Fughu machen Furore. Und Prog Metal. Und wenn man im Prog Metal für Furore sorgen will, dann braucht man schon 'was Eigenes'. Ein Jodel-Diplom? (kleiner Gag für Loriot-Freunde ...) Nein, aber mit der Stimme hat es schon zu tun. Die Band aus dem Großraum Buenos Aires hat mit Santiago Bürgi einen hauptberuflichen Opernsänger in ihren Reihen - ein Tenor. Klar, alles tiefer Gelegene wäre im Metal schwer vermittelbar. Schon auf dem Debütalbum Absence fiel sein theatralischer Gesang besonders auf. Für den einen oder anderen vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber er macht Fughu ganz klar zu einer echten Type unter den Prog-Kapellen. Er ist das, was auffällt und was hängen bleibt, und allein das ist schon viel wert im unendlichen Wust der Neuveröffentlichungen. Apropos Neuveröffentlichungen ... Fughu schicken mal gleich zwei Alben über den Atlantik. Zwei getrennte Alben zur gleichen Zeit - schon wieder ist die Band ganz und gar anormal. Natürlich haben die beiden CDs etwas miteinander zu tun. "Human - The Tales" und "Human - The Facts" - wie steht es denn so um die Menschheit? Nicht besonders gut ...
"Human - The Tales" zeichnet ein futuristisches Endzeitszenario der nicht so schönen Sorte: Die Menschheit hat sich pseudodemokratisch Richtung Abgrund manövriert; es herrschen Armut, Krieg und Ausbeutung.
»We need to find a way
Civilized man, born and raised to kill the man
We need to find a way
Spirit of man, dying in pray«
("The Human Way")
Die Grundstimmung ist düster und ernst - aber nicht bösartiger als bei modernem, hartem Prog Metal üblich. Wer Vanden Plas, Andromeda und Pathosray schätzt, findet vielleicht auch Gefallen an Fughus Variante. Die Spielweise artverwandter Gruppen wird aber nur gestreift - Fughu sind abgedrehter; nix für psychisch Labile. Zwar schlagen Opener und Schlusstrack, "The Human Way" und "Mayhem", mit eingängigen atmosphärischen Power-Prog-Refrains ein paar markante Pflöcke in die Klanglandschaft - dazwischen brodelt aber ein schwer zu kartografierendes, sumpfiges Akustikbiotop! Effekte der Marke 'Dark Sci-Fi' kommen zum Einsatz, man mag Mystery. So darf bei "Twisted Mind" schon mal eine schier endlose Bassfigur den Hörer in Trance versetzen, damit er sich narkotisiert an der Hand nehmen lässt durch zunehmend zerklüftete Songdramaturgien. Fughu machen akustische Thriller mit plötzlichen Wendungen.
Das ist wie gemacht für Santiago Bürgis Gesangstalent! Wenn er nicht gerade Metal macht, singt er am Teatro Avenida oder gar am großen Teatro Colón Sachen wie "La Traviata", die "Zauberflöte" oder "Madame Butterfly". Doch keine Sorge, der Mann macht hier nicht den Pavarotti. Nein, er singt ... na ja, 'normal' - im Sinne von verständlich - nicht klischeehaft operesk, sondern er rockt. Dabei schwingt aber in jedem einzelnen Wort großes Theater mit und vor dem inneren Auge wird viel geschauspielert. Besonders gegen Ende der sieben 'Episoden' dieses Albums darf deswegen mit einer gesunden Portion Pathos gerechnet werden.
Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache und speziell genug, um sich erst einmal 'reinhören' zu müssen. Aber bitte sehr: Es lohnt sich, etwas Hör-Zeit zu investieren. Besonders viel davon braucht man für "Goodbye". Hier wandelt Bürgi in einem psychedelischen Trip zwischen herzzerreißender Kopfstimme und exklamatorischen Attacken. Spätestens hier müssen auch Referenzkapellen wie Jupiter Society, Overhead und Porcupine Tree herhalten, die man eher zum Prog Rock als -Metal zählt. Anders wäre ein atmosphärischer Song wie "Dry Fountain" schwer zu erklären, der eher defensiv und subversiv daherkommt. Einschließlich ein paar organisch klingender Synthie-Zutaten hat die Nummer - ein richtig guter Song mit tollem Vibe - viel surreal-Rock-Klassisches der Spät-60er bis Früh-70er.
