Als ich vor etwa einem Jahr ihr Debüt besprechen durfte, hätte ich es mir in den eifrigsten Träumen nicht ausmalen mögen, so bald den tönenden Nachfolger dieser exotisch anmutenden Prog-Kapelle auf den Rezensentenschreibtisch zu bekommen.
Der erste Höreindruck bescheinigt den vier usbekischen Musikern von Fromuz eine konsequente, kompositorische Weiterentwicklung und eine unausgesprochene Überkapazität an wilder Kreativität.
Das neueste Werk "Overlook" verfügt über eine bewegte Sammlung von musikalischen Klanglandschaften mit unerschöpflichem Potentialcharakter, und geleitet den sensibilisierten Konsumenten an eine reich gedeckte Tafel, mit einem prächtigen Füllhorn kunstvoller Kompositionen aus dem weiten Spektrum progressiver, wie auch verschmelzender Rockmusik.
Die fünf Longtracks sind hörbar keine flapsigen Kopfgeburten musikalischer Anarchisten,
sondern essenziell in Szene gesetzte Ideen versierter Handwerker, welche uns minutenlang durch kontrollierte Dissonanzen und Soundwälle in die äußersten Winkel eines extensivierenden instrumentalen Labyrinthes entführen. Von schleichender Langeweile kann in den Instrumentalmonstern zwischen elf und siebzehn Minuten Laufzeit wirklich keine Rede sein.
"Overlook" lebt von der besonderen musikalischen Farbgebung einer kollektiven Bravourleistung der wissensfundierten Protagonisten, die gar leicht hemdsärmelig, ohne jegliche aufgedonnerte Sentimentalitäten und aufgebauschten Pathos, wohl aber mit epischer Kraft und überlegter Sachlichkeit, durch streckenweise verschachtelte Instrumentierungen manövrieren, ohne dabei in perfide Lethargie zu verfallen. Dissonante bzw. atonale, herrlich brodelnde, abstrakte Soundscapes wirken fast wie intonierte Streicheleinheiten, abrupte Tempowechsel zwischen geschmeidigen und rauen Melodien halten den Zuhörer bis zum letzten Ton gefangen. Die Musik ist dabei definitiv nicht zum Nebenbeihören geeignet.
Diese Veröffentlichung verkörpert keinen Kuschelrock, soviel ist in kürzester Zeit klar. Brachial und ausproduziert wälzen sich preziöse Klangdronen aus den Lautsprechern und technoide, zähflüssige Rhythmik verdreht vermutlich die Sinne.
Die Melange aus elektrischen Chorussen und ambitioniert wirkenden, elegischen Gitarrenausflügen faszinieren wie klingende Psychopharmaka. In Abwandlung zum Vorgängeralbum, wirken diesmal Gitarreneinsätze als prägnantes Instrumentarium, wie eine Frischzellenkur, obgleich die akzentuierenden Tastenpassagen hierbei keinesfalls zu kurz kommen.
Vitaly Popeloffs intensive Heavy-Riffs mischen sich stets funktionell mit Albert Khalmurzaevs üppigen bzw. symphonischen Keyboards, angereichert mit der Dichtheit der Rhythmussektion unter Einbeziehung zahlreicher elektronischer Tastensounds und Audio-Samples. Die Herren schöpften dabei ganz klar aus der Quintessence berühmter Jazz/Fusion-Exponenten, wie z.B. dem Mahavishnu Orchestra, als auch aus dem klassisch geschulten Progressive Rock mit einer Prise komprimierter Heavyrock-Attitüde. Wie ein trojanisches Pferd stehlen sich melancholische Leichtigkeit bzw. harmonische Intermezzi unter treibende, mechanisch komplexe Passagen, paaren sich mit warmen Synthesizer-Arpeggien, und beanspruchen die unbedingte Aufmerksamkeit des Zuhörers bei ihrer rasanten, sogleich auch süchtig machenden musikalischen Achterbahnfahrt.
Bei Fromuz gerät die Polyrhythmik niemals aus den Fugen, wie bei den offensichtlichen Vorbildern Spaced Out, welche als kanadische Frickelmeister schon eine beachtliche Hinterlassenschaft verewigt haben. Die Usbeken hingegen verlieren ihre instrumentale Stimmigkeit nie aus dem Fokus, und balancieren selbiges nahezu perfekt durch das sehr plastische Klangbild.
