Sein erstes, im Jahr 1986 veröffentlichtes Album Guitar Town, das einschlug wie eine Bombe und mittlerweile ruhigen Gewissens als Klassiker bezeichnet werden kann, war eine autobiographische Momentaufnahme und seinem langjährigen Wahl-Heimatort Nashville, Tennessee gewidmet. 21 Jahre später und Anfang fünfzig, ist Steve Earle immer noch auf der Reise. Immer noch auf der Suche nach DER Antwort. Diese Rastlosigkeit trieb ihn schließlich dazu, den Süden der USA zu verlassen und nach New York City umzuziehen.
»…bound for New York City and I won't be back no more…goodbye Guitar Town…« singt er im Erföffnungstrack "Tennessee Blues", der gleichzeitig als Abschieds-Ode an Nashville dient. Und wenn man sich das neue Album "Washington Square Serenade" so anhört, dann merkt man deutlich, dass die Metropole im Nordosten der Staaten ganz deutlich ihre Spuren bei Steve Earle hinterlassen hat. Er hat die Atmosphäre und das Flair einer der größten Städte dieser Welt tief eingesogen, was man bei Songs wie "Down Here Below", "Satelite Radio" oder "City Of Immigrants" auch deutlich raushören kann.
Tief eingesogen hat er die New Yorker Luft, gefüllt mit Abgasen, U-Bahn-Mief, multinationalem Timbre und dem Bauchgefühl, dass die Zeit dort doppelt so schnell vergeht, wie sonstwo auf diesem Planeten. Earle ging sogar so weit, hier zum ersten Mal überhaupt mit Pro-Tools zu arbeiten, und noch erstaunlicher: Auf einigen Tracks kann man gar Hip Hop-Elemente ausfindig machen. Bei dem gestandenen und alteingesessenen Steve Earle-Fan führt diese Information natürlich umgehend zu heftigen Bauchschmerzen. Wobei ich alle Freunde des Texaners aber sogleich wieder beruhigen kann, denn diese sind dermaßen clever in die starken Songs eingebaut und im Mix so raffiniert plaziert worden, dass sie den jeweiligen Stücken überhaupt nichts anhaben können.
Eher das Gegenteil ist der Fall! Sie machen "Washington Square Serenade" zu einem ganz besonderen Werk in Earles Schaffen. Davon mal ganz abgesehen zu seinem musikalisch bisher experimentellsten und mutigsten. Aber natürlich kann man auch den 'alten' Steve auf seinem neuen Album wiederfinden, das gänzlich ohne elektrische Gitarren auskommt. Das unterschwellige, aggressive und verwundet wirkende "Jericho Road", bei dem ihm wie in einem fiebrigen Traum die Gesichter einiger seiner engsten Familienmitglieder begegnen, der Bluegrass-angehauchte Song "Oxycontin Blues", dem Pete Seeger gewidmeten Folk-Rock-Protest "Steve's Hammer" (der spätestens beim zweiten Mal anhören so richtig in die Gehörgänge einschlägt) oder auch die vertretenen Love-Songs wie "Sparkle And Shine", "Come Home To Me" und "Days Aren't Long Enough". Hochkarätige Earle-Qualität wie man sie gewohnt ist!
Apropos Liebeslieder: Steve Earle hat wieder mal geheiratet! Ehefrau Nummer sieben (!!!) ist Allison Moorer, ebenfalls seit Jahren auf den Bühnen dieser Welt zu bestaunen. Klar, dass Frau Moorer (bzw. Earle) auch ihren Beitrag abgeliefert hat. Am besten zur Geltung kommt sie mit den superstarken Background-Vocals im Refrain zu "Down Here Below" und desweiteren im Duett mit Steve bei "Days Aren't Long Enough".
Außer den Bässen hat Steve alle Saiteninstrumente wie Gitarre, Mandoline, Bozouki, Banjo und weiteres allein übernommen. Sein Songwriting ist erfreulicherweise so stark wie schon lange nicht mehr und die wohlgemeinte (aber harte) Schule, durch die er mit den strengen Lehrern Guy Clark und Townes Van Zandt gehen musste, hat sich wieder einmal ausgezahlt.
Was den guten Steve aber dazu geritten hat, den Tom Waits-Track "Way Down In The Hole" zu covern, blieb mir bisher verschlossen. Während sich Waits' Original-Version (vertreten auf dem Album "Frank's Wild Years", 1987) wie ein psychopatischer Wanderprediger auf Speed anhört, bringt Earle den Titel clean mit akustischer Gitarre und sauber dargebrachten Vocals. Das ist relativ unspektakulär und hat nichts mit dem Wahnsinn des Originals gemein. Wenn man dieses nicht kennt, mag die ganze Sache womöglich anders aussehen, aber ich kann mich nicht ganz davon freimachen. Und im direkten Vergleich schneidet die neue Version dann doch schlechter ab.
Das war's dann aber auch schon mit kritischen Äußerungen meinerseits, denn selbst nach einer Woche Dauerrotation gibt es nichts zu meckern und Steve Earle glänzt erneut, bzw. wieder mal mit sehr starkem Songwriting. Ich würde sogar sagen, dass der Mann mit "Washington Square Serenade" gerade seinen dritten Frühling erlebt. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Earle bisher kein einziges schlechtes Album abgeliefert hat. Dennoch hege ich jetzt einfach mal den starken Verdacht, dass das neue sein bestes Werk seit "I Feel Alright" (1996)/"El Corazon" (1997) ist.
Meine Anspieltipps sind "Tennessee Blues", "Down Here Below", "City Of Immigrants", "Jericho Road" und " Steve's Hammer", dazu kommen "Oxycontin Blues", "Sparkle And Shine"…ach, wisst ihr was? Hört's euch doch einfach selber mal beim Dealer eurer Wahl an, dann wisst ihr, warum ich nicht aufhören kann mit aufzählen.
Keine Zeit dafür? Dann würde ich mir das Teil an eurer Stelle gleich ungehört eintüten lassen, denn Onkel Steve wird euch nicht hängen lassen, soviel kann ich versprechen. Wohlverdiente und berechtigte 9 von 10 RockTimes-Uhren, mit dem starken Verdacht, es hier mit einem Langzeit-Dauerrotierer zu tun zu haben!
Line-up:
Steve Earle (vocals, guitars, mandolin, bozouki, banjo, harmonica, tamboura, harmonium)
Allison Moorer (vocals)
John Medeski (organ, electric piano, mellotron, harmonium)
Jeremy Chatzky (acoustic and electric bass)
John Spiker (electric bass)
Marty Beller (drums)
Patrick Earle (percussions)
Tracklist |
01:Tennessee Blues
02:Down Here Below
03:Satelite Radio
04:City Of Immigrants
05:Sparkle And Shine
06:Come Home To Me
07:Jericho Road
08:Oxycontin Blues
09:Red Is The Color
10:Steve's Hammer (For Pete)
11:Days Aren't Long Enough
12:Way Down In The Hole
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