"Human - The Tales" geht ganz schön mit uns Gassi. Das Erwartbare sollten wir tunlichst nicht erwarten. So ist "Evil Eyes" plötzlich ein waschechtes Stück Hard Rock - freilich fein vertrackt mit großem, wildem, glücklich machenden Instrumentalpart. Überhaupt agiert die Geräte-Fachfraktion tight und stark und heavy und spannend. Gitarre und Keyboard kreieren gemeinsam melodische Drives (stark: "The Human Way"), solieren sehr spannend und (oder aber ...) songdiendlich, unterstützt von den Gästen Jeff Kollman per Gitarrensolo und GEA am Didgeridoo. Highlight des Albums ist "Inertia", das zwischen verletzlichen Akustik-Ruhephasen und explosiven Powerpassagen pendelt. Dann scheint Santiago Bürgi den ganzen Schmerz der Welt aus seiner Kehle zu singen. Es hat ein bisschen was von Ivanhoe mit (inzwischen Ex-)Sänger Mischa Mang. Das tiefschwarze Riffing dazu ist beinahe schon doomig. In Kombination mit den extrem weit ausholenden Melodien ist das bemerkenswert. Dunkles Metal-Musical.
Und nun kommt Prog-Theater. Scheibenwechsel - "Human - The Facts" ist nochmal eine Portion düsterer. Und klang das erste Album schon theatralisch, so wird dieses nun fast zu einem Bühnenstück. Bei den Lyrics werden durchweg Rollen verteilt, in die neben Santiago Bürgi auch die übrigen Bandmitglieder schlüpfen - Backings-singenderweise - sowie zwei Gastsänger: zum einen Darío Schmunck und zum anderen kein Geringerer als Damian Wilson. Erzählt wird die Geschichte des mächtigen und scheinbar unbezwingbaren Mr. Climb, der sich seinem einzig verbliebenen Gegner stellen muss: der Zeit. Eine Interpretation der Storyline wäre sicher die: Am Ende seines Lebens steht Mr. Climb vor der Wahl, sich dem Verlauf der Zeit geschlagen zu geben, oder seine Seele dem Teufel zu verkaufen. Leicht durchschaubar machen Fughu die Chose nicht - die atmosphärische Umsetzung ist aber beeeindruckend. Bereits der Opener "The Void" startet mächtig emotional mit einer wimmernden Stimme und verstörendem Klavier. Oft haben wir einen Mix aus gesprochenen und gesungenen Worten; und es mischt sogar ein kommentierender Chor ('people') mit - das hat ja schon fast Züge des antiken griechischen Theaters!
"Void" endet mit einem langen und intensiven instrumentalen Ausklang. Und da geht es - das gilt für die komplette Scheibe - wesentlich stärker in Richtung modernem Neo Prog à la Galahad oder Arena. Jawohl, mit Spannungen arbeiten, das können Fughu richtig gut. Das macht "Human - The Facts" allerdings auch zu einem nicht einfach zu hörenden Album. Das Teil will Aufmerksamkeit, und nicht nebenher gehört werden. Echte Refrains sind Mangelware, wir kriegen es eher mit szenischen Episoden zu tun. Episch steigt und fällt die Spannungskurve zwischen ruhigen und melancholischen Kapiteln wie "The Play" und "Quirk Of Fate", das ein paar bombastische Klangwände raufzieht. Hier haben wir auch den ersten Höhepunkt des Albums, auch dank des Gastspiels - ach was, 'Auftritts' - Damian Wilsons. Auch er startet mit gesprochenem Wort, später steigert er sich in die intensivsten Sphären seiner gewohnten und geliebten Sangeskunst - kehlig, klar und expressiv. "Quirk Of Fate" ist voller mystischer Spannung. Zu Beginn meint man glatt, gleich die Worte zu hören »Today is born the seventh one« ... aber es bleibt natürlich bei der Einbildung.