Das neue Album wird diesmal wesentlich mehr von verschiedenen Stimmungen und himmelstürmenden Melodien getragen, gibt den songdienlichen Gedankensprüngen im technisch virtuosen Spiel, mehr Räumlichkeit und Humus.
Insgesamt wirken die Kompositionen kompakter und transportieren für den Hörer nicht nur selbstverliebtes Instrumentengequäle. Neben einem ausgeklügelten, musikalischen Grundtenor, verarbeiten die Musiker diesmal etwas mehr Düsternis und Härte, was allerdings etwas Zeit bzw. Geduld abverlangt, um die unzähligen Feinheiten zu erhaschen. Zu selten wird man schon bei einem Opener derart in Anspruch genommen, um den hier angerichteten "Stone Salad" mit seinem kulminierenden musikalischen Zutaten zu verdauen. Da werden klassische Pianotupfer von treibenden, gitarrenbetonten Rockstrukturen verdrängt, Jahrmarktsfolklore oder Ambient-Soundscapes als Rosinen unvermittelt beigemengt, um doch thematisch mit einer grazilen Essenz aus Jazz und Retro Prog das Ganze zu harmonisieren.
Das folgende "Other Side Of The Water" lässt den Zuhörer minutenlang mit Hilfe diverser elektronischer Gimmicks und Synthiesounds in eine künstliche Düsternis versinken, um sich schließlich Floyd'schen Sequenzen, insbesondere dem "Animals"-Kapitel, vollkommen hinzugeben, untergraben von mitunter hyperventilierendem Jazzrock, welcher dem episch geweiteten Ausklang entgegenstrebt.
Die beiden mit jeweils knapp zwölf Minuten kürzesten Stücke, leben von ihrer harmonischen Vielschichtigkeit und dem komplexen, reichlich überschäumenden Pomp, der sich überraschend und verblüffend zu entwickeln vermag.
Während die vier Protagonisten bei "Crashmind" instrumental noch in den Territorien
der schon angesprochenen britischen Prog Rock-Pioniere wildern sowie harsche Crimsoide Texturen verquirlen, dimensionieren die Usbeken in "13th August" ihr eigenes 'Hurengebräu', wie es einst der große Miles Davis in seiner elektrifizierten Phase arrangierte, und würzen selbiges mit diversen technischen Raffinessen bzw. modernen Pop-Zugeständnissen.
Das beschließende "Return To W.I.T." vermählt in einer Viertelstunde Fromuz' formatsprengende Ideenvielfalt, um spätestens jetzt veritable Energie und spannungreiche Momente auszuspielen. Neben missionierenden Gitarrenriffs und schwungvollen Rhythmusmustern sorgen atmosphärische Klassik-Verbeugungen, bombastische Klangtapeten und solistische Ausflüge für ein konzertantes, gleichsam kopflastiges Vergnügen, das mit gregorianischen Gesängen nebst einem ermuntertem Regenguss die finale Erlösung beschert.
Der Charakter des gesamten Albums lehnt sich wohl weit über den progressiven Tellerrand hinaus bzw. findet beneidenswert zu einem sehr eigenen Ausdruck.
"Overlook" sprüht vor innovativer Fülle , lässt in keinem Moment musikalische Langeweile und schon gar nicht Sehnsucht nach einem Vokalakrobaten aufkommen.
Bei der Produktion und beim Klang wurde effektives Höchstmass angesetzt, welches wohl auch dem Mitwirken des Toningenieurs und Musikers Jeff Hodges am Mischpult, der als Mitbegründer des Plattenlabels 10t Records und vor allem als Kopf der amerikanischen Prog-Formation Man On Fire, einen guten Ruf verteidigt.
Man kann freudig darauf gespannt sein, welche weiteren Aktivitäten die Musiker aus dem
mittleren Zentralasien uns zukünftig noch auftischen, oder sogar hierzulande noch bühnentechnisch aktivieren werden.
Dieses Werk ist das Paradebeispiel für eine intelligente Studioproduktion, das sich bestens für den aufgeschlossenen und genussträchtigen Prog Rock-Fan eignet, und deswegen unbedingt auf deren Gabentisch gehören sollte.
Selbst die detailverliebte Covergestaltung verdient hierbei zusätzlich das Prädikat 'sehr wertvoll'.
Tracklist |
01:Stone Salad
02:Other Side Of The Water
03:Crashmind
04:13th August
05:Return To Wax Inhabitants Town
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Externe Links:
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