Fish / A Feast Of Consequences
A Feast Of Consequences Spielzeit: 66:58
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2013
Stil: Prog Rock

Review vom 24.11.2013


Boris Theobald
Rückschläge, Ängste und Unsicherheiten - in den rund sechs Jahren zwischen dem letzten Studioalbum 13th Star und diesem hier, "A Feast Of Consequences", hat dieser Fish so einiges mitgemacht. Zwei Mal wurde er an den Stimmbändern operiert - zum Glück waren die Verwachsungen gutartig. Außerdem brachte er das private Kunststück fertig, zu heiraten und sich im selben Jahr schon wieder scheiden zu lassen. Fish musste mal dringend raus und verbrachte einige Zeit in Vietnam, Costa Rica und Kuba, wo er sich mancherlei Inspirationen abholte. Auch eine Akustiktour sorgte für neuen Mut und außerdem für die Erkenntnis, dass die Stimme wieder da war. So ist dieses nunmehr zehnte Album als Solokünstler für Fish auch eine Art ein Neustart.
Auf "A Feast Of Consequences" macht Fish zum ersten Mal seit Jahren wieder elektrisch verstärkte Musik. Und durch einen puren Zufall - sein bisheriges Bandmitglied Frank Usher war gerade in anderen Projekten stark eingebunden - gibt es auch eine 'Wiedervereinigung' mit Gitarrist Robin Boult, mit dem Fish in den ersten Jahren seiner Solokarriere zusammengearbeitet hatte. Boult wurde gleich stark am Songwriting beteiligt - ein kreativer Prozess, der gedauert hat. Studiotermine mussten verschoben werden, bis es endlich passte. Alle Songs hat die Band rein akustisch vor Publikum getestet und an ihnen rumgefeilt, bis sie zu dem wurden, was sie jetzt sind. Und wie sich das gelohnt hat!
Das Kernstück des Albums ist "High Wood", ein Fünfteiler von zusammen beinahe einer halben Stunde Spielzeit. Fish hat sich an ein schweres Thema gewagt: Es geht um den ersten Weltkrieg. Von der verklärten Aufbruchseuphorie ("The Gathering") über den Horror der Grabenkämpfe ("Thistle Alley") bis hin zum zerreißenden, stillen Schmerz, als das Sterben vorbei war ("The Leaving"), beschreiben Musik und Text die Facetten des Wahnsinns. Und wie ergreifend das gelingt!
Die ruhigen Passagen sind entweder beklemmend traurig, angespannt und leicht nervös, oder es mischen sich wie bei "Crucifix Corner" unwirkliche Klänge wie von einer entfernten Spieluhr mit ein. Fast wie in Volksfeststimmung kommentieren die Blechbläser den unbeschwerten Folk-Anklang in "The Gathering", dem Ausdruck dieser fatalen, falschen Zuversicht. Welch einen Gegensatz bieten da die bedrohlichen, stoischen Drives vorab im ersten Part, "High Wood" ... die Schwere aus Angst und Schuld und Elend ist förmlich zu spüren; es ist düster, es ist heavy und es baut sich in "Thistle Alley" zu einem mehr als eindringlichen Hörerlebnis auf.
Alle Bestandteile von "High Wood" sind in ihrer Tiefenwirkung nahezu hypnotische Erlebnisse, spätestens bei aufmerksamer Studie der Lyrics dazu. Das ist große Poesie - Fish schildert konkrete Szenarien und bringt das beinahe 100 Jahre vergangene, unfassbare Grauen im nächsten Moment auf zeitlose metaphorische Ebenen.
»A storm of fire and metal tears the wood asunder,
Shatters stumps of scorched and splintered trees,
Cowering in the mud within the roots, incessant thunder
Tormented shredded souls are torn
[...]
Dragons crawl the ridges towards the spires on new horizons
Ploughing through the charnel pits and gore,
The spawn of death's invention, a victory their burden
The promise stalls and wallows in the mire,
High above the stage, a chorus of dark angels,
a circus joins the theatre of war,
The props are in position, fuses primed and ready; the wires pulse the signal
cue the mine exploding
the graves are opening«
("Thistle Alley")
... und am Ende beten jene, die den Tag überstanden haben, dass es endlich Nacht werden möge, damit die Dunkelheit die 'Gräber der Lebenden' verberge. Das muss man erst mal sacken lassen.
Für Fish waren diese Lyrics nach eigener Aussage bisher die größte Herausforderung als Musiker. Seine Zeilen sind Eindrücke, die beim Besuch der historischen Stätte der Schlacht an der Somme entstanden sind. Es war reiner Zufall, dass er nach einem Konzert in Paris dort noch einige Zeit verbracht hatte - wie sich herausstellte nur ein paar Hundert Meter entfernt von dem Ort, wo sein eigener Großvater einst Schützengräben ausheben musste. Für Fish war das der Beginn einer eingehenden mentalen Reise, »and the attention and concentration required [...] has been both the most exhausting and gratifying writing I have ever embarked on.« Beeindruckend - und doch macht "High Wood" 'nicht einmal' die Hälfte des Albums aus ...