Hellhörig werden wir auch bei "Vater" - der Titel verrät es schon: Es wird auf Deutsch gesungen, zumindest zum Teil. Das erledigt Gastsänger Darío Schmunck, Santiago Bürgis Opernkollege. Wieso deutsch? Weil es so schön kantig, gebieterisch und streng klingt, sagt die Band - besonders wenn so ein ausgebildeter Vokalfachmann den Job macht. Dazu ein paar Takte mechanische Loops und unterkühlte Effekte - das schindet schon Eindruck, wenn da aus einem wabernden Klangnebel heraus plötzlich ein Stück Industrial Rock zum Vorschein kommt. Die Grammatik der deutschsprachigen Lyrics ... okay, die bleibt nebulös. Die Übersetzung lässt den Muttersprachler schon etwas mit dem Zwerchfell zucken; aber cool isses irgendwie schon. Und es folgt gleich darauf eine heavy-psychedelische "Winter"-Landschaft - es ist schon ganz schön was los auf "Human - The Facts", Respekt.
Ein letztes Highlight ist, ganz am Schluss, der Titeltrack "The Facts". In siebeneinhalb Minuten gibt es hier ein großes finales Hallo, bei dem erneut die beschwörenden Chorstimmen auftauchen und den Untergang der Hauptfigur Mr. Climb mit der Vergänglichkeit alles Menschlichen kommentieren: »One tree's fallen, one grows near it ...« Technisch feine proggige Tieftöner-Riffs machen Tempo und rütteln den Hörer nochmal richtig auf - und der hymnische Power-Chorus platziert zum Ende eines durchaus anspruchsvollen Hör-Events noch einen hartnäckigen Ohrwurm.
Das 'normalere' Prog Metal-Album "Human - The Tales" und das Bühnen-Hörstück "Human - The Facts"; das ist ein beachtliches Double-Feature, erhältlich als getrennte Album sowie zusammen in einer Special Edition mit besonders ausführlichem Booklet.
Fughu erforschen das Menschsein, und zwar auf die düstere Art und Weise. 'Wie sieht das Ende aus?' - für den Einzelnen und für die ganze Welt - das ist die wichtigste Frage. Der Ansatz ist also eher apokalyptisch - aber heile Welt gibt es im Prog ja ohnehin eher selten. Wäre ja langweilig. Fast 'Faust'-ig wird es auf "The Facts". Und frei nach Shakespeare lautet das Fazit für "The Tales": Welch ein Wunderwerk ist der Mensch ... wohl eher nicht.
Retro und spacig, heavy und psychedelisch - sie brauen da ganz schön was zusammen. Was Eigenes halt - und es hat dann doch längst nicht nur mit dem Sänger zu tun!
Line-up:
Alejandro Lopez (drums)
Ariel Bellizio (guitars)
Marcelo Malmierca (keyboards)
Juan Manuel Lopez (bass)
Santiago Bürgi (vocals, guitars)
Guest musicians:
Jeff Kollman (guitar solo - "Human - The Tales" - #7)
GEA (didgeridoo & voices - "Human - The Tales" - #7)
Damian Wilson (vocals - "Human - The Facts" - #2)
Darío Schmunck (vocals - "Human - The Facts" - #4,5,8)
Tracklist |
Human - The Tales:
01:The Human Way (6:27)
02:Inertia (7:19)
03:Dry Fountain (5:33)
04:Twisted Mind (5:42)
05:Goodbye (5:48)
06:Evil Eyes (6:43)
07:Mayhem (8:51)
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Human - The Facts:
01:Void (4:03)
02:Quirk Of Fate (6:44)
03:The Play (2:46)
04:Climb (7:26)
05:Vater (4:03)
06:Winter (4:42)
07:Till The Day I Die (1:59)
08:The Facts (7:31)
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