Townes Earle (man beachte den zweiten Vornamen - 'zwinker'), der ebenfalls schon zwei eigene Alben veröffentlicht hat, eingespielt und - gesungen hat. Weitere prominente Unterstützung erhielt er außerdem von dem ehemaligen Rage Against The Machine-Gitarristen Tom Morello, der sich nahtlos einfügte.
"Townes" kam übrigens auch in einer limitierten Doppel-CD-Ausgabe raus und ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich die zweite CD gerade erst bei meinem Nachbarn genießen durfte. Dabei handelt es sich um elf der 15 Tracks von CD 1 in ihren Rohfassungen, sprich Mr. Earle ganz alleine an der Akustischen und am Gesang. 'Stripped'. Und dieses Teil ist eine weitere Offenbarung, da die bereits mehrfach erwähnte Intensität hier noch einmal gesteigert wird.
Kaufen, Freunde, kaufen! Und verpasst mir den guten Steve bloß nicht bei den wenigen Deutschland-Konzerten, die er später in diesem Jahr zum Besten geben wird! Ganz dicker Tipp!!
Line-up:
Steve Earle (vocals, guitars, mandola, harmonica, harmonium, percussion)
Dennis Crouch (bass)
Greg Morrow (drums)
Tim O'Brien (mandolin)
Darrell Scott (banjo, dobro)
Shad Cobb (fiddle)
John Spiker (electric bass)
Tom Morello (electric guitar)
Allison Moorer (vocals)
Justin Townes Earle (guitar, vocals)
Steve Christensen (percussion)
Tracklist |
01:Pancho And Lefty
02:White Freight Liner Blues
03:Colorado Girl
04:Where I Lead Me
05:Lungs
06:No Place To Fall
07:Loretta
08:Brand New Companion
09:Rake
10:Delta Momma Blues
11:Marie
12:Don't Take It Too Bad
13:Mr. Mudd And Mr. Gold
14:(Quicksilver Daydreams Of) Maria
15:To Live Is To Fly
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