... dessen Einstieg bereits großen Eindruck hinterlässt. "Perfume River" baut sich minutenlang auf und steht von daher in einer Tradition zahlreicher Opener von "Vigil" bis "Field". Psychedelisch, süßlich, beklemmend und sich dann öffnend: mit einer epischen Wende nach sieben von elf Minuten. Ein pulsierender, mitreißender Drive aus akustischer und E-Gitarre. Das ist typisch Fish; und das ist ein grandioser Fish. In diesem Stück gibt er den Erinnerungen eines Mannes an den Vietnamkrieg eine Stimme: »It's no illusion; it's not a dream, My eyes are open and all is as appears, It's a perfect nightmare; it's a perfect nightmare, In an imperfect world.«
"All Loved Up" ist eine musikalische Gegenveranstaltung - flotter Rock. Eine quirlige Energie aus knarzenden Gitarren, dank Synthie-Atmos völlig zeitlos. Auch ganz typisch Fish - ein launiger Song, wie er bei ihm nicht fehlen darf. Vor dem inneren Auge kann man förmlich sehen, wie dieser Derek Dick (der menschliche, pardon, bürgerliche Name des 'Fischs') auf der Bühne vom Fisch zum Tanzbär wird. Nun schmeckt Frohsinn freilich nur mit einem guten Schuss Zynismus. "All Loved Up" blickt links und rechts entlang des schmalen Grats zwischen Real Life und Cyberspace. Es geht um sich virtuell vervielfältigende Freundschaften, um synthetische Nähe, um ein irrig-unreales Empfinden von Reichtum und Schönheit.
Fish schreibt keinen Song, ohne ihn zu denken und zu fühlen. Manche dieser Songs sind ein Musik gewordenes In-sich-gehen, wie "The Other Side Of Me". Es 'wächst', von melancholischem, tiefem, beinahe gesprochenem Gesang zu harfenartig fragilen Akustikarpeggien, Stufe um Stufe hinauf zu einem Gospel-getränkten Stück voller Kraft und Zuversicht. Die Arrangements mit Piano, Violine und Orgel geben so manches erlesene Detail preis. Vor allem aber sorgt Elisabeth Troy Antwis einfühlsamer Backgroundgesang (nicht nur bei diesem Stück) für einen großen Zauber.
Und wenn Fish nicht gerade kontemplativ und selbstsezierend das eigene Ich unter die Lupe nimmt, dann blickt er auf die ganz reale, menschliche Dummheit in der weiten Welt. Klimawandel und Umweltzerstörung sind seine Themen im zarten, introvertierten "Blind To The Beautiful". Ebenso bei "A Feast Of Consequences". Extrovertiert! Kantig, rockig und straight geht der Titeltrack mit Nachdruck und Eindruck ins Ohr. Hier isser: der Song des Albums, der das Zeug zum mitwippend machendenden Live-Favoriten hat.
»We were running out of World, running out of hope, running out of resources
We were running out of time, running out of space, running out of tomorrows
If we only knew then what we know now would we have changed our minds,
it was all about time we faced the feast of consequences«
Und somit wird ein Album rund, das sich ohne Bedenkzeit zu den besten in Fishs Solokarriere zählen lässt. Wesentlich 'ursprünglicher' wirkt es als (das ebenfalls großartige) "13th Star" und hätte über weite Strecken auch vor 20 Jahren entstanden sein können. Lediglich der Schlusstrack "The Great Unravelling" stellt Loops und Effekte in den Vordergrund (Und wieder eine Facette mehr!). Fehlt da noch irgendetwas auf "A Feast Of Consequences"? Vielleicht ein großes Melodiewunder wie "A Gentleman's Excuse Me", "Moving Targets" oder "Arc Of The Curve"? Dafür steckt "A Feast Of Consequences" voller kleiner Wunder und imponiert als das Fish-Album mit dem meisten Tiefgang und einer - selbst für Fishs Verhältnisse - außergewöhnlich wertvollen poetischen Seite, vor allem dank "High Wood".
»In the gnawing bite of winter; he winds, bone chilling, howl
Pale skies of swirling snowflakes lay a shroud upon the ground
To a scarred and shattered landscape some brief dignity is shown
Where the dead remain unburied on the dark and blood-stained earth«

("The Leaving")
Line-up:
Fish (lead vocals)
Steve Vantsis (bass)
Robin Boult (guitars)
Foss Paterson (keyboards)
Gavin Griffiths (drums)

With:
Elisabeth Troy Antwi (backing vocals)
Aidan O'Rourke (violin - #3,10)
John Sampson (trumpet - #7)
Finlay Hetherington (flugelhorn - #7)
Fiona Lund (trombone - #7)
Stuart Watson (tuba - #7)
Gosia Loboda (violin - #5,9,11)
Alina-Lin Merx-Jong (violin - #5,9,11)
Linda Slakhorst-Custers (viola - #5,9,11)
Tanka Derwahl (cello - #5,9,11)
Tracklist
01:Perfume River (10:58)
02:All Loved Up (5:09)
03:Blind To The Beautiful (5:14)
04:A Feast Of Consequences (4:35)
05:The High Wood - Part I: The High Wood (5:21)
06:The High Wood - Part II: Crucifix Corner (7:20)
07:The High Wood - Part III: The Gathering (4:33)
08:The High Wood - Part IV: Thistle Alley (6:09)
09:The High Wood - Part V: The Leaving (5:03)
10:The Other Side Of Me (6:05)
11:The Great Unravelling (6:28)
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